Clown und Mythos

Von Kathrin Hondl · 07.06.2005
"Chaplin und die Bilder" ist eine facettenreiche Ausstellung im Pariser "Jeu de Paume" von der Entstehung des Filmclown-Bildes Charlie. Sie zeigt, wie eine der populärsten Figuren des 20. Jahrhunderts zum Mythos wurde, zu einem universellen Medienbild. 2006 ist die Ausstellung in Hamburg zu sehen.
Der berühmte Boxkampf in "Die Lichter der Großstadt" – eine geniale Szene: tänzelnd umkreist der schmächtige Charlie seinen kräftigen Gegner – duckt sich, lässt den anderen ins Leere hauen – stolpert kurz darauf selbst zu Boden – träumt in den Seilen hängend von seiner schönen Geliebten – tänzelt weiter – duckt sich – haut ins Leere – fällt. Ein burlesker Klassiker, eine Szene, in der Chaplin, der Regisseur, und Charlie, der Schauspieler, nichts dem Zufall überlassen haben, so Sam Stourdzé, der Kurator der Pariser Ausstellung:

" Chaplin offenbart sich als Perfektionist. Seine Kurzfilme sind Laboratorien für die großen Spielfilme. In den Kurzfilmen probiert er viele Ideen und Gags aus, bevor er sie in den langen Filmen verfeinert. So gibt es unzählige Boxszenen – schon in den ersten Filmen, die er 1914 bei Keystone produzierte: "The knock-out" zum Beispiel. In einem späteren Film – "The champion" – greift er die Szene wieder auf, um sie danach weiter zu perfektionieren – beim berühmten Boxkampf in "Die Lichter der Großstadt". "

Die schrittweise Perfektionierung des Boxers Charlie verdeutlicht, wie intensiv Chaplin an seiner berühmten Kunstfigur gearbeitet hat. Mit verbeultem Anzug, Schnürstiefeln, Stock und Melone wurde Charlie, der Tramp, oder Charlot, wie ihn die Franzosen nennen, der erste Star der Kinogeschichte. Doch dieser Tramp der ersten Filme hat außer dem Kostüm noch wenig Ähnlichkeit mit dem melancholisch-komischen humanistischen Charlie, der unser kollektives Gedächtnis geprägt hat.

Der Charlie der ersten Filme ist ein ziemlich hinterhältiger Bursche, einer, der die Frau seines Nachbarn verführt und seine Kollegen betrügt – ein eher unsympathischer Spezialist für Tritte in den Hintern. Erst als Chaplin bei seinen Filmen selbst Regie führt und vor allem, als er 1916 auch Autor und Produzent wird, verfeinert sich das Emotionen-Repertoire seines Clowns. Charlie wird verliebter, komischer und pathetischer. Und: Er wird ein Tänzer – Chaplin, der Regisseur erweist sich als begnadeter Choreograph:

" Als Chaplin den Charlot geschaffen hat, und er auch als Regisseur und Produzent arbeitet, ensteht diese einzigartige Choreographie der Bewegung: eine mechanische Bewegung, ein Körper in Bewegung, ein mechanischer Körper – das ist es, was Chaplin auszeichnet. "

Und was ihn heute auch, sozusagen am Ende seiner Karriere, ins Museum für moderne Kunst einziehen lässt. In die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hat er sich ja ohnehin schon eingeschlichen - Chaplin, der Clown, wurde von vielen Künstlern seiner Zeit bewundert und in ihre Werke integriert.

Kurator Sam Stourdzé: " Von 1918 - 19 an fasziniert Chaplin die Avantgarden. Überall in Europa taucht Chaplin als gemeinsamer Nenner auf. Von den Surrealisten bis Dada, ob Konstruktivisten, Bauhaus oder Futuristen: Alle machen sie irgendwann einmal Chaplin zum Mittelpunkt ihrer Arbeit. Fernand Léger etwa war so völlig begeistert von Charlot, dass er aus ihm einen kubistischen Charlot machte. "

Nicht nur für die Avantgarden der Vergangenheit, auch für viele Künstler von heute ist Chaplins Werk eine Referenz geblieben. Robert Fleck, Direktor der Hamburger Deichtorhallen, erzählt in einem Text zur Ausstellung, wie begeistert Jonathan Meese war, als er hörte, dass "Chaplin und die Bilder" nächstes Jahr gleichzeitig mit seiner Retrospektive in Hamburg gezeigt wird. "Chaplin ist der Größte!" soll Jonathan Meese gejubelt haben – "besser als Picasso oder sagen wir: genauso gut."

"Chaplin und die Bilder" – facettenreich erzählt diese Ausstellung von der Entstehung des Filmclown-Bildes Charlie – ein Bild, das Chaplin zunächst meisterlich steuert und kontrolliert, und das ihm dann doch wieder entgleitet. Denn Chaplin, der humanistische Clown, wird ein Mythos, die vielleicht populärste Figur des 20. Jahrhunderts, ein universelles Medienbild. Universell nicht zuletzt auch deshalb, weil Chaplin eine eigene Sprache erfunden hat. Eine Sprache, die jeder versteht … oder auch nicht. Wie am Schluss von "Moderne Zeiten".

Service:

Die Ausstellung "Chaplin et les images" ist im Jeu de paume in Paris vom 7. Juni bis 18. September 2005 zu sehen. 2006 wird sie in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt.

Link:

Jeu de paume