"Da hofft jeder auf einen endgültigen Schluss"

Peter Black im Gespräch mit Jürgen König · 02.12.2009
Der US-Historiker Peter Black ist sich nicht sicher, ob die Beweislage im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk ausreicht. "Das ist eine Entscheidung für den Richter und die Schöffenrichter", sagte Black.
Jürgen König: Am Münchner Landgericht läuft der Kriegsverbrecherprozess gegen den 89-jährigen John Demjanjuk. Im Sommer 1943 soll er im deutschen Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Tausende Juden aus Deportationszügen in die Gaskammern getrieben haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen vor.

Einer der Trawniki sei er gewesen. Trawniki, das ist ein Ort im Osten Polens, dort hatte die SS 1941 ein Zwangsarbeitslager und ein Ausbildungslager für in Anführungsstrichen "Freiwillige" eingerichtet. Die dort ausgebildeten Hilfskräfte wurden als KZ-Wachmannschaften dann zur Durchführung des Völkermords eingesetzt.

Die Trawniki, das waren vor allem Ukrainer, aber auch Letten, Esten, Litauer, Polen und – wie es damals hieß – Volksdeutsche aus der Sowjetunion. Einer, der sich intensiv auch mit den Trawniki befasst hat, der auch Dokumente sowjetischer Strafverfahren einsehen konnte, ist der amerikanische Historiker Peter Black, Chefhistoriker am US Holocaust Memorial Museum in Washington. Good afternoon oder – wie ich bei Ihnen besser sagen muss – good morning, Mr. Black!

Peter Black: Guten Tag, Herr König!

König: Mr. Black, der Verteidiger hat John Demjanjuk als Opfer dargestellt. Ein Überlebender des Holocaust, nicht aber ein Täter sei er gewesen. Als Trawniki habe er auf gleicher Stufe wie die jüdischen Häftlinge mit Hilfsaufgaben gestanden. Nun haben Zeitzeugen berichtet, gerade die ukrainischen Wächter hätten sich mit äußerster Brutalität an der Vernichtungsmaschinerie der Nazis beteiligt. Wie sehen Sie die Trawniki, und was halten Sie von der Behauptung des Verteidigers, Demjanjuk sei ebenso Opfer des Holocaust gewesen?

Black: Man muss zuerst verstehen, dass die Trawniki stellten den Rückgrat des Einsatzes dar. Und es gab damals vier Bestandteile des Einsatzes Reinhardt, die sogenannte Aussiedlung, das heißt die Vernichtung der jüdischen Einwohner, der sogenannten Generalgouvernements.

Etwa 1,7 Millionen wurden getötet, ungefähr 1,5 Millionen in den Zentren Treblinka, Sobibor und Belzec. Der grauenhafte Erfolg des Einsatzes Reinhardt wäre ohne die Trawniki-Männer überhaupt nicht möglich. Und diese 1,7 Millionen Tote ist der größte Teil der Endlösung unter Führung einer einzigen Einheit, das heißt SS und Polizeiführer Lublin.

Die Trawniki-Männer, die hatten bei der Aussiedlung, das heißt bei der Vernichtung, die Namen an alle große und viele kleine Deportationsaktionen beziehungsweise Erschießungsaktionen, zum Beispiel mit dem Polizeibataillon 101 im Generalgouvernement und im District (…) teilgenommen. Die Trawnikis auch stellten die Wachmannschaften für die SS-Sonderkommandos bei den Totenzentren Belzec, Sobibor und Treblinka II. Die haben auch die Züge begleitet, worin die jüdischen Opfer zu den Totenzentren transportiert worden waren.

König: Hier wird ja sehr darüber gestritten, inwieweit die Trawniki Freiwillige waren mehrheitlich oder Zwangsrekrutierte, also inwieweit sie gezwungen wurden oder sich freiwillig zu diesen Aufgaben gemeldet haben. Wie würden Sie das beantworten?

Black: Ja, das ist eine interessante Frage. Ob die Trawniki-Männer als Freiwillige wahrgenommen werden sollten, muss bei dem Einzelnen beurteilt werden. Zum Beispiel, bei den Kriegsgefangenen zwischen September 41 und ungefähr Frühling 1942 gab es für die sowjetischen Kriegsgefangenen weniger Alternativen.

Beim Bleiben im Kriegsgefangenenlager sind ungefähr 90 Prozent an Verhungerung, Krankheit und Unterkühlung in dieser Zeit verstorben. Deutsche Wehrmacht beziehungsweise SS-Personal haben ungefähr eine halbe Million sowjetische Kriegsgefangene in dieser Zeit auch erschossen.

Andererseits muss man sagen, dass manche sowjetische Kriegsgefangene haben sich den Deutschen aber schon im Sommer 1941 zur Verfügung gestellt im Lager, als Vertrauensmänner, als Dolmetscher oder als sogar Lagerpolizisten. Und die ersten im Frühling beziehungsweise Sommer 1942 gefangen genommenen sowjetischen Soldaten hatten viel günstigere Möglichkeiten sowohl zu überleben, wie auch irgendwie den Deutschen als Hilfswillige zu dienen. Wir haben keine Beweise über Leute, die Nein gesagt haben, als die Deutschen Leute ausgesondert haben. Da wissen wir nichts von denen, die Nein gesagt haben.

König: Mr. Black, Sie haben 20 Jahre lang als Historiker, viele Jahre davon als Chefhistoriker im OSI, im Office of Special Investigation gearbeitet, einer Dienststelle des US-Justizministeriums, zuständig für Sonderermittlungen gegen mutmaßliche NS-Täter in den USA. Sie haben schon Beweise gesammelt gegen John Demjanjuk. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm hier in München Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen vor. Glauben Sie, dass die Beweislage dicht genug ist, ihn dafür zu verurteilen?

Black: Na ja, das ist eine Entscheidung für den Richter und die Schöffenrichter. Ich kann nur sagen, dass die Verantwortlichkeit der Trawniki-Männer, die in Sobibor gedient haben, war Beihilfe an dem Mord von den Leuten, die nach Sobibor geschickt worden waren. Es wäre unmöglich gewesen ohne diese Wachmannschaft, das heißt ungefähr 100 bis 130 Männer, die Tötungsprozesse in Sobibor durchzuführen.

König: Es hat ja schon einmal eine Auslieferung John Demjanjuks von den USA gegeben an Israel. Demjanjuk wurde dann zum Tode verurteilt, dieses Urteil allerdings wurde später vom obersten Gerichtshof Israels wieder aufgehoben. Demjanjuk kam frei, da die Beweise, die das OSI eingebracht hatte, als nicht ausreichend angesehen wurden. Wie denken Sie heute über dieses missglückte Verfahren damals gegen John Demjanjuk?

Black: Es ist viel passiert seit dieser ersten Auslieferung von Demjanjuk an Israel, das ist in 1986 geschehen. Das Wichtigste dabei war Zusammenbruch der Sowjetunion. Und dann in den 90er-Jahren hat der OSI dann Zugang zu Urkunden und ganz spezifisch internen Urkunden über Trawniki, die immer noch bei dem FSB, dem russischen Sicherheitsdienst liegen. Diese Akten, Personalakten und Versetzungsakten hat uns Information, wie das System Trawniki und wie die Trawniki gearbeitet und wie die Trawniki Men hin und her versetzt worden waren und was für Aufgaben die hatten.

König: Dieser Prozess jetzt am Münchner Landgericht gegen John Demjanjuk, wie wird er in den USA aufgenommen, auch von den Medien begleitet?

Black: Von dem, was ich sehen kann, weniger Presse als in Deutschland, und ich kann nicht für alle Amerikaner sprechen, aber die Amerikaner haben Demjanjuk jetzt über 30 Jahre erlebt, und da hofft jeder auf einen endgültigen Schluss und (…) Demjanjuk (…).

König: Der Kriegsverbrecherprozess gegen den Trawniki John Demjanjuk und das amerikanische Interesse an diesem Prozess – ein Gespräch mit Peter Black, Chefhistoriker am US Holocaust Memorial Museum in Washington. Mr. Black, thank you very much!

Black: You are very welcome!