Wahlkampf in Frankreich

"Die klassischen politischen Lager gibt es nicht mehr"

Während des Karnevals von Nizza im Februar 2017 arbeitet ein Mann an drei riesigen Figuren der französischen Präsidentschaftskandidaten Marine Le Pen, Francois Fillon und Emmanuel Macron.
Karnevalsfiguren der drei aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten Le Pen, Fillon und Macron (v.l.) © AFP/Valéry Hache
Frank Baasner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 10.04.2017
Einen ungewöhnlichen Wahlkampf erwartet Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, für Frankreich. Denn das alte System der politischen Lager sei "explodiert, implodiert - nennen Sie es, wie Sie wollen".
In Frankreich beginnt am Montag die heiße Phase des Wahlkampfes zu Präsidentschaftswahl am 23. April. Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, erwartet einen ungewöhnlichen Wahlkampf mit vielen Variablen.
Keiner könne vorhersagen, was passieren wird, sagte Baasner im Deutschlandradio Kultur. "Denn die klassischen Lager, die es gab über lange Zeit, ein bürgerliches Mitte-Rechts-Lager und ein Mitte-Links-Lager mit den Sozialisten als führender Partei seit Francois Mitterrand eigentlich, das ist nicht mehr, das ist gestern. Das ist explodiert, implodiert, nennen Sie es, wie Sie wollen."

Hoffnungsträger Macron

Bei vielen Bürgern herrsche auf der einen Seite "eine gewisse Ratlosigkeit" gegenüber einem System, das in den letzten Jahren zahlreiche Skandale und Peinlichkeiten produziert habe. Gleichzeitig mache sich bei vielen jungen Franzosen die Überzeugung breit, dass der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron eine Chance auf Veränderung biete.
Junge Wähler zieht Baasner zufolge allerdings auch die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, an. Unter diesen habe Le Pen einen "erstaunlichen Rückhalt". Allerdings sei das vor allem ein Ausdruck von Unzufriedenheit mit einem zunehmend sklerotischeren System, so der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts. "Von daher, denke ich, kann ein Teil dieser Wähler wieder zurückgeholt werden, wenn eine Dynamik sich entfaltet, wenn das Land beginnt sich zu reformieren, mit Lebenslügen einfach aufräumt."

"Die Franzosen wollen die EU nicht verlassen"

Einem antieuropäischen Kurs im Wahlkampf räumt Baasner wenig Chancen ein. Umfragen hätten ergeben, "dass die Franzosen an ihrem Euro hängen", betonte er. "Die Franzosen wollen die EU auch überhaupt nicht verlassen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: In Frankreich beginnt heute ganz offiziell der Wahlkampf, genauer dessen heiße Phase vor dem ersten Wahlgang am 23. April, und auch heute Abend hält Marine Le Pen, die Kandidatin des rechtsextremen Front National eine Rede zum Kampf gegen den Terror. Einwanderung von Muslimen beziehungsweise deren Ablehnung hat sie ja zum Kernthema gemacht. Und gestern demonstrierten hierzulande wieder Tausende für Europa und für einen offenen Kontinent, organisiert von Pulse of Europe.
Und das war auch eine Aufforderung an die französischen Nachbarn, die Rechten eben nicht zu wählen. Doch wen dann von den zehn anderen Kandidaten? Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Professor Frank Baasner. Er leitet das deutsch-französische Institut in Ludwigsburg, das wurde 1948 gegründet als unabhängige Einrichtung und erforscht seitdem, seit mehr als 60 Jahren also die gegenseitigen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Herr Baasner, schönen guten Morgen!
Frank Baasner: Guten Morgen!

Ratlosigkeit gegenüber dem System und seinen Skandalen

von Billerbeck: Welchen Eindruck haben Sie von diesem Wahlkampf?
Baasner: Er ist sehr ungewöhnlich, das kann man schon sagen. Denn die klassischen Lager, die es gab über lange Zeit, ein bürgerliches Mitte-Rechts-Lager und ein Mitte-Links-Lager mit den Sozialisten als führender Partei, seit François Mitterand eigentlich, das ist nicht mehr, das ist gestern, das ist explodiert, implodiert, nennen Sie es, wie Sie wollen. Die PS ist völlig zerstritten, also die Sozialistische Partei, auch das bürgerliche Lager ist überhaupt nicht geeint hinter François Fillon. Von daher sehr ungewöhnlich, mit vielen Variablen, sodass keiner Ihnen genau sagen kann, was da passieren wird.
Francois Fillon, Präsidentschaftskandidat der Konservativen
Steht unter Verdacht der Veruntreuung öffentlicher Gelder: Francois Fillon, Präsidentschaftskandidat der Konservativen© dpa / picture-alliance / Thomas Padilla
von Billerbeck: Das also ganz anders als bei früheren Wahlkämpfen. Wie schätzen Sie denn die Stimmung ein vor dieser Wahl? Man kann ja den Eindruck gewinnen, dass die Franzosen schon vor der Wahl sehr müde sind nach den vielen Dingen, die da an die Öffentlichkeit gekommen sind, auch nach den Fernsehduellen, die wir gesehen haben. Wie schätzen Sie das ein?
Baasner: Ich war erst kürzlich wieder länger auch in Frankreich, in Paris, habe mit sehr vielen Menschen gesprochen aus allen möglichen Zusammenhängen, mit verschiedenen sozialen und beruflichen Hintergründen. Was man vielleicht wirklich feststellen kann, ist, dass auf der einen Seite eine gewisse Ratlosigkeit ist gegenüber diesem System, muss man dann schon sagen, wo doch seit Sarkozy, aber eben auch unter François Hollande ein Skandälchen oder auch ein Skandal den anderen durchs Dorf gejagt hat. Das waren zum Teil justiziable Dinge, zum Teil einfach auch nur peinliche Dinge. Denken wir mal an den Motorroller François Hollandes, denken wir an die schicken Stöffchen, die sich Fillon hat schenken lassen – was ist das denn bitte?
Das sagen sich halt auch viele Franzosen: Ist das wirklich eine Repräsentation unserer Interessen an diesem höchsten Staatsamt, mit dem so viel Macht verbunden ist. Das ist die eine Seite. Und dann ist eben das Überraschende, dass gleichzeitig eine Überzeugung sich breit macht bei vielen gerade auch jungen Franzosen, dass mit Emmanuel Macron etwas entstanden ist, was keiner hat kommen sehen, was ja eben doch die Chance bietet, vielleicht Dinge zu verändern, ohne gleich das Kind mit dem Bade zu ausschütten. Das ist die gute Nachricht.

Macron steht für Pragmatismus, Reform und Europa

von Billerbeck: Der unabhängige Emmanuel Macron, Sie haben ihn erwähnt, der könnte es vielleicht am Ende schaffen. Aber auch bei ihm wissen viele ja nicht, wofür er genau steht. Wissen Sie das?
Baasner: Ich kenne ihn persönlich jetzt nicht. Ich kenne einige seiner Berater sehr gut, die sich um ihn dann versammelt haben. Das ist ganz bemerkenswert, dass wirklich anerkannte, ruhige, besonnene Köpfe, deren Kompetenzen niemand in Frage stellt, sich ungefragt hinter ihm zusammengefunden haben. Das zeigt eben auch, dass er doch viele überzeugt und nicht nur Stimmung macht. Und dass man nicht wüsste, was er verspricht, das stimmt nicht so ganz. Er hat schrittweise präzisiert. Er hat zum Beispiel einen ganz glasklaren proeuropäischen Kurs gewählt. Er hat gesagt, Frankreich wird wieder eine Stimme haben in Europa, aber nicht, indem wir uns abschotten, die Schotten dicht machen, die Grenzen – ja, was weiß ich denn, wie, bitte, mit Zäunen verstärken oder was auch immer?
Der Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron hält auf einer Wahlkampfveranstaltung in Reims am 17.3.2017 eine Rede.
Hoffnungsträger der Liberalen und Pro-EU-Kräfte:der parteilose Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron.© AFP / François Nascimbeni
Nein, er sagt, Frankreich hat seinen Platz in Europa, und die Stimme wird dann gehört, wenn Frankreich sich wieder fit macht, wenn eben einfach die Dynamik der Wirtschaft entfaltet wird durch Abbau von Hemmnissen, dann werden wir mitreden, und dann muss Deutschland eben auch mitgehen und sich selbst bewegen. Das ist doch eine klare Ansage. Ansonsten, auch die Wirtschaftsreformen, die er ankündigt, die nehmen Form an. Also, dass man da gar nicht wüsste, worauf man sich einlässt, das stimmt nicht. Das ist eher der Fall für den extremen Linken, Mélenchon, da weiß man gar nicht, was er eigentlich wirklich machen würde.

Le Pen erreicht verschiedene Wählermilieus

von Billerbeck: Angenommen, es gelingt Marine Le Pen am Ende tatsächlich nicht, Frankreichs Präsidentin zu werden – man kann ja beobachten, dass der Front National trotzdem von Wahl zu Wahl stärker wird. Es ist nicht mehr Protest, sondern es gibt da ganz feste Milieus in Frankreich. Was bedeutet das denn für Europa, und was bedeutet es auch für Deutschland?
Baasner: In der Tat, auch wenn sie nicht gewählt wird, beeinflusst natürlich Marine Le Pen mit ihren Wählern, auch mit den Themen, die sie besetzt, auch mit den Unterstützungsgruppen, die sie im ganzen Land mittlerweile hat, beeinflusst natürlich die ganze Politik. Das wird auch so bleiben. Das wird sich auch nicht ändern, wenn sie nicht gewählt wird. Also von daher muss man genau hingucken, und dann wird man feststellen, dass es bei der Wählerschaft verschiedene Gruppen gibt.
Es gibt die, die schon lange Front National wählen, das sind zum Teil Stammtischparolenanhänger, das sind die, die einfach sagen, "Ausländer raus", aber das sind eben nicht mehr alle. Viele, auch gerade junge, "les jeunes actives", wie man so schön sagt, das sind junge Menschen, die in ihr Berufsleben starten, Mitte 20, 30. Da gibt es erstaunlichen Rückhalt. Und das kann man lesen als einen Ausdruck von Unzufriedenheit mit einem System, das eben doch sehr sklerotisch geworden ist.
Und selbst Marine Le Pen macht ja hin und wieder mal so Hinweise, dass sie vielleicht doch Wirtschaftsreformen machen würde. Also von daher, denke ich, kann ein Teil dieser Wähler wieder zurückgeholt werden, wenn eine Dynamik sich entfaltet, wenn das Land beginnt, sich zu reformieren, mit Lebenslügen einfach aufräumt, mit diesem republikanischen Diskurs, der viel verspricht und wenig hält, vielleicht doch mal einfach einen Schnitt macht und sagt, so können wir nicht weiter reden. Wir müssen einfach den Dingen ins Gesicht schauen und dann pragmatische Lösungen suchen. Und nicht zufällig hat eben Macron das auch besetzt. Er sagt ja immer, Pragmatisme ist das, was wir brauchen. Wir können nicht einfach die Welt uns herbeiwünschen, wie wir sie gern hätten, damit es dann schöner ist. Das reicht einfach nicht. Von daher denke ich, ein paar werden auch wieder zurückkommen.

Die Franzosen mögen den Euro

von Billerbeck: Nun sind Sie ja der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, deshalb müssen wir ja wenigstens ja einmal darüber gesprochen haben in diesem Interview: Viele Franzosen kritisieren ja Europa, aber meinen, wenn sie Europa sagen, dann doch eigentlich Deutschland. Wie verbreitet sind diese Ressentiments?
Baasner: Es gibt im weit links liegenden Lager Mélenchon eine Germanophobie. Das ist einfach so. Deutschland ist immer schuld, und am Ende muss Deutschland zahlen.
von Billerbeck: Das macht es leicht, nicht?
Baasner: Das macht richtig Spaß, dann Politik zu machen, ja. Aber das ist nun Gott sei Dank überhaupt nicht die Mehrheit, sondern wenn man so ein bisschen überhaupt noch glauben will an Umfragen, dann stellt man eben auch fest, dass die Franzosen zum Beispiel an ihrem Euro hängen. Das ist so. Die Franzosen wollen die EU auch überhaupt nicht verlassen. Ich glaube nicht, dass ein Referendum irgendeine Chance hätte, gegen Europa auszugehen. Das ist das eine.
Und Deutschland – das ist so ein Double-Bind. Deutschland, und gerade auch die Kanzlerin, sind im Grunde sehr beliebt in Frankreich. Man bewundert das irgendwie ja auch, dass eine Gesellschaft sich eben doch bewegen kann. Wir haben ja alle möglichen Bewegungen hinter uns, die letzten 25 Jahre. Denken Sie an die Wiedervereinigung. Da haben die Franzosen schon gestaunt, wie man das dann irgendwie machen kann. Was jetzt so ein bisschen auf Widerstand stößt, ist dieses sture Nichtabrücken von der Doxa der Haushaltssanierung.
Dass man da keine Diskussion zustande kriegt, über kluge Investitionen zum Beispiel, das ist etwas, was die Franzosen schon nervt, viele Politiker auch nervt. Aber auch in Deutschland gibt es dagegen ja eine Opposition. Von daher denke ich, antideutsche Ressentiments sind überhaupt nicht mehrheitsfähig.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von Professor Frank Baasner, dem Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Ich danke Ihnen!
Baasner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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