"Da passt ganz Hannover leicht hinein"

Albert Speer im Gespräch mit Marcus Pindur · 30.04.2010
Der Frankfurter Architekt und Stadtplaner Albert Speer hält die Weltausstellung in China, die morgen beginnt, nicht für vergleichbar mit der Expo 2000 in Hannover. Die Unterschiede seien riesig, sagte Speer, der den Masterplan für die Weltausstellung in der niedersächsischen Landeshauptstadt erstellt hatte.
Marcus Pindur: Es soll die Super-Expo werden: Morgen wird in Shanghai die Weltausstellung für den Publikumsverkehr eröffnet, heute - mit einem großen Feuerwerk - wird sie eingeläutet, es werden insgesamt 100 Millionen Besucher erwartet. Das Motto: "Better City, Better Life" - bessere Stadt, besseres Leben. Darunter kann man sich alles mögliche vorstellen. Wir reden jetzt mit jemandem, der sich damit auskennt, mit dem Architekten und Stadtplaner Albert Speer. Guten Morgen!

Albert Speer: Guten Morgen!

Pindur: Sie haben damals die Generalplanung für die Expo 2000 in Hannover gemacht, Sie kennen auch Shanghai gut. Was unterscheidet denn die eine von der anderen Expo?

Speer: Die Unterschiede sind riesig. Erstens befinden wir uns in einer anderen Kultur mit einer 4000- bis 5000-jährigen Geschichte, zweitens haben wir in Shanghai völlig andere Dimensionen als in Hannover, und drittens haben wir in Hannover eine Weltausstellung geplant überwiegend in einem vorhandenen Messegelände und haben dieses Messegelände aufgewertet, und in Shanghai entsteht die Expo auf einem Riesengelände von circa 2,5 Quadratkilometern - da passt ganz Hannover leicht hinein - auf beiden Seiten eines großen Flusses. Also, es ist in jeder Richtung völlig unterschiedlich.

Pindur: Es ist auch ein großes Prestigeobjekt. Wie kann denn so eine Prestigeausstellung dazu beitragen, die realen Probleme einer globalisierten Großstadt wie Shanghai zu mildern, als das sind: Verkehrschaos, Smog, Wasserknappheit, Lärm?

Speer: Also, das kann die Ausstellung natürlich nicht leisten, dass diese Probleme nun automatisch gemindert werden. Aber die Ausstellung kann, da ja 240 Staaten sich daran beteiligen, kann Beispiele zeigen, wie diese Probleme in anderen Bereichen der Welt aufgenommen werden und gelöst werden oder welche Zukunftsperspektiven es da gibt.

Pindur: Wenn man sich aber die Metropole Shanghai einmal anschaut – ich bin einmal für zwei Tage dort gewesen –, dann hat man das Gefühl, dass da bisher alle stadtplanerischen Fehler der westlichen Welt wiederholt werden, nur eben noch schneller und noch brutaler und irreversibler. Täuscht dieser Eindruck?

Speer: Ja, der Eindruck ist halb richtig und halb falsch. Viele Jahre hat man in China das Wort "Planung" und vor allen Dingen "nachhaltige Planung" kaum in den Mund genommen, sondern es ging nur darum, möglichst schnell möglichst viel zu bauen. Die Zeiten sind seit vier, fünf Jahren in China vorbei, und heute gibt es für Shanghai zum Beispiel einen hervorragenden Masterplan zur Entwicklung der Stadt für die nächsten 20 Jahre, und es ist nicht mehr möglich, irgendwo in der Stadt einfach Hochhäuser hinzusetzen oder alte Bezirke abzureißen.

Alles dies geschieht inzwischen sehr viel kontrollierter, womit ich aber nicht sagen will, dass nicht auch nach wie vor große Fehler passieren, besonders nicht in den großen Städten, sondern mehr in den Mittel- und Kleinstädten, die in China ja zwischen eins und drei Millionen Einwohnern haben.

Pindur: Europäische Architekten schwärmen immer wieder davon, wie rigoros und wie schnell solche Projekte in China verwirklicht werden können, aber das hat ja auch einen Preis, eben diese Rücksichtslosigkeit in der Umsetzung, Vertreibung der Wohnbevölkerung und eben dann manchmal, wie Sie es gesagt haben, oft auch so eine Gesichtslosigkeit. Warum verfallen Architekten immer wieder diesem autoritären Glanz von Diktaturen?

Speer: Also, ich möchte Ihnen da, was China angeht, erst mal heftigst widersprechen. China hat eine, wie ich vorhin schon gesagt habe, uralte Kultur des Dialogs, die nur völlig anders ist als das, was wir uns da drunter vorstellen. Es ist in China in keinem Projekt so, dass irgendeiner irgendwo ganz oben sagen kann, das ist so, und dann geschieht es auch so. Es wird enorm viel diskutiert, und es wird auch sehr viel Kritik geäußert.

Nur: In der chinesischen Kultur ist es nicht üblich, diese Kritik gegenüber uns zum Beispiel oder einer Planung von uns mir direkt ins Gesicht zu sagen, sondern diese Diskussion findet chinesisch, hinter verschlossenen Türen, intern statt, und ich kriege nachher das Ergebnis mitgeteilt. Ich glaube, dass wir toleranter sein müssen im Umgehen mit anderen Kulturen.

Pindur: Jetzt habe ich bei der Vorbereitung auf dieses Interview gelesen, dass für die Expo 18.000 Familien schlicht und ergreifend einfach umgesiedelt wurden. Da wurde auch nicht groß gefragt, wie das passiert. Bekommen Sie denn von so etwas nichts mit?

Speer: Doch natürlich, doch natürlich. Aber die Menschen, die da umgesiedelt wurden, wohnten in primitivsten Verhältnissen, ohne Wasserversorgung, ohne Abwasser, die Fäkalien wurden noch mit Wagen aus dem Viertel raustransportiert, also wirklich nicht unbedingt menschenwürdige Verhältnisse. Das Gesamtgebiet der Expo ist ein völlig runtergekommenes, früheres Industriegebiet und es wird ein Stück Stadt damit kreiert und geschaffen.

Außerdem kriegen die, die da umgesiedelt wurden, eigenständige, andere Wohnungen, die einen ganz anderen Standard haben. Ich bin nicht der Meinung, dass es unbedingt der richtige Weg ist, aber in einer solchen Situation und auch an dieser Stelle in Shanghai war das, glaube ich, die einzige Möglichkeit.

Pindur: Vielen Dank für das Gespräch – der Architekt und Stadtplaner Albert Speer.
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