Cornelia Funke

    Von Tobias Wenzel · 30.08.2013
    Warum kommt sich Cornelia Funke auf einem kalifornischen Friedhof wie im Urlaub vor? Und inwiefern war sie schon mal eine Kaulquappe?
    "Schwarze Beine, weiße Federn. Unglaublich elegante Erscheinung. Du siehst sehr schön aus, doch!"

    Cornelia Funke beobachtet einen Silberreiher, der im Gras vor einem künstlich angelegten See mit Springbrunnen steht und neugierig zu uns herüberblickt.

    "Interessant, wie schmal der von vorne ist. Fast, als wenn ihn jemand geschrumpft hätte."

    "Oder plattgewalzt", sage ich.

    "Ja, so sieht er wirklich aus! Entschuldigung, das ist sehr respektlos."

    Dem Reiher gegenüber. Es ist, als wäre Cornelia Funke von einer Sekunde auf die andere in die Haut des Vogels geschlüpft, um aus dessen Warte die Welt wahrzunehmen: diesen sonnigen Friedhof unter Palmen in Hollywood, auf dem Peter Lorre, Jayne Mansfield, Douglas Fairbanks und viele andere Schauspieler begraben liegen. Cornelia Funke kam die Idee, hier eine Geistergeschichte anzusiedeln. Aber auch aus einem anderen Grund hat sie diesen Friedhof für unser Gespräch gewählt:

    "Weil ich dem Tod ja auch in Los Angeles begegnet bin und nicht in Europa."

    Vor fünfeinhalb Jahren starb ihr Mann Rolf Frahm, zehn Monate, nachdem die Familie mit den Kindern Anna und Ben aus Deutschland nach Kalifornien gezogen war. Ganz automatisch denkt Cornelia Funke auf diesem Friedhof an ihren Mann, obwohl sie die Urne mit seiner Asche bei sich zu Hause aufbewahrt. Einmal entdeckte sie eine Blume am Straßenrand und dachte, die sei von ihrem Mann.

    Cornelia Funke auf dem Hollywood Cemetery, Los Angeles
    Cornelia Funke auf dem Hollywood Cemetery, Los Angeles© Tobias Wenzel/ Knesebeck Verlag

    "Ich empfinde Tod und Leben so unmittelbar miteinander verbunden, dass sie für mich auch sehr friedlich miteinander leben. Und das hat auch der Tod meines Mannes nicht geändert. Wenn ich also hier bin, denke ich immer: Na, das würde dir hier wahrscheinlich gefallen. Ich habe meinen Mann ja nicht begraben lassen, weil wir immer gesagt haben: Oh Gott, Begräbnisse, das ist ja etwas Furchtbares! Das ersparen wir einander. Aber als ich heute hier stand, habe ich gedacht: Na, das wäre wahrscheinlich am ehesten noch der Platz, wo er sich vorstellen könnte, so etwas wie ein Grab zu haben, weil man auf diesem Friedhof fast den Eindruck hat, dass der Tod ein Urlaub ist zwischen den beiden Leben. Das heißt, man ruht sich eine Weile aus. Und dann geht's wahrscheinlich weiter ins nächste."

    Seit ihrer Kindheit glaubt Cornelia Funke fest daran, dass es so etwas wie Wiedergeburt gibt. Damals verärgerte sie ihre Mutter mit dem Satz: Der Tod sei doch nichts anderes als eine Tür. Ähnlich hätten ihre eigenen Kinder gedacht:

    "Ich weiß, dass, als Ben so drei oder vier war, wir immer durch den Garten gegangen sind und uns überlegt haben, als was wir wiedergeboren würden. Wie das denn wäre, wenn man eine Kaulquappe im Teich wird. Oder ob man denn gerne ein Frosch wäre. Oder was mit der Fliege ist. Das heißt, dieses Gefühl, dass Kinder haben und das ich mir seltsamerweise erhalten habe, ist, dass wir alle Gestaltwandler sind, wenn wir jung sind. Wir ziehen da noch nicht so die Grenze zwischen uns und dem Außen, wie wir es uns dann als Erwachsene vorschreiben. Ich glaube, das ist eine vollkommene Illusion, die Grenze zwischen dir und dem zu ziehen, was um dich herum ist."

    "Guck mal da, das Eichhörnchen!"

    Das graubraune Tier rennt über den getrimmten Rasen vorbei an Marmorgräbern und klettert am Stamm einer Palme hoch. Und mit ihm in Gedanken, ganz sicher, Cornelia Funke.

    "Cornelia Funke, Hollywood Cemetery, Los Angeles, USA"