"Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama"

Literarische Glückskekse

Ein chinesischer Glückskeks, mit einem Zettel und der Mahnung "Nicht spontan handeln, Sie brauchen Bedenkzeit"
© picture alliance / dpa / Kitty Kleist-Heinrich
Von Marko Martin · 12.12.2015
Gewitzte Intelligenz und hinreißende Selbstironie: Das neue Buch des haitianisch-kanadischen Schriftstellers Dany Laferrière umfasst 182 kurze Kapitel, aus denen man ohne Unterlass zitieren möchte.
Der Titel ist nicht nur Programm, sondern gleichzeitig Thema und stilistisches Prinzip: "Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama" bedeutet vor allem die Abwesenheit steifleinerner Pose. Also keine hermetisch verschmockten Gedankenvolten und intellektuelle Introspektion, sondern mitten hinein ins Leben des haitianisch-kanadischen Romanciers Dany Laferrière.
"Ich hatte im Jahre 1976 eine aberwitzige Diktatur hinter mir gelassen und war nach Nordamerika geraten, wo ein Schwarzer immer noch ein Bürger zweiter Klasse ist. Weiter oben ist es erträglich, aber nicht im Bodensatz der Arbeiterklasse, wo der Tag immer grau anfängt und der Himmel niedrig hängt."
Gänzlich unbesorgt um die Gebote politischer Korrektheit erinnert sich der in Montreal lebende Autor, der letztes Jahr für seinen Roman "Das Rätsel der Rückkehr" mit dem internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet wurde, seiner Anfänge als Schriftsteller.
Sätze aus dem Bauch der Schreibmaschine
Das wirkliche Problem war nämlich nicht die weiße, leere Seite – Dany Laferrière würde sagen: Pseudoproblem des weißen Mittelschichtautors –, sondern die Frage der Wohnungsmiete. Wie das Geld aufbringen und dennoch schreiben, wo die geliebte Remington 22 doch bereits wartete, "alle Sätze meines Romans in ihrem Bauch"?
Monsieur Dany löste das Problem, indem er eine Affäre mit der Tochter seines Vermieters anfing und danach jenen an Rabelais und Cervantes geschulten Roman schrieb, der seinen Ruhm nicht allein in der franko-kanadischen Welt begründete: "Die Kunst, mit einem Neger zu schlafen, ohne zu ermüden."
Nach diesem Erfolg aber begann die eigentliche Herausforderung: Stehkragen des literarisch Erfolgreichen oder Schmuddel-Image á la Charles Bukowski, um nun das ganze Leben lang das gleiche Buch wieder und wieder zu schreiben? Der ebenso clevere wie belesene Dany Laferrière entschied sich indessen für eben jenen (sauberen) Pyjama und eine Gestimmtheit á la Witold Gombrowicz: "Zwanglos sein, doch selbst in der Zwanglosigkeit nicht maßlos werden."
Dem Geniekult Adieu gesagt
Folglich beinhaltet dieses Buch 182 kurze, klug strukturierte Kapitel, die jeweils mit einer kursiv gedruckten Essenz versehen sind, welche der Autor in hinreißender Selbstironie mit den Glückskeksen in chinesischen Restaurants vergleicht:
"Der eine Spruch passt ganz genau, der nächste nicht. Dann wartet man auf den nächsten Zug."
Schriftstellerischem Geniekult wird hier ebenso Adieu gesagt ("Die Gewohnheit übt den allergrößten Einfluss auf uns aus, es ist also besser, mit ihr als gegen sie zu arbeiten") wie den Dogmen "engagierten Schreibens", denn:
"Über und für das Volk zu schreiben bedeutet, dass man dieses Volk um seinen Lesestoff bringt; es wird zum Thema gemacht. Öffnen Sie ihm stattdessen ein Fenster zur Welt, damit es sich für etwas interessieren kann außerhalb der eigenen Realität."
"Kein Wort ist vulgär"
Und so möchte man aus diesem Buch, das Schreibende ebenso wie Lesende anspricht, ohne Unterlass zitieren und für seine gewitzte Intelligenz werben, für die man gern so manch hochgestochen-distinktionswütige Frankfurter Poetikvorlesung hingäbe.
"Kein Wort ist vulgär, das kann nur ein Verhalten sein. Zum Beispiel finde ich Arroganz unsäglich vulgär... Es kann ein ganzes Leben dauern, bis man mit dem Ernst eines spielenden Kindes zu schreiben vermag."
Wäre es kein PR-Spruch, man müsste sagen: Lesen Sie dieses Buch, es macht Sie - zumindest für die Dauer der Lektüre - zu einem halbwegs besseren Menschen.

Dany Laferrière: Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama
Aus dem Französischen von Beate Thill
Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2015
327 Seiten, 24,80 Euro

Mehr zum Thema