Dänemarks Juden hatten Freunde

Rezensiert von Paul Stänner · 03.11.2013
Bo Lidegaard beschreibt in seinem Buch, wie die Regierung in Kopenhagen sich in den frühen 1940er-Jahren konsequent für ein demokratisches Klima im Land einsetzte, so dass schließlich 90 Prozent der dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger die Flucht vor den Nazis gelang.
Manche Bücher machen richtig gute Laune. Und bringen doch zum Nachdenken. Bo Lidegaards Erzählung von der Rettung der dänischen Juden vor der Verfolgung durch die deutsche Besatzungsmacht ist so ein Buch, das gute Laune macht.

Die Geschichte: Im September 1943 kommt es in Kopenhagen zu einer folgenschweren Begegnung, die der Journalist und Historiker in seinem Buch schildert.

"Kurz nach Kriegsende erinnerte Hans Hedtoft sich an die Botschaft, die Duckwitz dieser Gruppe prominenter Politiker an diesem Tag überbrachte: 'Das Unheil ist nun da', sagte er. 'Alles ist bis auf das kleinste Detail geplant. Im Hafen von Kopenhagen werden Schiffe vor Anker gehen, auf die ihre unglückseligen jüdischen Landsleute von der Gestapo gebracht werden sollen, um einem unbekannten Deportationsschicksal entgegenzusehen'. Er war kreideweiß vor Empörung und Scham."

Georg Ferdinand Duckwitz war einer der engsten Vertrauten von Werner Best, dem Reichsbevollmächtigten für Dänemark, einem SS-Mann und Karriere-Juristen. Duckwitz wusste, dass Berlin sich zu einer härteren Gangart gegen die dänischen Juden entschlossen hatte und warnte unter anderem Hans Hedtoft, den Parteivorsitzenden der dänischen Sozialdemokraten.

In kürzester Zeit machte die Warnung die Runde, in Kopenhagen begannen Tausende, Koffer und Taschen zu packen und nach Fluchtmöglichkeiten zu suchen.

Die Razzia der deutschen Besatzer geriet zu einem Fiasko
Bis dahin war die deutsche Besatzung relativ ruhig verlaufen. Dänemark hatte gewusst, dass es sich der deutschen Übermacht nicht erwehren konnte und sie akzeptiert, hatte sogar lange noch eine gewählte Regierung an der Spitze des Landes gehabt. Für die deutschen Besatzer hatte diese Kooperation den Vorteil, dass die Besatzung mit relativ geringen Kräften an Verwaltung und Militär aufrechtzuerhalten war und dass das Reich mit dänischen Lebensmitteln versorgt wurde.

Als dann in Berlin beschlossen wurde, auch in Dänemark die Judenvernichtung durchzusetzen, trafen die Besatzer auf den Widerstand der dänischen Regierung und Bevölkerung. Wie Bo Lidegaard formuliert:

"Dänemark bestritt, dass es so etwas wie eine 'Judenfrage' überhaupt gab und beharrte auf dem Offensichtlichen: Ein dänischer Jude war in erste Linie dänischer Bürger und deshalb von einem Gesetz geschützt, das nicht zwischen Bürgern unterschiedlichen Glaubens oder verschiedener Herkunft unterschied."

Und weil dies nicht nur das Verständnis der Regierung, sondern der breiten Bevölkerung war, geriet die aufwändig vorbereitete Razzia der deutschen Besatzer am 1. Oktober 1943 zu einem Fiasko: Statt der erwarteten 6000 Juden wurden in Kopenhagen nur 300 gefasst. Die anderen waren bereits auf der Flucht.

Es gab keine organisierten Fluchtwege, aber es gab eine Vielzahl von hilfsbereiten Nachbarn, die ihre Unterstützung anboten. Bo Lidegaard, ehemaliger Diplomat, Sachbuchautor und heute Chefredakteur der Tageszeitung Politiken, hat viele Dokumente und Tagebuchaufzeichnungen gesammelt, die aus diesen Tagen berichten:

"Offenbar war das ganze Hotel um Hilfe bemüht. Der Wirt, der Kellner und ich hatten den Eindruck, dass sich sogar die Polizei zu helfen bemühte. Auch eine Gruppe prominenter Bürger, darunter der Ortsvikar und der Filialleiter der Bank, hatten ihre Hilfe angeboten."

Innerhalb weniger Tage wurden 7000 Flüchtlinge auf Fischerbooten nach Schweden gebracht, 90 Prozent der jüdischen Dänen konnten so vor dem Zugriff der Nazis gerettet werden - eine einzigartige Geschichte von stillen Helden.

Bo Lidegaard erzählt aber auch - und das ist die wirklich spannende Geschichte - dass dieses Wir-Gefühl, das verhinderte, dass die Besatzer die Bevölkerung in Dänen und Juden selektieren konnten, konsequent von der dänischen Politik hergestellt worden war.

Cover - "Die Ausnahme" von Bo Lidegaard
Cover - "Die Ausnahme" von Bo Lidegaard© Karl Blessing Verlag
Nationalsozialistisches Denken galt als "undänisch"
Dazu gehörte, Geld nicht in die nationale Verteidigung, sondern in Sozialprogramme und Arbeitslosenhilfe zu investieren, weil man wusste, dass bei denen, die sozial ausgegrenzt werden, die Neigung zu totalitären Ideologien, von rechts oder links, wächst. Ausgegrenzt wurden dagegen Extremisten.

"Allmählich begann sich tatsächlich ein starkes nationales 'Wir'-Gefühl zu entwickeln, das jeden Bürger einbezog, der sich den demokratischen Grundprinzipien und humanistischen Werten verschrieben hatte, und jeden Vertreter der politischen Extreme, die diese Ideale nicht vertraten, zu 'sie' erklärte. Das heißt, die Mehrheit der dänischen Bevölkerung begann kommunistisch und nationalsozialistisch gesinnte Landsleute als 'undänische und demokratiefeindliche' Bürger zu stigmatisieren und an den Rand der Gesellschaft zu drängen."

Und das macht dieses Buch so vergnüglich und so spannend: Nicht allein, dass eine fabelhafte Geschichte von beispielgebenden Menschen erzählt wird, sondern auch, dass bis in die Details hinein beschrieben wird, wie Politik ein gesellschaftliches Klima schaffen kann, in dem demokratische und humanistische Werte zu einer ganz selbstverständlichen Handlungsanweisung für die Zivilgesellschaft werden.


Bo Lidegaard: Die Ausnahme - Oktober 1943 - Wie die dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger der Vernichtung entkamen
Aus dem Englischen von Yvonne Badal
Karl Blessing Verlag München, 23. Sept. 2013
592 Seiten, 24,99 Euro, auch als ebook erhältlich
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