"Dabei sein ist mehr als alles"

Von Peter Kaiser · 06.07.2012
Die weltweite jüdische Sportbewegung "Makkabi" ging früher direkt von Berlin aus. Anfeindungen, Ausgrenzungen und Verfolgung während der NS-Zeit brachten den jüdischen Sport damals zum Erliegen. Heute sind die jüdischen Sportler in Deutschland wieder organisiert und erfolgreich in den verschiedensten Disziplinen.
Schach, sagte einmal Albert Einstein, ist das schnellste Spiel der Welt, weil man in jeder Sekunden Tausende von Gedanken ordnen muss.

Dass der berühmte Physiker recht haben muss, sieht man an diesem Sonntagmorgen im Klubhaus des Berliner TuS Makkabi an den Gesichtern der jungen und alten Schachspieler.

"Schach bringt viel. Das logisch Denken, das Kämpfen, und ja."

In sich versunken starren die Denksportler des jüdischen Sportvereins auf die Bretter und Spielfiguren vor ihnen.

"Wir haben hier schon die Landesliga erreicht und das bringt Spaß, ist schon professionell. Für mich ist das Besondere, dass ich mit Kindern zusammen in meiner Mannschaft spiele."

Gregory Goratjetski kommt aus Lettland. Seit Jahren spielt der freundliche Mann mit den Kindern Schach.

"Ich habe das in der jüdischen Grundschule angefangen mit die Kindern. Und dann haben wir hier die Schachabteilung in Makkabi gegründet. Wir haben von vierte Klasse angefangen, und jetzt spielen wir in Landesliga. Das ist die höchste hier in Berlin."

Und das Besondere, sagt der Familienvater, ist, dass hier mehrere Generation zusammen am Schachbrett sitzen.

"Es gibt hier Leute, die fast achtzig Jahre alt sind. Das heißt, drei Generationen: Opa, Vater und Kind. Und das ist das Besondere beim Schach. Weil es gibt keine Sportart, sodass drei Generationen zusammen spielen."

Makkabi Deutschland ist der jüdische Turn- und Sportverband in Deutschland. Das hebräische Wort Makkabi war einst der Beiname eines Führers der Juden gegen das hellenistische Reich. Yzak Lat ist Vorstandsmitglied des TuS Makkabi Berlin.

"Makkabi steht auch für die jüdische Tradition im Sport, Makkabi-Berlin ist eine der ersten, wenn nicht allererste Makkabiverein in Europa und weltweit, vor über 110 Jahren. Der gerade in Berlin die Geburtsstätte hatte. Von hier aus ist die Makkabibewegung erst in Europa und dann weltweit gewachsen."

Während im Klubhaus die Schachspieler die logischen Klingen kreuzen, wird es unweit für die etwa zehnjährigen Jungen des TuS Makkabi Zeit zum Fußballspiel.

Vorab gibt es aber noch eine wichtige Frage zu klären....

"Suche jemanden zum Pfeifen für die Jungs"
"Oder willst du pfeifen?
"Nee"
" Dann muss ich pfeifen. Bringst du Arthur mit raus?"
"Ich bring Arthur mit raus, bitte?"
"OK. Dann gehe ich pfeifen."

Vor weit über 100 Jahren, 1898 wurde der Verein unter dem Namen "Bar Kochba" in Berlin gegründet. Am Anfang war es - in Anlehnung an die Bewegung des Turnvater Jahn – nur ein reiner Turnverein. Später kamen Fußball hinzu, Boxen, Judo und andere Sportarten. In der Tiefe der Makkabi-Bewegung, sagt Manfred Wichmann vom Jüdischen Museum Berlin, ging es dabei um mehr als nur um bloße Körperertüchtigung.

"Die jüdische Sportbewegung und die Makkabi-Spiele, wird häufig gesagt, ist ein Kind des Zionismus. Sie ist eng verbunden mit der Idee das Judentum auf eine nationale Grundlage zu stellen und beruht damit eigentlich auf der Entwicklung, die seit der Jahrhundertwende, um 1900, begonnen hat. Und die jüdische Sportbewegung hat sich auch gleichzeitig entwickelt mit der neuen Form von Individualsportart. Das nicht mehr nur, wie im 19.Jahrhundert, das Turnen die beherrschende Sportart ist, sondern die Mannschaftssportarten hinzukommen, aber auch die Individualsportarten. Und sie ist damit gleichzeitig ein Kind der Moderne. Also ab 1900, und dann vor allen Dingen nach dem Ersten Weltkrieg hat sie sich weiter entwickelt, vergrößert und auch verbreitert."

Wie auch im nichtjüdischen Sport die Körperertüchtigung anfangs einen paramilitärischen Hintergrund hatte, so sollten auch die Makkabianer für die große Idee gestählt werden.

"Es wird ganz häufig Bezug genommen auf die Rede von Max Nordau auf dem Zionistenkongress, der gesagt hat: "Wir brauchen ein Muskeljudentum." Und der ganz bewusst sich abgrenzen will von dem Bild des lesenden und körperlich nicht aktiven Juden, wie es über viele Jahrhunderte geprägt worden ist. Und auf den bezieht sich die gesamte jüdische Sportbewegung eigentlich bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs."

Die Nationalsozialisten machten sich über die Makkabim gründlich her. Denn deren Erfolge trafen die Braunen im Innersten.

"Es gibt zwei Spezifika. Das eine ist, dass sie auch entstanden ist als Reaktion auf die antisemitischen Stereotype, die davon ausgegangen sind, und verstärkt im 20. Jahrhundert behaupten, dass Juden per se körperlich minder befähigt und damit auch minderwertig sein. Und natürlich ist Sport ein wunderbares Mittel um das Gegenteil zu beweisen. Wenn jüdische Sportler Rekorde aufstellen, wenn jüdische Mannschaften nichtjüdische Mannschaften besiegen oder überhaupt mit ihnen im Wettbewerb stehen, dann zeigt dass, dass diese rassen-antisemitische Stereotype eben widerlegt werden können. Und das Zweite ist, dass man als Mitglied der jüdischen Sportbewegung mithilft an der Schaffung einer jüdischen Nation."

Es dauerte Jahrzehnte nach dem Ende des Terrors, bis jüdische Sportler an die alte Tradition wieder anknüpften.

"Natürlich konnte sich in den 50er, 60er-Jahren kaum jemand vorstellen, dass es jemals wieder jüdische Sportler in Deutschland geben wird, die sich auch aktiv in Vereinen sammeln. Das hat sich zum Glück in den letzten 30, 40 Jahren gewandelt."

So gründete sich erst am 26. Januar 1970 der TuS Makkabi in Berlin erneut.

"Heute gibt es wieder ein aktives jüdisches Sportleben, was aber ganz bewusst auch Nichtjuden offen steht. Denn die Vereine haben immer auch die Aufgabe verschiedene Kulturen, Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammen zu bringen."

In Berlin sind Hunderte Sportler im TuS Makkabi aktiv. Weltweit treten bei den Makkabiaden, den jüdischen olympischen Spielen, Tausende Sportler an.

"Die Mitglieder, die zu uns finden, die wissen, in welchem Verein und wofür die sich einsetzen. Und intern haben wir wirklich ein sehr harmonisches Miteinander. Und was Nationen betrifft, sind es wirklich über 20, 25 Nationen, die in Mannschaften gleichzeitig auf dem Spielfeld stehen."

" Das sind nicht immer jüdische Mitglieder?"

" Nein, nein, wir sind ja als Sportverein für alle offen. Natürlich überwiegender Anteil sind jüdischer Abstammung. Was aber für alle andere Nationen immer wieder die Tür offen gehalten wird. Moslems, es sind Christen, es sind Hindus, aus dem fernen Osten, ob Korea oder China"

"Jawoll, komm, los, richtig Schuss, Michael. Louis, Murat, komm mal her schnell, dein Schnürsenkel ist offen."

Draußen flitzen die Mini-Makkabim ums Leder. Der TuS Makkabi Berlin ist erfolgreich, denn die Fußballer sind in der Berlin–Liga. Auch die Schachspieler sind gut, sagt Alexander Lukano, internationaler Schachmeister. Seit 20 Jahren lebt der aus Nowosibirsk stammende IT-Berater in Berlin. Am TuS Makkabi schätzt er das gute und freundliche Miteinander.

"Schach ist Schach. Ich bin selbst Nichtjude. Aber ich habe in diesen Verein gewechselt jetzt zu dieser Saison. Und mein Sohn spielt hier mit. Es gab natürlich unter den Schachweltmeistern sehr viele Vertreter der jüdischen Nation. Das zeigt, das Schach dort eine sehr starke Tradition hat. Aber auch andere Völker beteiligen sich. Jetzt sind zum Beispiel Chinesen auf dem Vormarsch. Die Türken. Die spielen alle das selbe Spiel."

Das Schachspiel hier beim TuS Makkabi kann als leuchtendes Beispiel für gelungenes Miteinander stehen.
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