"Da wird eine Vielfalt in der Genetik da sein"

Peter Uehre im Gespräch mit Frank Meyer · 21.12.2011
Der beliebteste Weihnachtsbaum der Deutschen, die Nordmann-Tanne, stellt Züchter vor einige Probleme. Das Saatgut ist teuer, sie lässt sich nicht über Stecklinge vermehren. In Münster experimentiert ein Gartenbauzentrum seit Jahren mit Klonen.
Frank Meyer: Was habt ihr denn für einen Baum? Diese Frage wird in den nächsten Tagen oft gestellt werden, und die häufigste Antwort wird sein: Wir haben eine Nordmann-Tanne. Die hat nämlich 80 Prozent des deutschen Weihnachtsbaummarktes erobert, und dabei ist diese Tanne eigentlich eine Migrantin. Wo sie herkommt und wer der Mann war, der diesen Baum für uns entdeckt hat, das erklärt Ihnen Thielko Grieß.

Ja, und das das Exportieren oder Importieren von Weihnachtsbaumsamen aus Georgien, das tun die Weihnachtsbaumzüchter bis heute, denn diese Nordmann-Tanne lässt sich nicht über Stecklinge vermehren, sie muss immer wieder neu gesät werden, und eben das Saatgut kommt teuer aus Georgien. Ein Mann will das ändern, Peter Uehre, der Versuchsleiter Weihnachtsbäume am Gartenbauzentrum Münster-Wolbeck. Herr Uehre, seien Sie willkommen im Deutschlandradio Kultur!

Peter Uehre: Ebenso willkommen, ich freue mich!

Meyer: Sie arbeiten also für die Zukunft der Nordmann-Tanne. Lassen Sie uns erst mal klären: Warum eigentlich? Ist das für Sie ein besonders schöner Weihnachtsbaum?

Uehre: Die Nordmann-Tanne ist der Standardbaum, der im Augenblick der Renner ist. Sie ist wunderbar, sie hat eine sehr schöne Ausstrahlung, eine dunkelgrüne Nadel, die sehr haltbar ist, eine Ruhe ausstrahlt, nicht sticht, und der Baum hat einen harmonischen Aufbau. Von daher macht er sich in den Wohnstuben sehr gut.

Meyer: Und Sie stellen nun Klone von Nordmann-Tannen her. Können Sie uns ganz knapp erklären, wie das eigentlich geht?

Uehre: Wie Sie sagten bereits: Stecklinge sind nicht machbar, also Sorten sind bisher nicht vorhanden. Ich kann hier hingegen jetzt bei einem sehr schönen Mutterbaum die Samen ernten – den Vater habe ich nicht –, beim Samen trenne ich dann den Embryo vom Nährgewebe, und diesen Embryo kann ich dann im Labor vervielfältigen, die Zellen vervielfältigen. Da raus kommen dann ganz kleine Minipflänzlein, und hier bei uns in Münster-Wolbeck versuchen wir einen Weg zu entwickeln, diese Minipflänzlein am Leben zu erhalten und dann danach zu schauen, welche Eigenschaften die jeweils haben, und können daraus dann Sorten entwickeln.

Meyer: Und wie ich gelesen habe, haben Sie auch schon kleine Bäumchen aus diesen Nordmann-Klonen gezogen. Wie geht es denn den kleinen Klon-Tannen?

Uehre: Ja, der Anfang vor sechs Jahren, als wir die Projekte gestartet hatten, der war etwas schwierig, die sind also doch relativ viel gestorben. Im Augenblick sind wir so weit, dass wir sie zu 80 Prozent am Leben erhalten können, und sie sind inzwischen zu einer auspflanzfähigen Jungpflanze, die absolut vergleichbar ist mit einer Sämlingspflanze, herangewachsen. Und sie werden jetzt ab Frühjahr 2012 in die Produktion, in die Anbauflächen gehen, aber erst mal nur, um zu gucken, wie sie sich entwickeln werden.

Meyer: Wir hören ja immer wieder von den Problemen, die auftreten, wenn man so große Monokulturen anbaut, und wenn man jetzt genetisch identische Tannen anbaut, dann ist das ja noch mal eine extreme Monokultur. Kriegt man da nicht haufenweise Probleme mit Schädlingen und so weiter?

Uehre: Ja gut, eine Monokultur wird es nicht ganz sein, denn wir werden ja viele Sorten haben. Also der Kunde wünscht ja nicht nur einen breiten Baum oder einen schmalen Baum, mit langer Nadel, mit kurzer Nadel, also er will eine Vielfalt haben, und wir werden hoffentlich in der Lage sein, hier wirklich viele Sorten zu entwickeln – wie bei Rosen auch und vielen anderen Zierpflanzen –, um dann eben doch eine genetische Vielfalt zu erreichen.

Meyer: Jetzt kurz vor Weihnachten kommt ja auch ein anderes Thema hoch – wo wir gerade einen Spezialisten am Telefon haben –, das Thema Pflanzenschutzmittel, Insektengifte an Weihnachtsbäumen. Was sagen Sie als Weihnachtsbaumfachmann zu den Gefahren durch solche Mittel?

Uehre: Also diese Gefahren sind deutlich geringer als bei vielen anderen Pflanzen auch, wir essen diese Pflanze nicht und die Mittel sind zugelassen, also ich sehe hier überhaupt keine Gefahr, dass durch einen Einsatz von Herbiziden beispielsweise der Baum negativ beeinflusst wäre. Also hier wird im Augenblick glaube ich manchmal etwas unsachlich argumentiert.

Meyer: Kommen wir zurück zu den geklonten Nordmann-Tannen. Ist denn die Zukunft dann tatsächlich, dass wir in Deutschland in Zukunft lauter geklonte Tannen im Wohnzimmer haben werden?

Uehre: Also diese Projekte, die wir haben, das ist ein Beginn. Wir wollen uns unabhängig machen von den Saatgutlieferungen aus dem Kaukasus. Es kann sein, dass es kein Saatgut gibt aufgrund der Witterung, dann hätten wir keine Jungpflanzen hier, das war der eine Anlass gewesen. Dass da irgendwo Jungpflanzen auf den Markt kommen werden in größerer Menge, wird frühestens in 10, 15 Jahren sein, das heißt, ganz sicher wird der größte Teil der Pflanzen erst mal noch traditionell aus der Sämlingsanzucht kommen.

Meyer: Und was sagt dann der Weihnachtsbaumästhet in Ihnen dazu? In deutschen Wohnzimmern fast überall der gleiche, geklonte Baum – ist das nicht auch eine erschreckende Vorstellung?

Uehre: Also wie gesagt, wir werden verschiedene Sorten haben, so wie wir bei Weihnachtssternen verschiedene Sorten haben, also da wird eine Vielfalt von der Genetik da sein. Und die Bäume stehen immer noch draußen in der freien Natur und sind ausgesetzt der Witterung und den Bodenverhältnissen, und die Natur lässt sich nicht so vereinheitlichen. Also ich bin mir absolut sicher, dass jeder Baum immer noch seine Individualität behalten wird und also diese Monotonie nicht da sein wird. Also der Kunstbaum ist also wirklich so monoton, dass er nicht mehr unterscheidbar ist, und das unterscheidet eben unseren Naturbaum noch vom Kunstbaum.

Meyer: Und wenn es zum großen Flächenanbau kommen sollte in Deutschland – kann man das überhaupt hier bei uns machen? Die klimatischen Verhältnisse in Georgien, wo dieser Baum eigentlich herkommt, sind doch zumindest nach meiner Vorstellung deutlich andere.

Uehre: Also wir haben bereits großflächigen Anbau, das geht auch gar nicht mehr anders bei den Stückzahlen, die wir hier im Augenblick in Deutschland brauchen, wir liegen ja zwischen 23 und 26 Millionen Bäume. Die kamen ja bisher auch zum großen Teil aus Dänemark. Der Trend muss sein, hier regional zu produzieren, und wir haben hier in den Mittelgebirgen beispielsweise durchaus Verhältnisse, die vergleichbar sind mit Georgien. Also die Nordmann-Tanne liebt einen Boden, der etwas steinig ist, durchlässig ist, wo dann zumindest im Frühsommer Regenfälle fallen.

Und wenn man sich die Qualitäten anschaut, die hier bereits produziert werden, auch großflächig – die überzeugen, die sind wirtschaftlich und die machen auch in diesen Regionen absolut Sinn, denn es sind Regionen, die landwirtschaftlich nicht so gut strukturiert sind, wo ich keinen Mais anbauen kann beispielsweise. Und dann ist das sehr gut von Vorteil, in diesen Regionen die Weihnachtsbäume zu produzieren und eben nicht über 1000 Kilometer eben aus dem Ausland zu holen.

Meyer: Regional ist natürlich ein großes ökologisches Plus, weil die Transportwege wegfallen, wie Sie es auch gerade ansprechen. Aber die Frage bleibt immer noch: Wie ist die Umweltbelastung durch den notwendigen Schutz dieser großen Weihnachtsbaumkulturen? Kann man so etwas wie einen Ökoweihnachtsbaum auch bei uns regional anbauen?

Uehre: Ökobäume gibt es sicherlich, ja, die sind aber in der Regel in kleineren Betrieben angesiedelt, in denen mit Schafen zum Beispiel die Unkrautbekämpfung gemacht wird. Das lässt sich großflächig in der Regel nicht verwirklichen. Man könnte sicherlich über mechanische Maßnahmen – es geht hier speziell um die Unkrautbekämpfung, Unkrautregulierung –,das könnte man sicherlich machen. Die Wirtschaftlichkeit muss da aber schon im Vordergrund stehen. Und wie gesagt, die Weihnachtsbaumkultur auf landwirtschaftlichen Flächen ist vergleichbar mit einer Obstbaukultur oder mit sonstigen landwirtschaftlichen Kulturen: Also ich sehe da nicht die Problematik einer stärkeren ökologischen Belastung. Also dann müssten wir prinzipiell in ganz Deutschland immer darüber nachdenken: Wie kann ich Pflanzen produzieren?

Meyer: Wie sieht es jetzt bei Ihnen zu Hause aus, Herr Uehre, haben Sie schon einen kleinen geklonten Nordmann-Tannenbaum stehen bei sich?

Uehre: Der wäre mir jetzt noch zu klein im Augenblick. Also die größten, die wir haben, sind vielleicht 20, 30 Zentimeter groß.

Meyer: Okay, das ist zu klein, ja.

Uehre: Also das wird noch nicht gehen.

Meyer: Aber Sie haben eine Nordmann-Tanne für zu Hause?

Uehre: Ja, wir haben einen.

Meyer: Okay, danke Ihnen sehr für das Gespräch, Peter Uehre, der Versuchsleiter Weihnachtsbäume am Gartenbauzentrum Münster-Wolbeck. Wir sprachen über die Klon-Tanne, die in zehn Jahren vielleicht die deutschen Wohnzimmer beherrschen wird. Herr Uehre, ganz herzlichen Dank!

Uehre: Danke ebenso, Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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