"Da würde sich mir als Bischof der Magen umdrehen"

Wolfgang Pucher im Gespräch mit Christopher Ricke · 11.10.2013
Vor dem Hintergrund der Affäre um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst hat Pater Wolfgang Pucher einen bescheideneren Lebensstil bei Bischöfen angemahnt. Die Errichtung von Prunkbauten wie in Limburg findet er "unverständlich" und "schwer ertragbar".
Christopher Ricke: Es bewegt sich etwas in der katholischen Kirche, angestoßen von Papst Franziskus, und es bewegt sich auch was in Deutschland, auch wenn diese Bewegung noch etwas ungelenk wirkt. Die nahezu revolutionäre Freiburger Handreichung für wiederverheiratete Geschiedene, die, so sagt man jetzt, sei aus Versehen und zu früh publiziert worden, es sei ein vorläufiger Impuls. Aber die Richtung, die Richtung, in die dieser Impuls geht, die ist ziemlich deutlich! Ich spreche jetzt mit Pater Wolfgang Pucher aus dem österreichischen Graz. Er gilt als Armenpfarrer der Stadt, er unterstützt die österreichische Ungehorsamsinitiative vieler Geistlicher, die sich als Seelsorger verstehen und nicht als Vollstrecker der Vatikan-Gesetze. Guten Morgen, Pater Pucher!

Wolfgang Pucher: Guten Morgen nach Berlin!

Ricke: Nach Rom jetzt Freiburg! Ist da ein Fenster aufgestoßen worden, durch das Licht und Luft in einen eigentlich etwas muffigen Raum kommt?

Pucher: Ich denke, die Fenster sind schon lange offen. Es gibt unglaublich viele Christen, speziell auch Katholiken und auch Priester selbstverständlich, auch Bischöfe, die diesem alten Prunk-und-Protz-Stil einer klerikalen und hierarchisch gegliederten Kirche widerstehen und die sagen, das ist nicht mehr die Kirche Jesu Christi. Wir glauben nach wie vor, dass es das ist, aber wir müssen von innen heraus aufbrechen zu neuen Ufern und uns verstehen als jene Boten Jesu Christi, die in seinen Schuhen weitergehen, so wie es jetzt unser Papst Franziskus tut. Die Schuhe, die roten Schuhe, die die Päpste getragen haben, waren der entsetzlichste Horror, viel schlimmer als aller Prunk, den wir sonst sehen. Endlich einmal gewöhnliche Schuhe tragen, ein gewöhnliche Schuhe tragender Papst, der unter die Leute geht und auch als Quartier sich weigert, den päpstlichen Palast aufzusuchen.

Ricke: Ich glaube sogar, dass er zugibt, dass er orthopädische Einlagen trägt. Aber ich möchte jetzt gerne mit Ihnen mal nach Deutschland gucken, ins Bistum Freiburg. Da hat ja der Erzbischof Zollitsch in der ganzen Welt für Aufmerksamkeit gesorgt, als er sagte, man soll wiederverheiratete Geschiedene nicht immer und für alle Zeiten von den Sakramenten ausschließen. Er rudert jetzt wieder etwas verschreckt zurück, aber kann man da noch zurückrudern?

Pucher: Unmöglich. Also, ich bin von meinen Kollegen, die um mich herum sind – und da werden die deutschen Kollegen nicht viel anders sein –, beeindruckt, dass die schon lange diesen Weg gehen. Ich kenne persönlich überhaupt keinen Priester, der einen Geschiedenen und Wiederverheirateten, wenn er zur Kommunion geht, zurückweist. Auch aus der Kirche Ausgetretene! Manchmal kennt man sie sogar von Angesicht zu Angesicht. Wenn der zur Kommunion geht und er ist überzeugt in seinem Herzen, er darf Jesus nahe sein, so wie alle Sünder damals Jesus nahe sein durften, zum Entsetzen der Schriftgelehrten und Pharisäer und der Gerechten. So müssten das heute auch die Sünder – unter Anführungszeichen – sein dürfen. Jeder Mensch hat das Recht, schwach zu sein, ein Recht, das ist ein Recht. Und ein Recht, Fehler zu begehen und trotzdem das Recht zu haben, Jesus nahezukommen.

Ricke: Die Ungehorsamsinitiative in Österreich ist ja durch Ihren gestuften Gehorsam unter anderem bekannt geworden. Also, zunächst hört man auf den Herrn, dann auf das eigene Gewissen und dann erst auf das Regelwerk der Kirche, das ja auch Jahrhunderte nach Christus entstanden ist. Wie viel Hoffnung verbinden Sie denn damit, dass dieser Blickwinkel sich weltweit durchsetzt?

Pucher: Das zweite Vatikanum hat eindeutig erklärt, dass die letzte Handlungsinstanz, ethisch-moralische Handlungsinstanz eines Menschen sein eigenes Gewissen ist, und weder der Oberkirchenrat noch der Papst in Rom, noch sonst eine Autorität, sondern es geht letztlich um die persönliche Gottesbeziehung und Christusbeziehung. Ich wehre mich ein bisschen gegen den Begriff Ungehorsamsinitiative …

Ricke: Der ist halt recht populär!

Pucher: Dieser Begriff ist erst ganz viel später aufgetaucht, jahrelang haben wir schon für die Ziele, die durch das zweite Vatikanum vorgegeben wurden, gekämpft, und da ist an erster Stelle die Dezentralisierung. Es kann ja nicht sein, dass jeder Schmarrn, egal um was es geht, von einer Spitze aus bestimmt wird, inklusive Bischofsbenennung. Als ob die deutschen Bischöfe zusammen nicht in der Lage wären zu sagen, wer soll unser Bischof sein! Dasselbe gilt für Österreich und Brasilien und woanders.

Die Dezentralisierung, das heißt, der Papst hat es schon angesprochen: Es muss in einer erneuerten Kirche möglich sein, dass eine Kircheneinheit, ein Kirchengebiet selber sagt … Denken Sie nur, was es bedeutet, wenn ein Ehepaar, das kirchlich geheiratet hat und auseinandergegangen ist, jetzt vor der Kirche einen Ehenichtigkeitsprozess anstrebt! Wenn eine Diözese mit dem Ehegericht sagt, jawohl, das war keine gültige Ehe, du darfst wieder heiraten, gilt das nicht! Das ist ja unfassbar! Dass das nicht …

Da wird ein ausgebildeter Kirchenjurist dafür bestimmt, in einer Diözese zu sagen, mit einem Gremium zusammen zu sagen, ob diese Ehe gültig war oder nicht. Das gilt nicht. Es muss durch drei Instanzen gehen. Mittlerweile hat man die zweite bei uns mit der dritten zusammengelegt, aber das ist ein Zeichen und ein Beispiel dafür, dass man die Christen und auch sogar Bischöfe irgendwo entmündigt und an der Kandare hält. Und das muss aufhören.

Ricke: Pater Pucher ist Ordenspriester der Lazaristen, mit großem Engagement für Obdachlose. Schauen Sie möglicherweise auch recht staunend zurzeit nach Limburg und die dortige Bischofsaffäre? Die müssen wir jetzt nicht im Detail aufarbeiten, das kann man auch ganz wahrscheinlich gar nicht, aber man kann natürlich fragen: Wie schafft man denn in der Kirche die Balance zwischen prachtvollen Symbolen, die ja durchaus auch die Herrlichkeit Gottes dem Volk mitteilen sollen, zwischen geliebter Tradition und Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Bescheidenheit?

Pucher: Ja, wir haben bis vor Kurzem einen, man nennt das so einen Leute-Bischof, in meiner Diözese gehabt. Ähnlich war es in Innsbruck mit Bischof Stecher. Wenn man zu Bischof Stecher kommen wollte in Innsbruck und hat nur seine Adresse gekannt, stand man erstaunt vor einem Wohngebäude. Und in diesem Wohngebäude ist unter den vielen Namen beim Eingang auch der Name Bischöfliches Ordinariat oder Bischof Stecher gestanden. Das ist es. Der Bischof … Was er jetzt für einen Palast geerbt hat oder nicht geerbt hat, ist eine andere Geschichte, aber dass man neu sozusagen die Ressourcen, die es gibt, ausnutzt, um diesen ohnehin schon vorhandenen Prunk noch zu erhöhen, das ist unverständlich und auch für andere Länder, die mit Deutschland in Verbindung stehen, schwer tragbar.

In der größten Bundesländerzeitung Österreichs, die "Kleine Zeitung", lese ich heute Morgen zwei Artikel nebeneinander, auf der einen Seite "Der Luxusbischof aus Limburg", hier in meiner Zeitung, und daneben "400 Millionen Kinder entsetzlich arm". Daneben steht auch noch: "Ein Drittel aller Menschen muss pro Tag von 92 Cent leben." Also, da würde sich in mir als Bischof der Magen umdrehen, ich könnte nicht mehr, nicht einmal eine Semmel, ein Brötchen essen zum Frühstück, bevor ich nicht einen Schritt setze in Richtung dieser Armut!

Ricke: Lazaristenpater Wolfgang Pucher aus Graz, ich danke Ihnen sehr und wünsche einen guten Tag!

Pucher: Bitte sehr, schönen guten Tag nach Berlin!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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