"Crisis in Six Scenes" startet bei Amazon

Woody-Allen-Serie ist "abgedroschen"

Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes".
Woody Allen als Schriftsteller Sidney J. Munsinger in seiner Amazon-Serie "Crisis in Six Scenes". © Amazon Studios 2016
Henrik Efert im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.09.2016
Heute startet bei Amazon Prime die die mit Spannung erwartete Serie "Crisis in Six Scenes" von Woody Allen. Kritiker Henrik Efert ist von dem Ergebnis bitter enttäuscht. Der Filmemacher habe nicht verstanden, wie eine Serie funktioniert.
Für den Altmeister und Regisseur wunderbarer Filme wie "Stadtneurotiker", "Hannah und ihre Schwestern" oder "Match Point" ist "Crisis in Six Scenes" die erste Arbeit fürs Fernsehen. Unser Kollege Henrik Efert hat sich den Sechsteiler am Stück schon angesehen. Er hat bewährte Allen-Qualität erwartet – und wurde bitter enttäuscht.

Programmtipp: 14:37 Uhr in der Sendung Kompressor: Video-on-Demand in Bewegung - Interview zur Serie mit Jörg Taszman

Eferts wenig schmeichelhaftes Fazit: Woody Allen, inzwischen immerhin 80 Jahre alt, hätte lieber seine Finger vom Serien-Geschäft lassen sollen – oder aber sich jemanden zur Seite stellen lassen sollen, der im sich gut im TV-Geschäft auskennt.

Die Geschichte bietet Potenzial - das nicht genutzt wird

Dabei biete die Geschichte um einen in die Jahre gekommenen Werbefachmann, der mit seiner Frau in einer beschaulichen Vorstadt den Ruhestand genießt, viel Potenzial. Das Ganze spielt in den späten 60er-Jahren, deshalb, so will es der Serien-Plot, steht eines Tages eine militante Bürgerechtlerin auf der Flucht vor seiner Tür. Das Hippie-Mädchen, gespielt von Miley Cyrus, bringt sein Leben gehörig durcheinander.
"Ich finde, dass die Möglichkeiten, die eine serielle Erzählung bietet, einfach ungenutzt bleiben." Charaktere seien nicht ausgebaut, kaum Seitenstränge in die Handlung eingebaut worden. Auch eine epische Erzählweise suche man ebenso vergeblich wie die unverzichtbaren Cliffhanger, die das Publikum animieren, "dran" zu bleiben und die Handlung mit Spannung weiter zu verfolgen.

Miley Carus ist eine Fehlbesetzung

Allen habe sich von Amazon Prime Unabhängigkeit ausbedungen, die ihm offenbar auch gewährt worden sei. Doch zeige sich der Regisseur mit seinen in der Serie platzierten teils platten Seitenhieben auf den Fernsehbetrieb so "abgedroschen und unwissend", dass dies nur den Schluss zulasse: "Allen scheint das neue Serien-Fernsehen nicht verstanden zu haben.
Insofern hätte eine Einmischung von Amazon Prime vielleicht das Schlimmste verhindern können.
Zu diesem Schlimmsten, findet Efert, zähle auch die weibliche Hauptdarstellerin Miley Cyrus. Während Allen selbst routiniert und sehr glaubhaft in seiner Lieblingsrolle als Neurotiker agiere, sei Cyrus "eine absolute Fehlbesetzung".
Woody Allen führte den Auftrag offenbar ohnehin mit leichtem Unbehagen aus: Angeblich habe er das Geld gebraucht und deshalb dem Werben von Amazon Prime nachgegeben.

Das vollständige Interview zum Nachlesen:
Liane von Billerbeck: Woody Allen musste 80 Jahre alt werden für seine erste von ihm geschriebene und produzierte Fernsehserie. Heute startet "Crisis in Six Scenes" – ich wusste, dass ich da so ein bisschen stolpere – bei Amazon Prime Video. Nach jahrzehntelanger Arbeit als Filmemacher legt Allen nun seinen Sechsteiler vor, in den Hauptrollen Miley Cyrus und natürlich er selbst. Neben den USA und England gehören auch wir Deutschen zu den Auserwählten, die "Crisis in Six Scenes" ab heute sehen können, noch im Originalton, eine deutsche Synchronisation soll später im Jahr folgen. Hendrik Efert gehört zu denen, die sich bereits alle Folgen anschauen konnten. Worum geht es denn bitte schön?
Hendrik Efert: Ja, in "Crisis in Six Scenes" sehen wir das Amerika der 60er-Jahre. Also, der Vietnam-Krieg tobt, die Bürgerrechtsbewegung ist aktiv und Allen spielt selbst Sidney Munsinger. Das ist ein Autor und ehemaliger Werbetexter, der mittlerweile gut in die Jahre gekommen ist und der mit seiner Frau relativ friedlich in einem New Yorker Vorort lebt, in einem netten Haus mit zwei Autos davor, ja, und zunächst von all diesen Protesten und Aufregungen, die sein Land da gerade so erschüttern, relativ unbeteiligt lebt. Bis eines Nachts dann eine junge Frau namens Lennie bei ihnen Unterschlupf und den auch bekommt, denn die junge Frau ist mit Munsingers Frau bekannt und das sehr zum Leidwesen von Sidney Munsinger, dessen Neurosen und Paranoia jetzt total ausbrechen. Denn diese junge Frau wird vom FBI gesucht, ist eine flüchtige Revolutionärin, eine, ja, Anhängerin einer militanten Bürgerrechtsgruppe.
von Billerbeck: Da haben wir ja gleich wieder alles, was an Leitmotiven aus Woody Allens Werk bekannt ist. Hat ein Kollege gestern auch gesagt, ist ganz einfach, New York, Neurosen und eine junge Frau, die Chaos macht. Ist die Serie also ein typischer Allen?
Efert: Ja, irgendwo schon. Also, eigentlich bietet "Crisis in Six Scenes" – der Titel ist wirklich nicht so einfach – all das …
von Billerbeck: Nee, man stolpert immer darüber.
Efert: … ja, all das, was wir eigentlich so als Allen-Fans – und so würde ich mich auch selbst eigentlich bezeichnen – so an ihm lieben. Und ich mag auch zum Beispiel diese Erweiterung der Neurosen eben durch diese, man kann sagen, Überwachungsparanoia. Nur, insgesamt muss ich leider sagen, das Ganze findet nicht auf Allens eigentlichem Niveau statt. Also, ich werde den Eindruck nicht los, dass er sich mit dieser Serie wirklich verrannt hat, was ich sehr schade finde, denn ich habe mich extrem, muss ich zugeben, gefreut auf diese Serie. Er selbst hat ja auch schon in Interviews ich glaube im letzten Jahr schon zugegeben, dass er nicht wirklich Freude empfunden hat beim Drehen dieser seiner ersten Serie, und Amazon sei halt eben damals auf ihn zugekommen und er habe fast leichtsinnig zugesagt, wohl auch aus finanziellen Gründen.
von Billerbeck: Allen hat Geldsorgen, schließen wir daraus?
Efert: Ja …
von Billerbeck: Woran machen Sie das fest, dass das irgendwie nicht so richtig gut gelaufen ist?
Efert: Also, auf mich wirkt das Ganze wie ein langer Woody-Allen-Film, der einfach im Nachhinein in sechs Teile unterteilt wurde. Ich finde, dass die Möglichkeiten, die eine serielle Erzählung bietet, einfach ungenutzt bleibt. Man kann Charaktere ausbauen, man kann Seitenstränge einfügen, die das Ganze etwas epischer, etwas größer machen, Wendepunkte, Cliffhanger, wir kennen das mittlerweile alle, die Dramaturgie strecken und so weiter. Und ja, gut, man kann jetzt eben sagen, dann schaue ich mir das Ganze eben am Stück an, als Film, das würde ich auch empfehlen, so lange ist es insgesamt nicht, man kommt da glaube ich ungefähr auf zweieinhalb Stunden, also, so viel Material … Sechs Teile …
von Billerbeck: Sechs Teile in zweieinhalb Stunden? Das ist ja nichts!
Efert: Genau, es sind noch nicht mal 25 Minuten pro Folge. Das würde ich auch so empfehlen, sich das so anzuschauen, denn Amazon veröffentlicht heute alle Folgen auf einmal. Und dann kommt aber trotzdem am Ende wirklich nur ein eher, würde ich sagen, mittelmäßiger bis schlechter Woody-Allen-Film heraus, was wirklich schade ist, denn diese Grundidee, die 60er-Umstürze werden in das Haus eines alten Paares getragen … Was im Übrigen, das kann man ja auch noch mal sagen, wie ich finde, eine kleine Positivleistung der Serie ist, also über 80-Jährige in den Mittelpunkt einer Serie zu stellen, das ist neu, das gibt es so in der Form eigentlich noch nicht, und seine Schauspielpartnerin Elaine May, die ist 84, das darf man nicht vergessen, und das funktioniert sehr gut, das Zusammenspiel der beiden. Aber zum Beispiel Miley Cyrus als die junge Lennie hingegen finde ich eine absolute Fehlbesetzung, ich nehme ihr diese revolutionäre Göre so überhaupt nicht ab, sie spielt hölzern, sie ist eindimensional, funktioniert nicht.
von Billerbeck: Wen hätten Sie denn gern da gehabt?
Efert: Na ja, da hat Woody Allen ja schon andere Beispiele gehabt von jungen Frauen, die eben diese Rolle übernehmen, die wirklich viel besser funktionieren.
von Billerbeck: Tja, nun sind wir nicht so begeistert, höre ich aus dem Kritikermund. Amazon ist ja auf Allen zugekommen.
Efert: Ja.
von Billerbeck: Fragt man sich, hätte der Altmeister das vielleicht lassen sollen, das Ganze, oder gleich einen Film drehen, keine Serie?
Efert: Das ist natürlich eigentlich seine Disziplin, ganz klar. Also, ich kann aber auch Amazon verstehen, die eine Serie von ihm haben wollten. Denn wenn du eine Serie produzierst, damit bindest du natürlich die Zuschauer und die Kunden an dich. Also, an Filmen sind sie da nicht so interessiert. Und dass sie da Allen verpflichtet haben, das war von Amazon ein Coup, das ist ganz klar. Und ich bin mir natürlich … Oder ich bin mir sehr wichtig, dass Woody Allen aber nicht zugelassen hat, dass Amazon hineinredet. Also, Allen konnte glaube ich dann machen, was er wollte, inhaltliche Mitsprache hatten sie bei Amazon nicht. Was tatsächlich sehr schade ist, denn ich werde den Eindruck nicht los, Allen scheint dieses neue Serienfernsehen nicht verstanden zu haben und all die Möglichkeiten, die das bietet. Und ich meine, wir dürfen auch nicht vergessen, er ist 80 Jahre alt und das ist seine erste Serie. In der Serie gibt es inhaltlich auch immer mal wieder Seitenhiebe aufs Fernsehen, ja auch nicht neu bei Woody Allen, aber das gilt so für heute einfach nicht mehr und, finde ich, wirkt abgedroschen und tatsächlich auch ein bisschen unwissend. Also, die Entscheidung, finde ich, von Amazon ist hoch anzurechnen, dass sie eben versuchen, hier einen Altmeister in die Serie zu holen, sie versuchen ja eben, mit hohem Anspruch da gerade zu punkten, schaffen das ja sehr gut mit Serien wie "Transparent" oder "The Man in the High Castle". Ich glaube, bei Allen sollte es jetzt auch bei diesem einmaligen Versuch bleiben, er hat glaube ich gesagt, er macht keine zweite Staffel, er hat glaube ich keine Lust. Und wahrscheinlich ist es auch gut so.
von Billerbeck: Hätten sie also ihm doch ein paar Hilfen zur Seite stellen sollen.
Efert: Ja.
von Billerbeck: Hendrik Efert über die erste Serie, die Woody Allen gedreht hat, ist in mehreren Ländern, auch hier in Deutschland von heute an zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

"Crisis in Six Scenes", Regie: Woody Allen, Darteller: Woody Allen, Miley Cyrus u.a., ab sofort im englischen Original bei Amazon Prime, in sechs jeweils ca. 25-minütigen Episoden.

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