"Damit nicht nur dann die anderen als die Helfer und die Gutmenschen dastehen"

Gunter Mulack im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 19.08.2010
Der Westen müsse sich mit den Menschen in Pakistan solidarisch zeigen, fordert der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Gunter Mulack. Man dürfe die Menschen in ihrer Not nicht dafür bestrafen, dass ihre Regierung möglicherweise korrupt sei.
Jan-Christoph Kitzler: 15 Millionen Menschen leiden in Pakistan – das sind die neuesten Zahlen der Vereinten Nationen. Sie leiden unter der riesigen Flut, die vom Nordwesten des Landes bis in den Süden etwa ein Fünftel des pakistanischen Gebietes bedeckt. Und die Wassermassen, sie steigen in manchen Regionen noch weiter. Frühestens Ende August sollen sie abfließen, wenn denn der Monsunregen nachlässt. Und weil man den vielen Opfern irgendwie helfen muss, vielen ganz schnell, treffen sich heute in New York Vertreter vieler Staaten, um die Hilfe besser zu koordinieren. Vermutlich wird auch Geld ein Thema sein, denn das, was in Pakistan langfristig geschehen muss, ist ziemlich teuer. Viele Spender in Deutschland fragen sich, ob das Geld auch bei den Menschen ankommt, denn Pakistan hat ein ziemlich schlechtes Image, und darüber rede ich jetzt mit einem, der sich auskennt, mit Gunter Mulack, dem früheren deutschen Botschafter dort und heutigen Direktor des deutschen Orient-Institutis in Berlin. Guten Morgen!

Gunter Mulack: Guten Morgen!

Kitzler: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass die Hilfen die Menschen erreichen?

Mulack: Gut, da müssen wir trennen zwischen der Not- und Soforthilfe, die jetzt läuft – da bin ich zuversichtlich, dass das ankommt, die Hilfsorganisationen, die sammeln, und das Geld dann verwenden für entsprechende Hilfsmaßnahmen vor Ort, die sind erfahren, die kennen Pakistan auch von dem Erdbeben noch, und das läuft ganz gut. Was anderes ist dann die Frage der längerfristigen Wiederaufbauhilfe.

Kitzler: Pakistan wird mit Korruption assoziiert, mit den radikalen Islamisten und als Atommacht, die manchen Angst macht, vielen eigentlich sogar. Wie schlecht ist denn das Image in Ihren Augen und was ist da dran?

Mulack: Gut, das Image Pakistans ist schlecht. Das ist eben eine Regierung auf feudalistischen Strukturen noch, eine Regierung, die von einer von einer Oberschicht gebildet wird, die weit entfernt ist von dem eigentlich Volke, und die natürlich auch unter Korruption leidet und vielleicht auch nicht so effizient ist und so schnell reagieren kann, wie wir uns das vorstellen. Aber da ist Pakistan nicht allein in der dritten Welt mit diesen Vorwürfen.

Kitzler: Es gibt Berichte darüber, dass nach der schweren Erdbebenkatastrophe 2005 über 300 Millionen Dollar veruntreut worden sind. Auch ein Großteil der Gelder, die eigentlich für den Hochwasserschutz eingesetzt wurden, sollen in dunklen Kanälen versickert sein. Ist die Katastrophe, unter der die Menschen da heute leiden, auch hausgemacht?

Mulack: Die ist sicherlich hausgemacht. Da kommt dazu erst mal die Abholzung der Wälder im oberen Teil des Indusbereichs, wo eine Holzmafia alles da abgehackt hat; deswegen kommt es zur Verkarstung, die Schlammlawinen können ungehindert dann runtergehen und alles kaputtmachen. Das Zweite ist natürlich, klar, das weiß man, dass bei Baumaßnahmen gespart wird, um das gesparte Geld in die eigene Tasche zu stecken. Auch dieses sind leider Vorkommnisse, die man bestätigen kann, die aber auch wieder typisch für Dritte-Welt-Länder sind, nicht unbedingt jetzt ist Pakistan das einzige Land, wo so was vorkommt.

Kitzler: Wie groß ist denn das Problem der Korruption?

Mulack: Das ist relativ groß. Pakistan gehört sicherlich oder gehörte zu meiner Zeit jedenfalls zu den Top Ten in den verschiedenen Skalen, die da aufgestellt werden von Transparency International zum Beispiel. Und das ist ein Problem – Korruption, Nepotismus, Vetternwirtschaft –, was man auch nicht so leicht ausmerzen kann.

Kitzler: Pakistan hat ja auch eine ziemlich schwierige Stellung in der internationalen Staatengemeinschaft. Einerseits ist da zum Beispiel das mehr als problematische Verhältnis zum Nachbarn Indien, andererseits auch die umstrittene Rolle beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Fällt diese schwierige Stellung jetzt angesichts der Katastrophe auf die betroffenen Menschen zurück?

Mulack: Zum Teil ja, aber zum Teil ist es auch der Vorteil, es gibt ja die Gruppe der Freunde Pakistans, ich glaube, 22 oder 24 Länder, Friends of Pakistan, die sich bemühen wollen, eben Pakistan auch in dieser ganz schwierigen Situation zu helfen, und ohne ausländische Hilfe wird Pakistan auch nicht herauskommen, auch die Wiederaufbauarbeit nicht leisten können. Und ich warne immer davor: Wir dürfen jetzt die Menschen in ihrer Not nicht dafür bestrafen, dass vielleicht ihre Regierung korrupt ist oder ihre Regierung nicht alles das tut, was der Westen verlangt. Das wäre humanitär falsch.

Kitzler: Ist es vielleicht auch eine Chance jetzt, dass sich das Verhältnis zu Indien, was ja sehr problematisch ist, bessert angesichts der Katastrophe?

Mulack: Das kann man nur hoffen, aber auch da bin ich skeptisch. Indien hat ja selbst Hilfe angeboten, fünf Millionen Dollar, und ich weiß auch aus der Erdbebenzeit, als ich dort vor Ort war, sind auch indische Frachtmaschinen mit Hilfsgütern gelandet. Die Inder wollten auch Hubschrauber anbieten, die hat man nicht zugelassen. Also dies Verhältnis ist nach wie vor noch so verkrampft und so schwierig, dass ich da skeptisch bin, ob das durch eine solche Katastrophe nun einfach überwunden werden kann.

Kitzler: Die Menschen auch in Deutschland werden zu Spenden aufgerufen. Diese kurzfristigen Hilfen – das Geld kommt an, sagen auch Sie, weil die Organisationen Erfahrung haben. Aber die Spendengelder sollen auch einen politischen Zweck erfüllen, um radikalen Islamisten den Nährboden zu entziehen. Das hat zum Beispiel Entwicklungsminister Dirk Niebel so gesagt. Glauben Sie, dass Spenden diesen politischen Zweck erreichen können?

Mulack: Ja, bei den Menschen, wenn Sie nun mal von amerikanischen Hubschraubern gerettet werden oder vom deutschen Technischen Hilfswerk mit Wasser versorgt werden, wird natürlich das Gefühl der Dankbarkeit kommen, und einfach zu sehen, diese Solidarität, dass auch der Westen da ist, um ihnen zu helfen, und man nicht das Feld nur überlässt der Armee und den islamischen Hilfsorganisationen, das ist schon ein wichtiger Punkt. Ob das nun langfristig wirklich so wirkt, muss dahingestellt bleiben. Viele sagen auch, das sei die Strafe Allahs, jetzt diese Sintflut, dafür, dass ihre Regierung mit dem Westen paktiere und auf die eigenen Menschen oder Leute schieße, also Swat-Tal oder oben die Taliban in den Grenzgebieten.

Kitzler: Es ist also noch gar nicht entschieden, ob die Islamisten, die radikalen, nicht auch noch profitieren können von der Katastrophe?

Mulack: Zum Teil ja, sie sind vor Ort, allerdings sorgt jetzt die Armee und auch die Regierung dafür, das hat auch gestern der Innenminister noch mal betont, dass man denen das Feld nicht überlässt. Und das halte ich auch für wichtig, dass wir eben mit unseren Organisationen vor Ort sind, den Menschen helfen, rauszukommen aus dieser gewaltigen Katastrophe, damit nicht nur dann die anderen als die Helfer und die Gutmenschen dastehen.

Kitzler: Die Lage in Pakistan, das schlechte Image des Landes und die Not der Menschen vor Ort – das war Gunter Mulack, früher Botschafter dort und heute Direktor des deutschen Orient-Instituts in Berlin. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Mulack: Ja, Ihnen auch!

Homepage Deutsches Orient-Insitut
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