Christoph Meckel: "Erinnerungen an Lebzeiten"

Bruchstücke biografischer Erfahrungen

Der Berliner Lyriker Christoph Meckel
Der Berliner Lyriker Christoph Meckel © dpa / picture alliance / Martin Schutt
Von Helmut Böttiger · 18.11.2015
"Erinnerungen an Lebzeiten" versammelt kurze autobiografische Texte von Christoph Meckel sowie Porträts der Schriftsteller Peter Huchel und Marie Luise Kaschnitz. Daneben stehen Erinnerungen an das Kriegsende oder an seine Afrikafahrten in den 1960er-Jahren.
In den letzten Jahren hat Christoph Meckel einige kleine autobiografische Texte geschrieben, die der Schweizer Libelle-Verlag jetzt in einem Band zusammenfasst. Es handelt sich zum einen um zwei konkrete Erinnerungsfragmente über das Kriegsende sowie über Afrika-Erfahrungen in den 60er- Jahren, zum anderen um prägnante Porträts zweier schon länger verstorbener Schriftsteller, denen Meckel in seinem angestammten südbadischen Raum öfter begegnet ist: Peter Huchel und Marie Luise Kaschnitz.
Obwohl es sich um sehr unterschiedliche und zeitlich weit auseinanderliegende Bruchstücke biografischer Erfahrungen handelt, gibt es doch ein- und denselben Spannungsbogen – durch die charakteristische Art der sprachlichen Anverwandlung.
Erinnerung an Flucht und Kriegsende
"Russische Zone" gibt einen unmittelbaren Einblick in die Erfahrungswelt des Neun- bis Zwölfjährigen. Im Dezember 1944 verließ Meckels Mutter mit ihren drei Kindern und dem Dienstmädchen Lucie das zerbombte Freiburg und schlug sich nach Erfurt durch, wo ihre Eltern lebten.
Die Familie erlebte das Chaos, die Brutalität und die Auflösungen des Kriegsendes besonders intensiv, mit der kurzen amerikanischen Besatzung und danach der sowjetischen Machtübernahme. Die Flucht zurück nach Freiburg 1947, über undurchschaubare Grenzposten und unwegsames Gelände, bildet den abenteuerlichen Schlusspunkt.
Das Abenteuer steht in Meckels Darstellung aber keineswegs im Zentrum. Es ist der unbestechliche Blick des Kindes, den der Erwachsene arrangiert und nachstellt; es geht um präzise kleine Momentaufnahmen, die das große Geschehen ausdrücken, ohne lange Erklärungen und Wortaufwand nötig zu haben.
Erkundungsfahrten nach Afrika
"Dunkler Weltteil. Erinnerung an afrikanische Zeit" führt in die Sechziger-Jahre, als der junge Poet und Reisende Meckel seine Erkundungsfahrten bis nach Afrika ausdehnte. Im Mittelpunkt stehen Begegnungen mit Schriftstellern. Es gibt ein Einverständnis unter Dichtern, das immer wieder neu beschworen wird.
Dazwischen steht eine Huldigung an den Freund, Weltreisenden und Afrikakenner Ulli Beier, der 2011 im Alter von 89 Jahren in Australien starb und von dessen Lebensklugheit Meckel offenkundig viel gelernt hat.
Ein naturwüchsiges, poetisches Gefühl bestimmt auch die Skizzen von Kaschnitz und Huchel. Dadurch, dass Meckel insgeheim von gleich zu gleich spricht, fehlen ihnen Elemente von distanzloser Verehrung und sentimentaler Überhöhung.
Meckel sieht die beiden großen Kollegen als Menschen mit ihren Schwierigkeiten und Schwächen, die Einsamkeit des brandenburgischen Dichters, den es in die allzu schöne ferne Schwarzwaldlandschaft verbannt hat genauso wie die Dame, die bei aller Zugewandtheit immer die Dame bleibt. Und plötzlich scheint die zeitliche Entfernung vollkommen aufgehoben.
Fern alles Akademischen
Meckel ist alles Akademische, alles Theoretisierende fremd. Aber seine Bilder und Szenen sind hochdifferenziert. Diese persönlichen Texte sind losgelöst vom fiktionalen Terrain und beobachten genau, nehmen Geschehnisse und Einzelheiten wahr, verdichten Fakten und Realität. Dennoch haben sie mit Reportagen oder journalistischen Porträts nichts zu tun. Wie hier der Zugriff auf die Realität erfolgt, das ist genuin literarisch.

Christoph Meckel: Erinnerungen an Lebzeiten
Mit Grafiken des Autors
Libelle Verlag, Lengwil 2015
316 Seiten, 22,90 €

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