Clemens Fuest: Sanierung des Haushalts durch Kürzungen

Clemens Fuest im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 07.06.2010
Nach Ansicht von Clemens Fuest, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums, muss die Bundesregierung bei der Sanierung des Haushalts die Sozialausgaben kürzen und den ermäßigten Mehrwertsteuersatz weitgehend abschaffen.
Jörg Degenhardt: Freibier für alle macht beliebt. Aber dann fährt der Karren vor die Wand. So hat uns FDP-Chef Guido Westerwelle schon mal auf die Sparbeschlüsse der Bundesregierung eingestimmt. Und heute wird im Kanzleramt weiterverhandelt. Klar ist, dass Einsparungen in der Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr nötig sind, um die Rekordneuverschuldung von derzeit mehr als 80 Milliarden Euro herunterzufahren. Ein großer Wurf ist also vonnöten.

Nur sieht es derzeit danach aus? Dazu Fragen an Clemens Fuest, Wirtschaftsprofessor in Oxford und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Intelligentes Sparen sei gefragt, hören wir immer wieder. Sie sprechen von der Möglichkeit, gestaltend zu sparen. Wie passt dazu, dass derzeit vor allem bei den Leistungen für Arbeitslose gekürzt werden soll?

Clemens Fuest: ... Leistungen bei den Arbeitslosen zu kürzen, ist sicherlich nicht das, was man im Kern als gestaltendes Sparen ansieht. Aber auch bei diesen Leistungen muss man neben den Bedürfnissen der Arbeitslosen, die natürlich legitim sind, auch sich die Frage stellen, gibt es vielleicht bestimmte Leistungen, die die Arbeitaufnahme eher verhindern?

Und beim Sparen sollte man also auch das im Blick haben, das heißt was sind die Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, und wenn man eben kürzt, dann sollte man nicht bei denjenigen kürzen, die nun beim besten Willen keine Beschäftigung bekommen, sondern vielleicht dort, wo Leistungen eher Anreize schaffen, nicht zu arbeiten.

Degenhardt: Aber trotzdem wird ja eigentlich immer zuerst im Bereich Arbeit und Soziales gespart. Woran liegt das, weil da am meisten zu holen ist oder weil von dort vielleicht mit dem wenigsten Widerstand zu rechnen ist?

Fuest: Na ja, in der Vergangenheit ist in diesen Bereichen eigentlich immer am wenigsten gespart worden, anders als oft behauptet wird. Es ist dort immer mehr ausgegeben worden und das Ergebnis sehen wir heute.

Die ganz großen Brocken im Bundeshaushalt sind eben die Sozialausgaben, und wenn man den Bundeshaushalt sanieren soll, will, dann kommt man gar nicht drum herum, eben auf die großen Ausgabenposten zu gucken, und das sind nun mal bedauerlicherweise die Sozialausgaben.

Degenhardt: Sehen Sie denn schon eine Systematik, eine Art roten Faden des Sparens bei dem, was bisher bekannt geworden ist an Sparplänen bei Schwarz-Gelb?

Fuest: Also da deutet sich schon ein roter Faden an und der lautet: Wir dürfen mit dem Sparen nicht die wachstumsbezogenen Ausgaben einschränken. Das heißt, Zukunftsinvestitionen in Bildung, Investitionen in Forschung, auch bei der Investition in Infrastruktur, also alles Ausgaben, die für das künftige Wachstum wichtig sind, die für den künftigen Wohlstand wirklich wichtig sind. Da vermeidet man, also da versucht man, zu vermeiden zu kürzen, und da muss man sich eben auf die Bereiche konzentrieren, die übrig bleiben.

Degenhardt: Gerade hat der Bundesrat die Kürzung der Solarstromsubventionen gestoppt. Behindern die föderalen Strukturen intelligentes Sparen?

Fuest: Es besteht sicherlich die Gefahr, dass jetzt, da ja die Koalition keine Mehrheit mehr hat im Bundesrat nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen, dass dann möglicherweise aus ja eher strategischem Kalkül heraus die Opposition die Sparpolitik stoppt, und das wäre sehr bedauerlich.

Also man muss hoffen, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt, und auch zumindest Teile der Opposition, denke ich, werden auch verstehen und sehen, dass die Sanierung des Haushalts erforderlich ist, und dann kann man nur hoffen, dass die Zweite Kammer zustimmt. Klar, in einem Einheitsstaat kann man solche Beschlüsse leichter durchsetzen, aber wir haben nun mal aus guten Gründen ein föderales System und damit müssen wir irgendwie auskommen.

Degenhardt: Sparen ist bekanntlich nur die eine Säule, um den Haushalt aufzubessern, die andere könnten zusätzliche Einnahmen sein. Wo sehen Sie denn da vor allem Spielräume?

Fuest: Also da sollte man zunächst mal auf die Steuersubventionen gucken, die Steuervergünstigungen, die gibt es im Bereich der Mineralölsteuer, und dann gibt es sie natürlich im großen Umfang im Bereich der Mehrwertsteuer. Ganz wichtig wäre es eigentlich, bei der Steuervergünstigung, die man für Hotels eingeführt hat, zurückzurudern.

Da droht natürlich ein gewisser Gesichtsverlust, deshalb wird man das vielleicht nicht oder noch nicht machen, aber es gibt auch viele andere Güter, weit, die, und die einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen, ohne dass es irgendwie begründet ist. Also man sollte da dazu übergehen, sich vielleicht auf Grundnahrungsmittel zu konzentrieren und ansonsten diesen ermäßigten Steuersatz abzuschaffen, dann hätte man schon erhebliche Mehreinnahmen.

Degenhardt: Was ist überhaupt mit den sogenannten Reichen, den Besserverdienern, müssen die vielleicht ein bisschen mehr bluten als in der Vergangenheit vielleicht über eine höhere Erbschaftssteuer? Oder schüren wir jetzt schon wieder Sozialneid?

Fuest: Also dieses alte Motto "Die Reichen sollen mal zahlen" funktioniert deshalb nicht, weil es so viele Reiche nun auch wieder nicht gibt. Das heißt, wenn man so sich vorstellt, na ja vielleicht nicht die Reichen, aber vielleicht die Besserverdienenden, dann ist man doch relativ schnell wieder nah an der Mittelschicht.

Und das hat eben einfach damit zu tun, dass es in Deutschland eben eine breite Mittelschicht gibt, eine Schicht von Leistungsträgern - die sind aber heute schon sehr stark mit Abgaben belastet.

Insofern fürchte ich, dass dieses Mal der Löwenanteil bei der Sanierung tatsächlich aus den Ausgaben kommen wird, wird kommen müssen. Bei Steuererhöhungen sehe ich keine großen Spielräume.

Im Einzelfall kann man sicherlich darüber nachdenken, zum Beispiel, ist eigentlich eine Erbschaftssteuerreform notwendig? Die letzte war völlig verkorkst, und da kann man vielleicht auch ein bisschen mehr Geld holen. Nur wie gesagt, die, den großen Fortschritt, den Durchbruch bei der Sanierung wird man auf der Steuerseite nicht erzielen können, da muss man sich erst mal auf die Ausgaben konzentrieren.

Degenhardt: Und Sie sehen in der Tat zunächst erst mal keine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf uns zukommen?

Fuest: Also aus meiner Sicht kann das wirklich nur die Ultima Ratio sein, wenn wirklich alles rausgeholt ist auf der Ausgabenseite und herauskommt, dass wir die Schuldenbremse, die wir im Grundgesetz haben, die wir einhalten müssen, dass wir die nicht einhalten können, dann könnte man als Ultima Ratio aus meiner Sicht auch vielleicht den Normalsatz der Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöhen. Darüber sollte man aber jetzt nicht diskutieren, sondern wie gesagt erst dann, wenn die Sparpotenziale auf der Ausgabenseite ausgeschöpft sind.

Degenhardt: Nicht diskutieren auch deswegen, weil dieses Vorhaben mit der jetzigen Regierungskonstellation in Berlin nicht durchsetzbar ist?

Fuest: Ach ob das nicht durchsetzbar ist, das muss man mal abwarten. Die Koalition hat ja schon hier und da mal ihre Meinung geändert: Also kürzlich wollte man ja noch im großen Stil Steuern senken, davon hat man sich auch verabschiedet.

Ich denke, am Ende muss man ein glaubwürdiges Konzept dafür vorlegen, dass man wirklich bis 2016 diese Einsparung schafft, und es kann durchaus sein, dass man dann in ein, zwei Jahren auch Dinge ins Auge fasst, die man vielleicht vor Kurzem noch nicht ins Auge gefasst hat.

Degenhardt: Sagt Clemens Fuest, Wirtschaftsprofessor in Oxford und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, zu den Sparvorhaben der schwarz-gelben Regierung in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!

Fuest: Danke Ihnen!