"Colonia" von Florian Gallenberger

"Da wurde Schuld auf sich geladen"

Lena (Emma Watson) und Sektenführer Paul Schäfer (Mikael Nyqvist) in dem Film "Colonia"
Lena (Emma Watson) und Sektenführer Paul Schäfer (Mikael Nyqvist) in dem Film "Colonia" von Regisseur Florian Gallenberger. © picture alliance / dpa / Foto: Majestic/Ricardo Vaz Palma
Florian Gallenberger im Gespräch mit Susanne Burg · 19.09.2015
Florian Gallenbergers Spielfilm "Colonia" versucht Einblicke in die deutsche Sekte Colonia Dignidad in Chile zu ermöglichen. Bis heute seien in Deutschland die damaligen Verbrechen nicht aufgearbeitet worden, kritisiert Gallenberger im Gespräch.
Susanne Burg: Sie hatten hier in Toronto die Premiere von "Colonia". Wie war die Reaktion des Publikums auf ihren Film?
Gallenberger: Also es war toll, zuerst mal am Kino anzukommen und an einer Menschenschlange, die um zwei Häuserblocks rum steht, vorbeizufahren, die alle am Kino anstehen, um in den Film reinzugehen – das ist schon mal das erste tolle Gefühl. Und dann ist es auch ein ganz toller Saal gewesen, 1800 Leute fast, und da entsteht dann natürlich auch eine andere Energie. Und dann ist das Publikum hier sehr freigiebig und es geht voll mit dem Film mit, und wir hatten Szenenapplaus und am Ende auch wirklich einen ganz tollen Applaus. Wir hatten ja auch Schauspieler und auch einen ehemaligen "Colono" mit dabei, das war durchaus bewegend, das war schon toll.
Burg: Nach der Vorführung kam dann auch die Frage auf, ist es denn ein deutscher Film, es wird ja auch auf Englisch gesprochen. Was ist Ihre Antwort, ist es ein deutscher Film?
"Es ist ein deutscher Film mit internationaler Ambition"
Gallenberger: Die Frage impliziert ja, dass man das immer so genau festlegen können müsste. Es ist natürlich ein deutscher Film, weil er aus Deutschland heraus entstanden ist. Also ich bin Deutscher, Benjamin Herrmann, der Produzent, ist Deutscher, die Finanzierung ist zum größten Teil deutsch, Daniel Brühl ist Deutscher. Aber wir wollten diesen Film als deutschen Film machen, der aber international auswirkbar ist und der eben ganz dezidiert über die deutsche Grenze hinaus denkt und es nicht hier aufhört und dann irgendwie in zwei, drei Territorien noch so eine kleine Auswertung erfährt, sondern der wirklich versucht, weltweit gesehen zu werden. Und deswegen ist es ein deutscher Film mit internationaler Ambition.
Emma Watson und Daniel Brühl in dem Film "Colonia"
Lena (Emma Watson) und Daniel (Daniel Brühl) geraten in die Straßeunruhen während des Militärputschs in Chile - Szene des Films "Colonia".© picture alliance / dpa / Foto: Majestic/Ricardo Vaz Palma
Burg: Wie gut ist Toronto genau für diese Ambitionen?
Gallenberger: Also Toronto ist ja das größte und wichtigste Festival in Amerika, das durchaus ein bisschen anders ist als die drei großen Festivals in Europa. Es hat keinen Wettbewerb, es ist ein Publikumsfestival, es ist ein Festival, wo die Amerikaner viele ihre Filme sozusagen, in Anführungszeichen, "testen", und von daher ist es für uns ein Film, der eben versucht, für ein größeres Publikum zu sein, ist es der ideale Ort. Und es gibt einem auch selber als Filmemacher einfach viel zurück, wenn man da steht und merkt, wie die Leute auf den Film einsteigen, wie die mitgehen, und nachher im Publikumsgespräch dann auch hört, was ihnen der Film bedeutet hat. Das ist schon toll.
Burg: Sie haben lange an dem Film gearbeitet, seit 2009 – was hat so lange gedauert, was war das Schwierige dabei?
Gallenberger: Es war vor allem die Recherche, also die Colonia Dignidad ist ja eine Sekte, und es ist ja jetzt nicht so, dass man einfach hingeht und sagt, hallo, ich möchte einen Film machen, könnt ihr bitte mal genau erzählen, wie es war, damit wir wissen, was wir machen müssen im Film, sondern sich da ranzuarbeiten und Vertrauen aufzubauen zu so einer Handvoll jüngerer Sektenmitglieder, die mich dann Schritt für Schritt immer weiter haben einen Einblick gewinnen lassen, wie ihre Leben waren, wie das Leben in der Colonia überhaupt war, das hat einfach so um die drei Jahre gedauert, bis ich wirklich an dem Punkt war, wo ich sagen würde, ich hab alles gesehen, was da drinnen passiert ist, und mir ist das von denen alles gezeigt worden. Wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, ich weiß wirklich, wie das Leben in der Colonia war, dann hätte ich immer gedacht, na ja, vielleicht erzähle ich von was, was das am Ende nicht stimmt. Ich glaube, dass es, wenn man so einen Film macht, schon wichtig ist, um den Menschen, die da drinnen waren und das erleiden mussten, gerecht zu werden, dass man wirklich weiß, wovon man spricht.
Burg: Sie haben dann eine Geschichte erzählt, eine Liebesgeschichte im Grunde genommen. Warum haben Sie das so gemacht, dass zwei Menschen von außen hineinkommen?
"Das Leben in der Colonia war wirklich sehr hart"
Gallenberger: Das Leben in der Colonia war wirklich sehr hart, und ich dachte, dass wenn wir keinen Anknüpfungspunkt haben, mit dem man sich leichter identifizieren kann, könnte auch sein, dass man einfach nur dran abprallt eigentlich. Die Idee, dass jemand, der, in Anführungszeichen, "so ist wie wir", also kein Sektenmitglied, in diese Welt reinkommt, das fand ich spannend, weil das irgendwie das ist, was mit einem selber passiert, wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt: Man wird plötzlich mit was konfrontiert, was man für vollkommen unmöglich gehalten hätte.
Und dieses Erlebnis dem Zuschauer zu geben, mit Emma Watson in die Colonia zu kommen und plötzlich damit konfrontiert zu sein, das hat mich interessiert, weil ich eigentlich auch dem Publikum nicht was sozusagen didaktisch vorbeten wollte, sondern eigentlich den Leuten über ein Erleben eine Einsicht geben möchte. Und wenn man diese Brutalität und diese rigorose menschenverachtende Haltung, die dort geherrscht hat, wenn man das im Film miterlebt, dann glaube ich dran, dass man sich im Nachhinein dafür interessieren wird. Und für mich war eher wichtig, nicht das Kapitel Colonia abzuschließen, indem, dass man die Antwort gibt, warum das so war und wie das war, sondern das Kapitel eher aufzureißen und zu sagen, wenn ihr den Film gesehen habt, dann geht nachher ins Internet und recherchiert und findet raus, was es dort alles noch gegeben hat. Es soll eher ein Anstoß sein, der Film.
Der deutsche Regisseur Florian Gallenberger
Der deutsche Regisseur Florian Gallenberger auf der Premiere seines Films "Colonia" auf dem Filmfestival in Toronto. © picture alliance / dpa / Foto: Warren Toda
Burg: Paul Schäfer war ja derjenige, der da so die Fäden in der Hand hielt, aber er hat ein sehr gutes System entwickelt, diese Kontrolle weiterzugeben. Wie war eigentlich das Verhältnis von Opfer und Täter? Man hat ja nicht den Eindruck, dass dann die Sektenmitglieder alle Opfer waren.
Gallenberger: Na ja, das waren sie ganz sicher nicht. Letztlich wie in einer Pyramide: An der Spitze steht Paul Schäfer, der meiner Ansicht nach tatsächlich nur Täter war, aber schon ab dem zweiten Mann, könnte man sagen, gab es ein Verhältnis aus Opfer- und Täterschaft. Und je weiter man unten in der Pyramide angesiedelt war, umso mehr war man Opfer. Letztlich haben alle in dem Laden sehr gelitten, außer Schäfer, und es ist immer im Nachhinein schwierig, jetzt mit dem Finger auf Leute zu zeigen. Aber was für mich eher wichtig war, sind diejenigen, die dort geboren wurden. Die Generation Paul Schäfer, das waren Menschen, die sind eingetreten und die haben in einem gewissen Maße eine Entscheidung getroffen, dass sie da mitmachen wollen, dass sie dabei sein wollen.
Aber deren Kinder, die dort dann ab 61 in Chile geboren wurden, die sind in diesem total von der Welt abgekoppelten, luftleeren Raum hineingesetzt worden, und denen wurde nicht nur die Kindheit, aber auch die Kindheit gestohlen – sie sind ja nicht mit ihren Eltern aufgewachsen, sondern in Gruppen getrennt von den Eltern aufgewachsen. Denen wurde so viel geraubt, und das finde ich eher das, wo die echte Opferschaft sitzt, weil es gar keine Entscheidung für dieses System gegeben hat, sondern einfach nur Auslieferung. Es haben viele versucht zu fliehen, es sind einige bei der Flucht umgekommen, viele sind dann skandalöserweise von der Botschaft wieder zurückgeschickt worden, wenn sie in der deutschen Botschaft angelangt waren. Was mir wichtig ist, ist, der Film ist keine Analyse und keine Erklärung, sondern ein Erlebnis. Und das, was dann aus dem Erlebnis kommt, liegt am Zuschauer, ob er sich damit auseinandersetzen möchte und tiefer eindringen möchte, oder ob es einfach nur eine Kinoerlebnis bleibt.
Burg: Sie haben eben erwähnt, dass einige, die es in die Botschaft, in die deutsche Botschaft geschafft haben, dann wieder zurückgebracht wurden, weil es eben eine Kollaboration gab zwischen der Pinochet-Regierung und den Botschaftsmitgliedern und auch der Colonia Dignidad. Ist das genug aufgearbeitet worden, Ihrer Meinung nach, auch in Deutschland?
"Das ist auch eine Schande, dass das damals passiert ist"
Gallenberger: Eigentlich überhaupt nicht aufgearbeitet worden in Deutschland. Das ist auch eine Schande, dass das damals passiert ist, und es ist eine Schande, dass bis heute man sich damit nicht auseinandersetzen möchte, muss man wirklich sagen. Das sind die Jahre bis 85, vor allem also ab 73, ab Pinochets Machtübernahme oder Machtergreifung, ab dem Putsch bis 85 hat die Botschaft sehr, sehr eng da kooperiert, es gab sehr enge Verbindungen mit der Botschaft von Colonia Dignidad.
Und es gab einen deutschen Botschafter, der dann, als die ersten Vorwürfe laut wurden, als die ersten Verdächtigungen aufkamen, drei Tage in die Colonia gefahren ist und sozusagen sich alles angeschaut hat, um zu gucken, was da los ist, und dann danach eine Pressekonferenz gegeben hat, wo er im Namen der Bundesrepublik sozusagen sein Ehrenwort gegeben hat, dass diese Vorwürfe von Folter und Missbrauch, dass das alles nicht der Fall sei und dass die Welt eine bessere Welt wäre, wenn es mehr Menschen gäbe wie Paul Schäfer und seine Gemeinde. Das ist natürlich alles kein Ruhmesblatt, und man kann irgendwo verstehen, dass man sich damit nicht auseinandersetzen möchte, aber in dem Fall geht es nicht um man möchte oder man möchte nicht, sondern man muss das machen, weil da Schuld auf sich geladen wurde und Leute sehr gelitten haben und Organisationen oder Institutionen einfach versagt haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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