Christian Wulff - von seinen Jägern bemitleidet

Von Stephan Hebel · 05.04.2013
In einem Akt maßloser Wiedergutmachung erklären einige Medien den einst gejagten Christian Wulff derzeit einseitig zum Opfer. Nichts gegen Mitleid, meint der Journalist Stephan Hebel, aber: Der Niedersachse war politisch-moralisch untragbar geworden, sein Rücktritt als Bundespräsident unvermeidlich.
Christian Wulff ist wieder da, zumindest in den Medien. Und bald wird er, so sieht es jetzt aus, leibhaftig in einem deutschen Gerichtssaal erscheinen, um sich zu dem einen oder anderen Freundschaftsdienst zu äußern, den er einst als Ministerpräsident erhielt.

Dass Wulff – strafrechtlich betrachtet – zumindest keine schwere Schuld auf sich geladen hat, das war allerdings schon nach dem Einstellungsangebot der Staatsanwaltschaft klar.

Diese Lage animierte so manchen Kommentator, sich der Sache noch einmal zu widmen, und zwar jenseits von Verfahrensfragen und Straftatbeständen wie Vorteilsannahme oder Bestechung. Plötzlich ging es auch wieder um die politische Schuld des gescheiterten Präsidenten. Beziehungsweise die Unschuld. Und es ging einiges durcheinander.

Es klang, als befreite die juristische Teil-Entlastung den Ex-Präsidenten auch von allen Vorwürfen politisch-moralischen Versagens. Als müsste er, ginge alles mit rechten Dingen zu, noch heute im Schloss Bellevue residieren.

Wulff verlor Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion
Leider gerieten vor lauter Mitleid die Maßstäbe ins Rutschen. Christian Wulff, so erinnerte sich die "Süddeutsche Zeitung" eher unvollständig, habe "wegen der Ermittlungen zurücktreten müssen". Das Magazin "Cicero" forderte Rehabilitierung und entsann sich nicht etwa Wulffscher Verschleierungstaktiken, sondern lediglich "unrühmlicher Begleitumstände, die Christian Wulff letztendlich zum Rücktritt zwangen". Und die "Zeit" klagte auf ihrer Titelseite: "Wer in den Medien einmal nicht auf Wulff herumtrampelt, kann mitunter sein blaues Wunder erleben."

Nichts gegen Mitleid: Der gesellschaftliche Absturz des Christian Wulff war schmerzhaft und tief. Aber müssen wir deshalb gleich vergessen, worum es ging? Zur Erinnerung: Der Niedersachse trat zwar erst zurück, als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleitete. Zurücktreten müssen hätte er allerdings schon Wochen davor.

Was wäre das für eine politische Kultur, in der die Eignung für höchste Staatsämter allein nach strafrechtlicher Relevanz beurteilt würde? Diese Eignung hat mit Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion zu tun, und beides hatte Christian Wulff aus eigener Schuld verloren, bevor das Ermittlungsverfahren begann.

Schon vorher war der selbstherrliche Niedersachse untragbar geworden. Er hatte sich disqualifiziert durch den vergünstigten Kredit eines Freundes, den er dann auch noch vor seinem Landesparlament zu verschleiern versuchte. Und als das bekannt zu werden drohte, versuchte er mit seinem plumpen Anruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann die Veröffentlichung zu verhindern.

Die Medien sollten ihre eigenen Fehler aufarbeiten
Ein Provinz-Aufsteiger, verkumpelt und vernetzt mit den vermeintlichen Größen seiner Heimat, ohne jedes Bewusstsein für die politische und ethische Fragwürdigkeit der gern genommenen Freundschaftsdienste: Das war es, was ihn unmöglich machte für das höchste Amt im Staat, ob mit Ermittlungsverfahren oder ohne.

Nicht Folge einer möglichen Straftat war der Rücktritt, sondern der einzige noch mögliche Dienst an der Glaubwürdigkeit politischer Ämter und Repräsentanten.

Richtig ist: Auch einige Medien haben in der Affäre eine beschämende Rolle gespielt. Nicht nur die "Bild"-Zeitung, die Wulff erst hochjubelte und sich dann als unbestechliches Aufklärungsorgan stilisierte, sondern auch Deutschlands führende Qualitätsblätter. Sie scheuten sich nicht, mit dem Boulevard über Bande zu spielen und der Öffentlichkeit ein paar Häppchen zu servieren von Wulffs Anruf bei "Bild"-Chef Diekmann.

Das ist höchst fragwürdig. Aber diese Medien sollten die eigenen Fehler aufarbeiten, statt in einem Akt maßloser Wiedergutmachung den einst gejagten Ex-Präsidenten nun einseitig zum Opfer zu erklären.

Denn eines hat sich nicht geändert: Die politische Höchststrafe, den Verlust des Amtes, hat Wulff auch dann verdient, wenn er rechtlich ohne Schuld sein sollte.

Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.

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