Claude Lanzmann wird 90

Wie der "Shoah"-Regisseur es den Amerikanern zeigte

Der Regisseur Claude Lanzmann beim Filmfestival in Cannes, aufgenommen 2013
Der Regisseur Claude Lanzmann beim Filmfestival in Cannes, aufgenommen 2013 © picture alliance / dpa / Frédéric Dugit
Von Jörg Taszman · 27.11.2015
Zwölf Jahre lang arbeitete Claude Lanzmann an seinem Jahrhundertwerk "Shoah". Darin kommen Opfer, Täter und Zeugen des Genozids an den Juden zu Wort. Nun wird der französische Regisseur 90 Jahre alt - und bleibt ein streitbarer Künstler.
Claude Lanzmann ist ein großer Geschichtenerzähler und das auch noch im Alter von 90 Jahren. In seinen Filmen hat er sich ausschließlich mit Israel und der Shoah auseinandergesetzt. Mit seiner fast polternden Stimme verschafft er sich Autorität. Lanzmann ist kein bescheidener Mensch. Das merkt man an öffentlichen Auftritten aber auch in seiner sehr lesenswerten Autobiografie "Der Patagonische Hase". Das Buch ist ein Bestseller sagt Lanzmann stolz und er beschreibt dort unter anderem, wie er sich mit 18 schon der Résistance anschloss aber auch wie potent er war und dass ihn die Frauen liebten. Nach dem Krieg lebte der junge Claude Lanzmann sogar eine Weile in Deutschland. Zu den Deutschen hat Claude Lanzmann ein ambivalentes Verhältnis.
"Ich ging 1947 nach Deutschland. Dabei hatte ich den Krieg mitgemacht, gegen die Deutschen gekämpft und auch wirklich Deutsche getötet. 1943 als 18-Jähriger organisierte ich die Résistance in meiner Schule dem Lycee Pascal in Clermont Ferrand. Aber für uns blieb Deutschland – und das ist sehr seltsam – das Heimatland der Philosophie. Und aus diesem Grund nahm ich eine Einladung an zusammen mit meinem Freund Michel Tournier, dem Autor von "Erlkönig", für ein Jahr lang nach Tübingen zu gehen."
Lanzmann stellt provokante Fragen
Schon in seinem ersten Film "Warum Israel" fällt auf, wie provokant er seine Interviews führt. 192 Minuten lang stellt der Filmemacher die Fragen: "Was ist Normalität ? Wie ist es in einem Land, in dem jeder Jude ist ?" So fragt Lanzmann den überzeugten Zionisten Zushy Posner, der behauptet jeder Jude sei ein guter Mensch, ob auch der amerikanisch-jüdische Gangster Meyer Lansky ein guter Jude gewesen sei. Und Lanzmann ist kein Intellektueller der immer sauber abwägt. Er hat seine Vorurteile, seine Meinungen. Von Hannah Arendts Urteil über Eichmann – und die Banalität des Bösen – hält Claude Lanzmann gar nichts. Da wollte er dann auch den Film von Margarethe von Trotta über Hananh Arendt lieber nicht sehen. Bekannt ist seine Kritik an "Schindlers Liste", die er im Gespräch wiederholt.
"Ich mag Spielbergs Filme und ich respektiere ihn. Aber mir gefällt 'Schindlers Liste' nicht. Da gibt es einen Deutschen, Herrn Schindler, der anscheinend 1500 Juden gerettet hat, aber es wurden ja auch sechs Millionen Juden getötet. Das verfälscht die Dinge schon sehr."
Im Mailkontakt mit Steven Spielberg
Vor zwei Jahren in Cannes trafen sich dann der streitbare Regisseur und Steven Spielberg bei einem Dinner. Lanzmann beschreibt diese Begegnung sehr ausführlich. Trotz seiner Kritik an "Schindlers Liste" war der amerikanische Regisseur neugierig auf Lanzmanns Autobiografie, die ihm der Franzose dann spontan schenkte.
"Ich sagte nur zu ihm lesen Sie mein Buch und Sie verstehen, was ich meine. Und Spielberg der in diesem Jahr Jurypräsident in Cannes ist, liest noch nachts vier Kapitel in meinem Buch. Am nächsten Morgen erhalte ich eine Mail von ihm. Er gab mir in allem Recht. Dann schrieben wir uns zehn Mails. Er war sehr liebenswürdig und beendete eine Mail mit dem Satz: 'Was würden wir ohne Sie machen?'"
Lanzmann ist nicht immer so versöhnlich. Er blafft auf Pressekonferenzen schon mal Journalisten an, er ist ungeduldig und rechthaberisch. Eigentlich lässt er kaum einen Film über die Shoah außer seinen eigenen stehen. Allerdings haben nur wenige Filmemacher ein Werk gedreht, das Geschichte schrieb. "Shoah" ist mehr als nur ein Film über den Judenmord. "Shoah" löste als Wort für das Unfassbare den Begriff "Holocaust" ab. Und so hat der Europäer und französische Jude Claude Lanzmann es den Amerikaner wieder einmal gezeigt. Das freut ihn.
Mehr zum Thema