"Dann ist großer Kreisch-Alarm"

Marc Rothemund im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 12.09.2010
In seinem ersten Film untersuchte Marc Rothemund "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit". An den Humor und den Spirit dieses Debüts will er mit seinem neuen Werk anknüpfen: Es geht um Popstars und ihre Fans.
Liane von Billerbeck: Doch bevor wir da hinkommen, zum Happy End nämlich, wollen wir quasi nach dem Verursacherprinzip mit dem Regisseur des Films sprechen, mit Marc Rothemund. Herzlich Willkommen!

Marc Rothemund: Schönen guten Tag, guten Morgen, guten Mittag!

von Billerbeck: Seit 2005 verbindet man ja Ihren Namen vor allem mit einem Film, nämlich mit "Sophie Scholl – die letzten Tage", der war sogar für den Oscar nominiert. Ein sehr guter Film, aber ein sehr schwerer Film, in Anführungsstrichen. So gesehen stutzt man natürlich erst mal, wenn man den Titel des neuesten Films hört "Groupies bleiben nicht zum Frühstück", das heißt ein Unterhaltungsfilm für ein vermutlich eher jüngeres Publikum. Was hat Sie denn bitte zu diesem Stoff getrieben?

Rothemund: Die Produzentin hat mich zu diesem Stoff getrieben, weil die hat mir die erste Fassung eines Buches gegeben, hat gefragt, ob ich es lesen will, und mit der Produzentin habe ich vor zehn Jahren mein Kinodebüt gemacht, das war auch gleichzeitig das Debüt der Produzentin. Das war damals "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit". Und die Produzentin hat mich gefragt, ob das nicht ein guter Stoff wäre, um noch mal so den Spirit und den Humor und Herzschmerzhumor, Situationskomik noch mal aufleben zu lassen vom "Merkwürdigen Verhalten". Und ich glaube, das ist uns sehr gut gelungen, also das war dann die Produzentin und das Buch und die Idee.

von Billerbeck: Sie sind selbst ein Achtundsechziger, soll heißen, Sie sind 1968 geboren, gehören also – vermutlich jedenfalls – nicht mehr zur kreischenden Teenie-Generation. Haben Sie sich zur Vorbereitung des Films bei der Band Tokio Hotel umgeguckt oder sich mit dem Lena-Hype befasst, oder wie macht man das?

Rothemund: Also in erster Linie habe ich eine sehr kleine Schwester, die hat gerade Abitur gemacht, und in ihrem Kinderzimmer, was ich ja auch seit ein paar Jahren immer wieder besuche – dann war mal Britney Spears, dann war Pattinson –, also vollgepflastert. Also da habe ich einen guten Einblick in die Welt der Teenager, und habe mir natürlich auch verstärkt MTV und Viva angeschaut und Tokio Hotel, mir DVDs angeschaut, also auch hinter der Bühne, Backstage-DVDs, und muss sagen, ich habe eine DVD gesehen von Tokio Hotel, da haben die 100 Minuten lang Livekonzert Oberhausen zehntausend Leute gerockt. Und das hat mich dann wirklich fasziniert, weil da hat man gesehen, was für gute Musiker das sind, wie viel Arbeit dahintersteckt, wie viel Energie, und habe dann gemerkt, wow, da liegt die Messlatte jetzt für unsere Band hier im Film Berlin-Mitte wirklich verdammt hoch.

Und dementsprechend haben wir uns auch viel Mühe gegeben mit dem Konzert in der O2-World-Arena – weil Berlin-Mitte, also der Kostja Ulmann als Leadsänger, der rockt ja 15.000 Leute dann bei uns im Film –, und haben sehr viele Komparsen gehabt, Groupies gehabt. Wir haben acht Tage im Ritz Carlton Hotel gedreht, wo dann die Groupies von uns davorstanden und alle Passanten immer dachten, für wen jubeln die denn, wer ist denn Berlin-Mitte? Wir haben in der 14.000-Euro-Suite im Ritz Carlton gedreht, wo natürlich die Topstars wohnen wie Tokio Hotel. Also die Messlatte war Tokio Hotel, wenn nicht noch eins drauf.

von Billerbeck: Gab es eigentlich in Ihrem Leben auch mal eine Zeit, wo Sie Fan waren und wo Sie ganz begeistert irgendeiner Band hinterher gereist sind oder am Bühnenausgang gestanden haben?

Rothemund: Ich weiß noch, dass meine Mutter mich – da war ich, glaube ich, neun oder so – auf ein Fats-Domino-Konzert mitgenommen hat, und ich bin da irgendwie anscheinend so abgegangen und war in der ersten Reihe und habe es tatsächlich geschafft, von der ersten Reihe auf die Bühne zu Fats Domino zu laufen, der mir dann mit seinen Riesen-Diamantenringfingern ein Autogramm gegeben hat, was ich dann so geübt hatte, dass ich, glaube ich, seine Unterschrift besser konnte als Fats Domino selber. Und ich gehe sehr gerne auf Konzerte, also es gibt frühere Prince-Konzerte in der Olympiahalle in München, oder ZZ Top, und ich finde es immer unglaublich, wenn es ein Musiker schafft, dass die gesamte Halle, alle, jeder einzelne, bis zur letzten Reihe euphorisch ist.

Es gibt so ein schönes Bild von dem Andreas Gursky, dem Fotografen, über die Toten Hosen, das habe ich gesehen in der MoMA in New York, also da ist dann ganz links der Campino und die Band, und dann zwei Meter weiter rechts der letzte in der Reihe, und man kann ungefähr wirklich über, ich weiß nicht, 2000, 3000 Gesichter sehen, in die Augen der Fans, und diese Euphorie von der ersten bis zur letzten Reihe, das hat mich immer beeindruckt, und auch das haben wir versucht irgendwie, als Messlatte für unseren Film zu nehmen.

von Billerbeck: Sie haben also … als den großen Rockstar von der Band Berlin-Mitte haben Sie Kostja Ullmann. Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern in Ihrem Film, die scheint ja zu funktionieren, zwischen Anna Fischer und Kostja Ullmann. Kostja Ullmann ist also der Rockstar, der aber gleichzeitig auch ein schüchterner, junger Mann ist. Wie sind Sie auf den gekommen?

Rothemund: Also ich begleite das Kinogeschäft ja schon seit einigen Jahren, mache ja auch viele Filme und schaue mir natürlich auch viele Filme an, und ein paar Sachen müssen natürlich gegeben sein. Also er muss gut aussehen, er muss ein Charisma haben, Charisma heißt, …

von Billerbeck: Er ist bildschön.

Rothemund: Er ist bildschön, aber das Charisma heißt gar nicht mal so die Schönheit, sondern die Fähigkeit, Leute anzustecken, die Gefühle, die man selber hat, auf andere Leute zu verbreiten. Und Kostja ist, glaube ich, der bestaussehendste junge Schauspieler, er ist mit einer der besten jungen deutschen Schauspieler. Er sieht wirklich verdammt gut aus, muss ich sagen, die Augen sind groß, er ist disziplinierter Arbeiter, also er hat Skateboard-Unterricht genommen, Gitarrenunterricht genommen, Gesangsunterricht genommen, und wenn er als Kostja Ullmann manchmal schon bei Premieren über den roten Teppich geht, dann ist großer Kreisch-Alarm. Und all das, was jetzt sozusagen unser Hauptdarsteller mitbringen musste, das trifft alles auf den Koste zu, und abgesehen davon ist er auch noch ein echt Supertyp.

von Billerbeck: Sie haben das irgendwann mal deutlich zu Protokoll gegeben, Sie haben gesagt, die Auswahlkriterien seien Spielfreude, Abenteuerlust, Leidenschaft, Handwerk und Demut.

Rothemund: Ja.

von Billerbeck: War gerade das Letzte, also Demut, das Ausschlusskriterium für andere?

Rothemund: Jetzt bei dem Film gar nicht mal so, also da gab es andere Filme. Wenn jemand, sage ich mal, zum dritten oder zum vierten Mal nicht noch mal zum Casting kommen will, weil man castet ja nicht nur eine Person, sondern auch Kombinationen, und wenn jetzt jemand sagt, ach, ich will nicht zum dritten Mal zum Casting kommen, dann ist es ein Ausschlusskriterium. Also ich sage mal, die Julia Jentsch damals bei "Sophie Scholl", auch, als wir den Vernehmungsbeamten gesucht haben, also ich glaube, die war sechs oder sieben Mal beim Casting und kam immer wieder, immer wieder, und hat gekämpft für die Rolle. Und deswegen hat Julia Jentsch dann auch die Rolle verdient, weil sie war die stärkste Kämpferin dafür. Also das teste ich schon auch. Und für mich gehören Selbstzweifel zu dem Geschäft dazu, also Selbstzweifel ist für mich auch ein Motor, sich immer zu hinterfragen: Kann man noch was besser machen, sind wir auf dem richtigen Weg?

von Billerbeck: Ja, das ist ja auch eine Grundtugend des Schauspielers, also auch ein Grundproblem jedes Schauspielers, denn er ist die weiße Leinwand, auf der jemand anders malt.

Rothemund: Genau, und deswegen kommt dann auch irgendwann ein Regisseur, der dann erst mal die Selbstzweifel mit ihm teilt. Und wenn dann sozusagen der Regisseur als Schiedsrichter – denn dafür ist er ja da am Drehort – dann wirklich der Meinung ist, das war jetzt super, dass er dann dieses Gefühl auch dem Schauspieler überträgt, dass er da auch wieder eine gewisse Sicherheit hat.

von Billerbeck: Fast alles, was Sie bisher gedreht haben, könnte man sagen, hat Erfolg gehabt, also das waren auch die Fernsehproduktionen, "Die Hoffnung stirbt zuletzt", die Geschichte einer jungen Polizistin, die sich nach dem Mobbing und den vielen sexuellen Übergriffen ihrer männlichen Kollegen dann das Leben nimmt. Wenn man dann liest, dass Sie als Regieassistent begonnen haben bei Helmut Dietls "Rossini", dann waren Sie bei Eichinger, bei Dominik Graf – da denkt man: Clever, der Mann hat sich da gut was abgeguckt. Wie hat denn der Übergang funktioniert vom Mitmacher zum Macher?

Rothemund: Also das ist in erster Linie harte, harte Arbeit. Also ich war ja nicht auf einer Filmhochschule, ich habe als Fahrer angefangen, ich habe tausende Liter von Kaffee gekocht, ich war Script/Continuity, ich war Aufnahmeleiter, wurde dann Regieassistent bei Fernsehserien, "Praxis Bülowbogen", "Die glückliche Familie", und habe mich als Regieassistent von der Fernsehserie zum Fernsehfilm zum Kinofilm hochgearbeitet. Und mein letzter Regieassistenzjob war dann "Rossini", und das war sicher auch einer der schwersten, also mit Helmut Dietl und der Geschichte und den ganzen Stars, und habe dann mich als Regisseur … wieder bin ich zurückgegangen zur Serie und habe zwei Serienfolgen gemacht, und habe mich dann auch über den Fernsehfilm wieder zum Kinofilm hochgearbeitet.

Also es ist ein sehr langer Weg, aber ich habe damals gesagt als Regieassistent: Ich arbeite für jeden Regisseur nur einmal, weil es ist ein sehr intimes Verhältnis, und man knallt auch manchmal aneinander, oder es ist ein gespanntes Verhältnis, aber man lernt sich sehr gut kennen. Und ich wollte immer sehr viel lernen und sehr viele Leute kennenlernen, und so habe ich, glaube ich, in den fünf, sechs Jahren bei 40 Regisseuren assistiert. Das waren sicher sehr interessante Leute jetzt, die Sie erwähnt haben, da habe ich aber auch gesehen, was man vielleicht anders machen müsste oder was ich vielleicht anders machen müsste. Aber …

von Billerbeck: Was machen Sie denn anders?

Rothemund: Ja, ich suche mir … ich bin, sage ich mal … habe ein bisschen mehr Geduld als der eine und bin ein bisschen herzlicher zu den Menschen als der andere und bin ein bisschen jähzorniger als der.

von Billerbeck: Wir erwähnen jetzt keine Namen.

Rothemund: Wir erwähnen keine Namen, aber wenn man mich fragt, wer jetzt von den ganzen Regisseuren also für mich der Beste oder das größte Vorbild war oder wo ich sage, also der hat mich am allermeisten beeindruckt, dann war es Heiner Carow, der "Coming out" gemacht hat, Silberner-Bären-Gewinner, oder die "Legende vom Glück ohne Ende". Das war auch der einzige Regisseur, für den ich zwei Mal gearbeitet habe. Also den habe ich extrem hoch eingeschätzt, deswegen hat mir sein Tod umso mehr leid getan. Er hat sehr exzessiv gelebt und ging dann zum ersten Mal, glaube ich, zum Arzt, zum EKG, und der setzte ihn aufs Fahrrad und hat die ganzen Dinger am Körper und fällt da tot runter. Es ist sehr tragisch, aber ich glaube, der Heiner hätte geschmunzelt.

von Billerbeck: Sie haben es schon erwähnt eben, als Sie über Ihren Hauptdarsteller gesprochen haben, was der alles gelernt hat für Ihren Film. Geht Ihnen das eigentlich auch so, dass Sie bei jedem Film was Neues lernen?

Rothemund: Ja, unbedingt. Also ich versuche, keinen Film zu machen, bei dem ich mich wiederhole, sondern immer wieder neue Welten zu entdecken, und was mich da gereizt hat – und das ist wirklich als Regisseur … also man liest im Drehbuch "Eine erfolgreiche Rockband kommt jetzt nach der ausverkauften Europatournee zurück nach Berlin zum Abschlusskonzert", und dann steht da natürlich, okay, erfolgreiche Rockband, also was macht man denn jetzt? Und dann darf der Regisseur, das ist das Schöne an dem Job, diese Band kreieren, also man fängt an mit der Frage: Spielen die jetzt deutsch oder englisch? Wie viele sind da oben auf der Bühne? Was für eine Musikrichtung überhaupt?

Und das geht dann bis dahin, dass man ja vor Drehbeginn die Lieder schon komponieren muss. Und dann haben wir gesagt, okay, ein Lied muss über Weltschmerz sein, "Love is a battlefield", jede Band hat dann aber auch ein Lied, wo eine Lebensfreude kommt, das ist dann "Here she comes". Dann haben wir noch eine Ballade, "Nicht ohne dich", was alles im Vorfeld kreiert werden muss. Und also das fand ich eine ganz tolle Herausforderung, und das hatte ich auch noch nicht gemacht, und deswegen habe ich mich hier besonders gefreut.

von Billerbeck: Wenn man die beiden Filme, von denen wir heute schon mal gesprochen haben, also "Sophie Scholl – die letzten Tage" und diesen neuen "Groupies bleiben nicht zum Frühstück", anguckt, dann denkt man zuerst, da liegen Welten dazwischen. Es gibt überhaupt keine Verbindung. Trotzdem gibt es eine – und zwar ist das die große Emotionalität. Bei "Sophie Scholl" haben hartgesottene Journalisten während der Berlinale bei der Vorführung geheult, und auch dieser Film geht ja ans Gemüt. Sitzt hier vor mir der Regisseur, dessen Bedürfnis, beim Zuschauer Gefühle zu wecken, größer ist als die Angst, man könnte ihm da eine große Kitschkomponente vorwerfen?

Rothemund: Also vor Kritiken hatte ich noch nie Angst, weil man wird niemals einen Film machen können, der allen gefällt, und das Publikum ist mir immer das Wichtigste. Und wenn ich jetzt mal überlege, wie ich ans Kino rangekommen bin – ich bin ein Scheidungskind und ich kann mich erinnern, der Film, der mich am meisten geprägt hat, war "Kramer gegen Kramer". Dustin Hoffman, Meryl Streep, die Trennung und dann der kleine Junge, ich glaube, das war der jüngste Oscar-Nominierte – ich glaube, ich bin da mit elf oder zwölf Jahren drei Mal hintereinander reingegangen, weil ich fand es so authentisch und habe so mitgefiebert, und habe da irgendwie erkannt, wie eine Geschichte das Publikum emotional mitnehmen kann, wie man das Publikum mitfiebern lassen kann. Und das ist mir beim Filmemachen mit das Wichtigste, das Publikum auf eine Reise mitzunehmen, dass man mitfiebern kann, mitlachen kann und mitweinen kann. Das ist mir das A und O. Und das ist mir bei einer Komödie oder bei einem Drama gleich wichtig.

von Billerbeck: Sind Sie auch jemand, der noch als erwachsener Mann im Kino sitzt und heult, oder passiert Ihnen das nicht, weil Sie wissen, wie es geht?

Rothemund: Doch, das passiert mir auch. Wenn der Film richtig gut ist und es schafft, mich an die Figur ranzubinden, und ich … also ich schluchze jetzt nicht total laut, sondern ich weine eher innerlich, aber habe mich dann doch wieder ertappt beim letzten Mal, wo ich tatsächlich Tränen fast wegdrücken musste, und das war "Gran Torino".

von Billerbeck: Das war der Regisseur Marc Rothemund bei uns zu Gast, und wir sprachen über seinen Film "Groupies bleiben nicht zum Frühstück" mit Kostja Ullmann und Anna Fischer in den Hauptrollen. Am kommenden Donnerstag kommt er in unsere Kinos. Ich danke Ihnen!

Rothemund: Ich danke Ihnen!

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