"Cosima hat die Festspiele gerettet"

25.07.2007
Cosima Wagner überlebte ihren Mann Richard um 50 Jahre. Sie habe das Festival nach seinem Tod für die Familie gerettet und eine Dynastie begründet, meint Oliver Hilms, Autor der Biografie "Herrin des Hügels – Das Leben der Cosima Wagner". Heute beginnen die Wagner-Festspiele, auf denen die Urenkelin Katharina Wagner ihr Regiedebüt gibt.
Tom Grote: Heute beginnen die diesjährigen Richard-Wagner-Festspiele und wie immer hätte man zehnmal so viele Karten verkaufen können. Dass die Wagner-Festspiele so erfolgreich sind, das lag vor allem an Cosima Wagner, Richard Wagners Frau. Sie überlebte ihren Gatten um 50 Jahre und baute letztlich den Wagner-Kult auf. Im Studio ist jetzt Oliver Hilmes. Er hat eine Biografie über Cosima Wagner geschrieben, Titel: "Herrin des Hügels". Tag, Herr Hilmes!

Oliver Hilmes: Tag, Herr Grote!

Grote: Cosima Wagner also eine durch und durch bewundernswerte Frau?

Hilmes: Ja, durch und durch. Also, was an Cosima so besonders ist, ist natürlich einerseits ihr familiärer Hintergrund. Also, wenn Sie die Tochter von Franz Liszt sind und in erster Ehe mit Hans von Bülow verheiratet waren, dann in zweiter Ehe mit Richard Wagner verheiratet waren, sind Sie, ob Sie es wollen oder nicht, eine besondere Frau. Aber Cosima ist auch eine besondere Frau, weil sie eben was ganz Eigenes geschaffen hat, nämlich diese Bayreuther Festspiele. Und ohne Cosima wäre dieses große Experiment zu Richards Zeiten mit Sicherheit gescheitert und das hätte keine Zukunft gehabt. Und Cosima hat die Festspiele gerettet und sie hat daraus eine Institution gemacht – musikalisch, gesellschaftlich und leider auch politisch.

Grote: Bevor wir dazu kommen, reden wir erst mal über die Familienverhältnisse zu Hause bei Wagners. Verheiratet war sie mit Hans von Bülow, hat aber in dieser Zeit drei Kinder von Richard Wagner bekommen. Das klingt nach einer sehr turbulenten Ehe.

Hilmes: Absolut. Die Ehe mit Hans von Bülow war im Grunde ein ganz großer Irrtum und man hat sich unter falschen Voraussetzungen kennengelernt, man hat sich Liebe eingeredet, wo im Grunde nur Mitleid oder Mitfühlen, Mitempfinden war. Und das Ganze scheiterte dann relativ schnell. Und sie hat ja denn auf der Hochzeitsreise mit Bülow bereits Richard Wagner kennengelernt, also ganz dramatisch. Die Skepsis war eigentlich zu Beginn da. Cosima hielt von Wagner eigentlich zu Beginn gar nicht so viel, aber nachher hat sich das dann wirklich total gewandelt, vor allen Dingen in Liebe. Und das Ganze endete natürlich als wirklich dramatische Ehetragödie, die in dem, was also man nachmittags so in den Privatsendern zu hören bekommt im Fernsehen, eigentlich in nichts nachsteht. Also wirklich mit Lug und Betrug, mit Hörnern aufsetzen und...

Grote: Was ist da genau passiert? Erzählen Sie mal eine Geschichte.

Hilmes: Na ja, ich meine, der Hans von Bülow hat zum Beispiel Cosima und Richard in flagranti erwischt und... Aber dann geschah das völlig Unfassbare: Es gab keine Auseinandersetzung, es gab keinen Streit, man ist einfach zur Tagesordnung übergegangen.

Grote: Weil Bülow so stolz war?

Hilmes: Ja, ich glaub schon. Also, Bülow war ein Mann, dessen Ehre ihm bis zur Scheinheiligkeit heilig war. Und er wollte, hat wahrscheinlich das im Innersten geahnt, was da passiert. Und er hat es dann aber vorgezogen, drei Kuckuckseier auszubrüten, weil er wahrscheinlich Angst hatte davor, gesellschaftlich unmöglich zu werden. Denn wir reden ja über die 1860er Jahre in München.

Grote: Wieso hat sich Cosima so schwergetan, klare Verhältnisse zu schaffen, sondern erst drei Kinder bekommen und dann Wagner geheiratet?

Hilmes: Ja, weil sie offensichtlich davon ausging, dass es irgendwie immer doch noch eine andere Lösung möglich gewesen wäre für eine Ménage à Trois. Sie hat also, in ihrem Abschiedsbrief an Hans spricht sie auch davon, dass sie immer geglaubt hat, man hätte auch eine Lösung zu dritt, ein Arrangement finden können. Und sie hatte natürlich unglaubliche Schuldgefühle Bülow gegenüber. Und die hatte sie ihr Leben lang. Und angeblich waren auch ihre letzten Worte auf dem Totenbett: "Verzeih!", in Richtung Hans.

Grote: Sie erzählen all diese pikanten Details in Ihrem Buch, urteilen über Cosima Wagner aber überhaupt nicht. Weil niemand letztlich weiß, wie sie wirklich war, oder warum?

Hilmes: Nein, weil das mein Verständnis von einer guten Biografie ist. Ich glaube ganz tief und fest an die Intelligenz meiner Leserinnen und Leser und die sollen sich ihr eigenes Urteil bilden. Ich bin sozusagen ein Moderator, der durch die verschiedenen Quellen, durch die verschiedenen Details und Fakten führt und ein Bild versucht zusammenzusetzen, aber ein Urteil, das steht dem Leser alleine zu.

Grote: Heute beginnen die diesjährigen Wagner-Festspiele. Deutschlandradio Kultur dazu im Gespräch mit Oliver Hilmes. Er hat eine Biografie über Wagners Frau Cosima geschrieben. Herr Hilmes, was glauben Sie: Hatte Cosima Wagner Richard geliebt oder das musikalische Genie Wagner?

Hilmes: Das ist wirklich schwer zu beurteilen. Also ich glaube natürlich, beide geliebt. Aber sie hat natürlich Wagner verehrt. Es gibt Sätze von ihr, die an Unterwürfigkeit nur schwer zu ertragen sind. Also Sätze wie: "Jeder Satz von Richard ist ein Glaubenssatz für mich!" Und sie hat ihn wirklich ganz tief verehrt und sie hat natürlich aber auch seine Musik geliebt, das ist keine Frage.

Grote: Waren sie glücklich miteinander?

Hilmes: Auch das ist schwer zu beurteilen. Weil wir natürlich unsere Vorstellungen von ehelichem Glück wahrscheinlich dann darunter verstehen. Wagner hatte hin und wieder kleinere Affären, wo bis heute gestritten wird, wie platonisch diese Affären waren oder nicht waren. Ich denke schon, dass die glücklich waren. Da haben sich einfach zwei gefunden. Das passte wie der Deckel auf den Topf.

Grote: Sie schreiben in Ihrem Buch, die Ehe mit Wagner war für Cosima eine Mission. Was denn für eine?

Hilmes: Ja, es war eine Mission, vor allen Dingen nach Wagners Tod, das Erbe fortzuführen und eine Dynastie zu begründen. Ich nenne das in meinem Buch "das dynastische Prinzip". Dass also Cosima nach Wagners Tod die Festspiele für die Familie gerettet hat und dass sie sich als Statthalterin für ihren Sohn, der ja noch relativ klein war, Siegfried, empfand. Und wenn Siegfried denn alt genug eines Tages sein sollte, dann würde er das Zepter von seiner Mutter übernehmen und dieses ...

Grote: Was dann nicht geklappt hat.

Hilmes: Was nicht, ja, was, doch, er hat es dann 1908 bereits übernommen, das Zepter. Weil Cosima ist 1906 krankheitsbedingt zurückgetreten. Sie war ja auch schon sehr alt zu dem Zeitpunkt. 1907 gab es keine Festspiele, 1908 hat Siegfried die ersten Festspiele geleitet. Dann gab es eine Kriegspause und Siegfried ist natürlich ganz kurz nach seiner Mutter gestorben. Das ist völlig richtig. Aber dieses dynastische Prinzip hat sie begründet. Und dieses dynastische Prinzip haben wir ja in Ansätzen auch heute noch in Bayreuth.

Grote: In der "Welt" stand zu lesen: "Wenn wir in Deutschland eine Figur haben, die von gerade ersatzreligiöser Beweihräucherung vernebelt ist, dann Wagner." Welchen Anteil hatte daran seine Frau?

Hilmes: Ich denke, einen ganz großen Anteil. Wagner hatte natürlich schon ein elitäres Selbstbewusstsein, wie jeder Künstler das wahrscheinlich irgendwie hat. Aber Wagner wäre es glaube ich sehr unangenehm gewesen, beobachten zu müssen, welchen Heckmeck, wenn ich das so sagen darf, Cosima mit ihrem Mann nach dessen Tod veranstaltet hat. Da wurden also … Meisterworte wurden da gewechselt und da wurden verschiedene weihevolle Dinge berichtet. Das war ihm eigentlich fremd. Wagner wollte ein, wollte Mensch unter Menschen sein und ließ sich eigentlich nur sehr ungern zum Halbgott erhöhen. Und das war sicherlich Cosimas großes Werk.

Grote: In Ihrem Buch heißt es außerdem, Cosima Wagner hätte die Wagner-Verehrer schon vor ’33 zu einer antisemitischen Sammelbewegung geformt. Wie hat sie das gemacht und was hat sie sich davon versprochen?

Hilmes: Ja, das war eines der großen Anliegen meines Buches. Ich wollte eine Lücke schließen. Also, zwischen 1883, Wagners Tod, und dem ersten Auftreten der NSDAP und der Nationalsozialisten und Hitler 1923 in Bayreuth. Und ich wollte also klarmachen, dass es dazwischen auch eine Geschichte gab und dass die Hitlerei also nicht vom Himmel auf Bayreuther Boden gefallen ist, sondern dass sich die Antisemiten, die Chauvinisten, die Deutschnationalen eigentlich schon um 1900 oder um 1895 sehr wohl in Bayreuth gefühlt haben. Und Cosima hat das geschafft, indem sie Wagners politisches Denken und Wagners ideologisches Denken, das sehr widersprüchlich war, kanonisiert hat und in eine ganz bestimmte Richtung interpretiert hat.

Grote: Hat sie Wagners Antisemitismus übernommen einfach, oder hatte sie selber welchen?

Hilmes: Sie war selber natürlich Antisemitin, da besteht keine Frage. Aber Cosima hat Wagners Antisemitismus kanonisiert. Und so blieb also am Ende für viele Leute nur noch der antisemitische Wagner, der Wagner der sogenannten Spätzeit der Regenerationsschriften übrig. Dass Wagner aber in seiner Anfangszeit ein politischer Linker war, ein Revolutionär war, der für die europäische Revolution zum Beispiel in Polen geschwärmt hat und und und und, das wurde aus der Wahrnehmung völlig eliminiert und so blieb also nur dieser eine Wagner über. Und das war sicherlich Cosimas Interpretationswerk.

Grote: Also, dass die Nazis Wagner und die Festspiele so vereinnehmen konnten, dann unter Winifried Wagner, dafür hat Cosima den Grundstein gelegt?

Hilmes: Ja, Cosima hat den Zug auf die Schienen gesetzt und angestoßen. Das ist völlig richtig. Denn sonst wäre das gar nicht möglich gewesen. Also Bayreuth war schon viele, viele Jahre vor Hitler schon anfällig für braunes, nationalsozialistisches oder, ganz allgemein gesprochen, antisemitisches Gedankengut. Gar keine Frage.

Grote: Mich persönlich wundert ja, dass es noch keine TV-Soap gibt mit dem Titel "Was ist denn heut bei Wagners los?". Alle naselang wird über jede Kleinigkeit an Familienquerelen berichtet. Ist Cosima mit ihrem Leben letztlich auch dafür verantwortlich?

Hilmes: Ja, es gibt vielleicht so etwas wie den Fluch der Selbstverleugnung, den man also gerade auch bei den Kindern Cosimas ganz deutlich nachempfinden kann, und dass vielleicht immer es diesen Überbau gab und dieses Dienen für eine bestimmte Sache. Dieses Dienen oder diese Verpflichtung zum Werk hat vielleicht einen gewissen Sumpf entstehen lassen, wo also bestimmte Dinge besonders gut blühten. Also man sieht das ja zum Beispiel bei Cosimas Sohn Siegfried, der also geradezu zum Dirigenten und Festspielleiter dressiert wurde, obwohl er eigentlich viel lieber Architekt geworden wäre und möglicherweise sogar ein guter geworden wäre, denn als Komponist war er allenfalls mittelmäßig. Aber das wissen Sie meine ich damit, dass da also möglicherweise eine Dressur stattfand und die Menschen eigentlich einen Fluch zur Selbstverleugnung auferlegt bekamen, weil sie etwas Höherem dienen mussten, was sie vielleicht gar nicht machen wollten.

Grote: Nun waren ja oder sind ja drei Damen im Gespräch aus dem Wagner-Klan, die Wolfgang Wagner beerben sollen: Katharina, Eva und Nike. Kann man sagen, die Wagner-Frauen sind besonders dominant oder woher kommt deren Interesse, herrschen zu wollen über dem Grünen Hügel?

Hilmes: Das kann ich jetzt in dem ganz aktuellen Fall nicht ganz beurteilen. Vielleicht, es gibt ja auch noch Männer in dieser Generation, vielleicht weil die sich...

Grote: Ach, von denen hört man relativ wenig in diesem Zusammenhang.

Hilmes: Ja, das kann ich jetzt nicht genau beurteilen. Aber vielleicht haben die sich halt auch unmöglich gemacht. Aber es ist nur eine Vermutung, ja? Dass die drei Damen, die jetzt im Gespräch sind, natürlich alle in ihrer Art irgendwie qualifiziert sind, darin besteht ja keine Frage. Wer es jetzt im Endeffekt machen wird, das würde natürlich die Familie ganz gerne auch wiederum dynastisch entscheiden. Das heißt also, eine dynastische Entscheidung außerhalb eines demokratischen Findungsprozesses. Aber da gibt es natürlich jetzt auch noch diese ganzen Stiftungsgremien, Stiftungsbehörden, die das im Endeffekt zu entscheiden haben. Wir werden sehen. Ich denke, es bleibt spannend!

Grote: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Oliver Hilmes. Er hat eine Biografie über Wagners Frau Cosima geschrieben. Titel: "Herrin des Hügels". Erschienen ist die im Siedler Verlag zum Preis von 24,95 Euro. Vielen Dank, Herr Hilmes!

Hilmes: Gerne!