Cybercity am Ende der Welt

Von Dirk Asendorpf · 17.04.2012
Breitbandnetze erreichen die letzten Winkel der Erde und eröffnen auch entlegenen Staaten die Chance zur Teilnahme am globalen Markt der Informationstechnik. Doch für die jungen Informatiker und IT-Spezialisten gelten lokale Arbeitsbedingungen. Auf einer Jobmesse in der Cybercity des Inselstaats Mauritius prallen die beiden Welten aufeinander.
Dichtes Gedränge im Cybertower. Aus dem Glasdach strömt grelles Sonnenlicht in das Atrium des hochmodernen Bürogebäudes, an den Rändern haben IT-Firmen ihre Stände aufgebaut. Davor drängen sich junge Leute auf der Suche nach einem Job.

"Es sind viele Firmen hier, aber uns interessieren vor allem Accenture und Orange. Das sind Firmen mit echt guten Karriereaussichten."

Orelli Azi ist mit ihrer Freundin gekommen, beide haben gerade das Abitur gemacht, ihre strahlenden Augen sagen: Die Welt steht uns offen. Dabei leben sie in Mauritius, einem der kleinsten und entlegenen Staaten der Erde mitten im Indischen Ozean. Die Insel ist halb so groß wie Mallorca, hat aber doppelt so viele Einwohner. Nach Südafrika sind es 2000, nach Indien 4000 und nach Australien 6000 Kilometer Luftlinie, und im Ausland ist Mauritius höchstens als tropisches Traumreiseziel bekannt. Doch in Ebène, im zentralen Hochland direkt neben der einzigen Autobahn, die die Insel von Ost nach West durchquert, ist vor fünf Jahren eine Cybercity aus dem Boden geschossen. Inzwischen erstellen 500 Firmen mit über 15.000 Mitarbeitern Werbematerial und Webseiten, erledigen Lohnabrechnungen oder beantworten in Callcentern Kundenanfragen im Auftrag europäischer, asiatischer und nordamerikanischer Unternehmen. Veena Ramdhu ist erste Ansprechpartnerin für alle, die hier eine Niederlassung eröffnen wollen.

"Politische und wirtschaftliche Stabilität, das ist der wichtigste Grund für die Unternehmen, nach Mauritius zu kommen. Wir werben auch mit unserer zweisprachigen Bevölkerung, die sowohl Französisch als auch Englisch spricht. Wir haben sogar Institute, die den Leuten ihren Akzent abgewöhnen und sie für amerikanische oder britische Aussprache oder ein bestimmtes Französisch trainieren. Und dann sind wir eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft. Europäer, Inder, Chinesen, sie alle finden hier eine Umgebung, in der sie sich zu Hause fühlen. Und schließlich genießen die ausländischen Firmenmitarbeiter den ausgezeichneten Lebensstandard und Lebensstil hier in Mauritius."

Von der Cybercity sind es keine 30 Minuten an den nächstgelegen Strand. Hier kann man den Arbeitstag im lauwarmen Wasser der palmengesäumten Lagune ausklingen lassen. Das lockt vielleicht ausländische Experten. Doch mauritische Programmierer sehen so etwas meist nur auf ihrem Bildschirmschoner. Die Arbeitstage sind wesentlich länger als die acht Stunden, von denen im Arbeitsvertrag die Rede ist. Rajeeb Gangussin ist Leiter des 3-D-Studios der Webdesign-Firma Mundocom und hat einen Stand auf der Jobmesse aufgebaut, um nach engagierten jungen Talenten Ausschau zu halten. Nicht Lebensqualität oder Multikulti – er hält den Standort Cybercity aus einem ganz anderen Grund für attraktiv.

"Hier arbeitet immer irgendjemand. Wir sind nicht alleine, wenn wir wie die Verrückten bis in den frühen Morgen arbeiten. Und um die Sicherheit unserer Mitarbeiter müssen wir uns keine Sorgen machen."

Doch es gibt auch Nachteile. Mauritius ist klein und sehr weit von allen Märkten entfernt. An der einzigen Universität wird erst seit wenigen Jahren Informatik unterrichtet. Und alle Internetverbindungen laufen über ein einziges Glasfaserkabel, das Europa über Afrika mit Indien und Südostasien verbindet.

"Die Internetverbindung ist ein Problem. Unser Breitband ist nicht wirklich breit. Aber für die meisten Aufträge – Webdesign zum Beispiel – ist das nicht so schlimm, denn die Dateien sind ziemlich klein. Nur bei 3-D-Filmen ist das schwierig. Da müssen wir Dateien mit vielen Gigabytes hin- und herschicken. Aber irgendwie kommen wir schon klar."

Flimmernde Flachbildschirme, Hochglanzprospekte auf Plastiktischchen, Popmusik aus dem Lautsprecher und jede Menge Computer – auf den ersten Blick ist nichts davon zu sehen, dass die Jobmesse in Mauritius und nicht in San Francisco oder Hannover stattfindet. Doch nicht alle Besucher glauben, dass sie hier tatsächlich den Zugang zur schönen neuen Welt der Informationstechnik finden. Vimal Boodhram hat schon in den vergangenen Jahren seine Bewerbungsunterlagen bei mehreren Firmen abgegeben – und trotz guter Zeugnisse nie wieder etwas von ihnen gehört.
"Tatsächlich bekommen wir so keine Jobs. Das ist eine Illusion. Nur wenn man den Personalchef oder den Manager der Firma persönlich kennt, hat man eine Chance. Nur dann. Auch die Kaste spielt eine Rolle und die politische Überzeugung. Diese Messe ist nur eine schöne Fassade, die ist eigentlich nutzlos."

Die meisten IT-Firmen werden von Mauritiern indischer oder chinesischer Abstammung geleitet. Wer zu einer anderen Bevölkerungsgruppe gehört, hat schlechte Chancen. Der Markt für Informationstechnik ist global, doch der Arbeitsmarkt bleibt lokal. Darunter leiden auch Absolventen wenig bekannter Studiengänge. Ubeia Deviata hat Versicherungsmathematik studiert und ist zur Jobmesse gekommen, um herauszufinden, ob sie damit eine berufliche Zukunft in ihrem Land hat.

"Ich glaube, in ganz Mauritius gibt es nur fünf Versicherungsmathematiker. Deshalb wollte ich mal gucken, ob es hier Firmen gibt, die für diesen Beruf etwas anbieten. Aber ich habe nichts gefunden. Wenn das so bleibt, dann wandere ich aus und such mir einen Job in Südafrika oder so."
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