Crispr-Technologie

Wir brauchen einen "politischen" Wissenschaftsjournalismus!

Mikroskopische Aufnahme einer Eizelle im Acht-Zellen-Stadium: Klon eines menschlichen Embryos
Mikroskopische Aufnahme einer Eizelle im Acht-Zellen-Stadium: Klon eines menschlichen Embryos © imago/UPI Photo
Von Lydia Heller · 11.02.2016
Theoretisch kann man damit ein Baby im Labor designen: Crispr heißt die Technologie, die Abschnitte eines Genoms aufspüren und durch andere ersetzen kann. Über solche und andere große Einschnitte in unser Leben müsste in der Öffentlichkeit kritisch debattiert werden. Aber kaum jemand macht mit.
Im April 2015 berichteten chinesische Genforscher über ihre Versuche, das Genom menschlicher Embryonen zu modifizieren.
Und zwar mit Crispr. Einer Technologie, die auf einem Mechanismus beruht, mit dem sich Bakterien gegen Viren wehren und die es ermöglicht, Abschnitte eines Genoms aufzuspüren und durch andere zu ersetzen. 2012 entdeckt, hat sich Crispr zu einem der präzisesten und effizientesten Werkzeuge der Gentechnologie entwickelt – mit dem erstmals vererbbare Modifikationen im menschlichen Genom relativ einfach möglich sind.
"Wir reden also über etwas, das in die menschliche Evolution eingreifen könnte."
Die Molekularbiologin Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley – eine der Entwicklerinnen der Crispr-Technologie – forderte unter anderem deshalb Ende des letzten Jahres zusammen mit Kollegen,
"dass die Anwendung von Crispr an menschlichen Embryonen zunächst ausgesetzt wird. Wir wollen eine globale Debatte, in der alle ethischen und gesellschaftlichen Konsequenzen einer solchen Technologie erörtert werden. Die beabsichtigten und die unbeabsichtigten."
"Wissenschaft und Technik müssen demokratisch legitimiert sein"
Gemessen an den Folgen, die eine Anwendung von Crispr haben könnte, nimmt diese Debatte allerdings nur langsam Fahrt auf. Die von Doudna mit einberufene Konferenz einigte sich letztlich darauf, dass ein Verbot von Genom-Manipulationen wenig sinnvoll wäre, dass das "Tor zur weiteren Forschung" offen bleiben müsse und dass in der Zeit eines Moratoriums nationale Regelungen zum Umgang mit Crispr koordiniert werden sollten. Besprochen wird also schon nicht mehr das "ob", sondern bereits das "in welcher Form", kritisiert Nicole Karafyllis, Biologin und Philosophin an der TU Braunschweig:
"Allgemein war meine Beobachtung, dass Akteure in Wissenschaft und Technik manchmal vergessen, dass Wissenschaft und Technik auch demokratisch legitimiert sein müssen. Die sind nicht an sich ein Zweck – sondern eine Gesellschaft entscheidet darüber, welche sie haben möchte."
Damit das aber passiert, müssten die Potenziale von Technologien einem breiten Publikum bekannt gemacht werden. Das ist vor allem die Aufgabe von Wissenschafts-Journalisten – aber gerade deren Ansatz, Wissenschaft vor allem spektakulär und spannend zu vermitteln, bewirke oft, dass Forschung als Science Fiction wahrgenommen wird, die mit der Lebenswelt der Menschen wenig zu tun hat.
"Diese Biotech-Debatten neigen ja dazu, immer gleich mit dem Menschen zu kommen und diese Frankenstein-Visionen zu avisieren."
Es sollte rational über Nutzen und Risiken nachgedacht werden
Zwar sollten Journalisten Entwicklungs-Szenarien entwerfen, aber:
"Keine Bilder produzieren, die Affekte generieren und damit verhindern, dass vernünftig über Nutzen und Risiken nachgedacht wird. Die Menschen haben eine Überdosis an Affekten. (…) Wenn Wissenschaft selber sagt, Machbarkeit ist schon ein ethisches Kriterium, dann ist es genau eine Gefahr des Wissenschaftsjournalismus, wenn sie diese Machbarkeit auch noch reproduzieren. Also wenn sie schon so tun, als sei die Frankenstein-Vision möglich, dann arbeiten sie genau dem in die Hände, dass über die Wünschbarkeit gar nicht mehr diskutiert wird. Im Agrarbereich, da wird nicht so diskutiert, obwohl es da schon die ersten Produkte gibt, also Raps aus Crispr-Technologien. Letzten Endes muss man sich fragen: Wo würde eigentlich das meiste Geld gemacht?"
Und: Wer finanziert konkrete Forschungsvorhaben und warum? Wer stellt welche Forschungsfragen und wer ist von welcher Forschung ausgeschlossen? Warum haben Venture-Kapitalisten bereits hunderte Millionen Dollar in Start-Ups gesteckt, die Crispr für Gen-Therapien nutzen wollen und warum führt Jennifer Doudna mit anderen Forschern einen erbitterten Streit um die Patentrechte für die Technologie – wenn doch noch gar nicht klar ist, ob und wie die Gesellschaft sie überhaupt nutzen will? Ist Doudnas Einsatz für eine ethische Debatte vielleicht nur PR, weil ihr größter Konkurrent bereits ausgereiftere Varianten der Technologie vorweisen kann?
Journalisten als Kritiker und Kontrolleure des Wissenschaftsbetriebs
"Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich der Journalismus. Der sich fragen muss: Wollen wir nicht auch die Kritiker und Kontrolleure des Wissenschaftssystems sein? Wollen wir einen dezidiert viel politischeren Wissenschaftsjournalismus machen?"
Sagt Markus Lehmkuhl, Kommunikationswissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
"Wo man erklärt, dass Wissenschaft ein soziales System ist, wo Menschen unterwegs sind und Interessen haben. Und Wissenschaft insbesondere in den Bio-Wissenschaften ein knallhartes Geschäft geworden ist mit einer großen Konkurrenz. Und wo es den Forschern eben nicht nur darum geht, dass nach außen zu kommunizieren, was die Wunder der Natur sind. Es geht ihnen auch darum, Punkte zu machen im Kampf um Ressourcen."

Dazu allerdings müsste man sich verabschieden von dem Wunsch, immer neueste Studienergebnisse präsentieren zu wollen und wissenschaftlich "gesicherte", Antworten auf Alltagsfragen liefern zu können.
"Im Moment ist es ja eher so: Wenn ein Wissenschaftler aufkreuzt mit einer windigen Geschichte, dann berichten sie nicht drüber. Man könnte sich aber auch vorstellen, dass man sagt: Seht mal her, hier ist ein Wissenschaftler, der braucht Forschungsmittel und drückt da voll auf die Hoffnungstube, tatsächlich kriegt er aber Geld von Unternehmen XY, solche Art von Geschichten. Die werden eben relativ wenig gemacht."
Wissenschaftsjournalisten vergessen häufig, dass die Wirklichkeit am meisten zählt, kritisierte jüngst auch der britische Guardian. Sie produziert eben meist keine spektakulären Schlagzeilen.
Aber: "Horror führt nicht zum Denken!"
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