Christen

Schikaniert, bedroht, bedrängt

Ein Wächter patrouilliert im Roten Kloster bei Sohag unter dem Kreuz der Kopten (Aufnahme vom 29.1.2010). Christen werden in Ägypten häufig Opfer von Gewalt.
Christen werden im Nahen Osten häufig Opfer von Schikane. © picture alliance / dpa
Von Peter Kaiser  · 15.03.2014
Wer beim Stichwort Christenverfolgung zuerst ans alte Rom denkt, liegt falsch. Auch heute gehören Christen zu den Opfern, werden bedrängt, in der Ausübung ihrer Religion eingeschränkt - derzeit vor allem im Nahen Osten. Daran erinnert jetzt ein Gedenktag.
"Und Jesus Christus nahm die zwölf zu sich und sprach: 'Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem.'"
Der Anfang März begangene Gottesdienst, zu dem Pfarrerin Dagmar Apel in der Kreuzberger Heiligkreuz-Kirche herzlich begrüßte, war ein Gottesdienst der besonderen Art.
"Mit diesen Worten aus dem Lukas-Evangelium begrüße ich Sie alle recht herzlich zum Gottesdienst, den wir anlässlich der Tagung des Jerusalemsvereins heute feiern."
Seit 1852 unterstützt der Jerusalemsverein arabische Christen in deren Gemeinden in Jerusalem, Bethlehem und anderen Orten im Heiligen Land. Dabei geht es dem Verein um Verständnis, Toleranz und friedliche Koexistenz von Palästinensern und der christlichen Minderheit dort. Auch in der Gottesdienstpredigt, die Andreas Goetze hielt, war die Situation der Christen im Nahen Osten das zentrale Thema. Andreas Götze ist Landespfarrer für interreligiösen Dialog der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.
"Wir blicken auf Palästina, was bedeutet das Leben unter israelischer Besatzung in der Westbank? Maurice Jounan, palästinensischer Christ und ehemaliger Verwaltungsleiter von Thalita Kumi, einer großen evangelischen Schule in der Nähe von Bethlehem, drückt das so aus: Besatzung? Für uns bedeutet das ständige Angst vor Soldaten. Israelis dürfen nicht nach Bethlehem, und wir dürfen nicht nach Israel. So festigen sich Vorurteile und Feindbilder. Viele Christen aus Bethlehem waren in ihrem Leben noch nie in Jerusalem, obwohl die Stadt nur acht Kilometer entfernt liegt."
Christen verlassen das Heilige Land
Nach einer Angabe des überkonfessionellen Hilfswerks "Open Doors" werden etwa 100 Millionen Christen wegen ihres Glaubens diskriminiert, bedrängt, verfolgt oder sogar getötet. Vielleicht ist die Situation der rund 150.000 Christen darum exemplarisch, die im Heiligen Land mit Juden und Moslems leben. Früher waren Christen dort gesellschaftlich prägend. Doch seit den 1990er-Jahren, in denen heftige Konflikte zwischen Palästinensern und Israelis toben, verlassen Christen das Land.
"In solchen schwierigen politischen Situationen neigt man dazu, konservativ zu werden. Leider entwickeln die Christen Minderheitsgefühle dadurch, dass sie das Bild nicht mehr prägen. Aber das bedeutet nicht, dass sie verfolgt werden von Moslems."
Ihre Exzellenz Doktor Khouloud Daibes, Botschafterin Palästinas in Deutschland.
"Ich denke, Palästina ist ein wunderbares Beispiel der Koexistenz zwischen den drei Religionen, das ist der Entstehungsort der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam, im Allgemeinen sind die Christen aktive Teilnehmer in der Gesellschaft."
Auch wenn im Heiligen Land die Situation der Christen nicht direkt bedrohlich ist – für viele Christen im Nahen Osten ist sie es, sagt Erzbischof Elias Chacour aus Israel.
"Das passiert in verschiedenen arabischen Ländern im Namen des Islam. Auch wenn das gar keine echten Muslime sind, die diese Verbrechen begehen. Sie haben den Islam quasi gekidnappt und handeln in seinem Namen."
Die direkte Not in jeglicher Form ist am weltweit offiziellen Gebets- und Gedenktag für bedrängte und verfolgte Christen, der am 16. März begangen wird, tägliche traurige Realität.
Am schlimmsten ist die Situation in Nordkorea
Um zu dokumentieren, was genau wo passiert, erstellt seit Jahren das überkonfessionelle Hilfswerk "Open Doors" den sogenannten Weltverfolgungsindex zur Situation von Christen. Jetzt präsentiert Markus Rode, Geschäftsführer von "Open Doors Deutschland", die ersten 10 der 50 schlimmsten Verfolgerländer.
"Da steht an erster Stelle Nordkorea, gefolgt aktuell von Somalia, dann Syrien. Syrien hat einen großen Sprung nach vorne gemacht, durch die Attacken gegen Christen im Bürgerkrieg, dann kommt der Irak an vierter Position, an fünfter Position Afghanistan, an sechster Saudi-Arabien, dann das Urlaubsparadies die Malediven, an siebter Stelle, und dann kommen Pakistan, Iran und Jemen. Jemen belegt dann den zehnten Platz."
Dann geht es weiter mit islamischen Ländern und später kommen kommunistische und noch später buddhistische Länder dazu, in denen Christen verfolgt werden.
"Wie zum Beispiel Bhutan oder auch Sri Lanka, das sehr weit vorgerückt ist auf den 29. Platz."
Auch wenn der Deutsche Bundestag den Weltverfolgungsindex von "Open Doors" 2014 zitiert und im Wissenschaftlichen Dienst nennt, so ist "Open Doors" selbst nicht unumstritten. Die 1955 entstandene Organisation macht gern mit "Flashmobs" - also spontanen Kundgebungen - in deutschen Städten auf die Christenverfolgungen aufmerksam. Am Begriff der Verfolgung reibt sich Jens Nieper, Geschäftsführer des Jerusalemvereins.
"Es gibt sicher furchtbare Gewaltexzesse in viel zu vielen Ländern an viel zu vielen Menschen, was aber die meisten christlichen Geschwister in vielen Ländern, gerade im Nahen Osten, bedrückt, ist eher eine Alltagsbedrängung. Deswegen reden wir auch lieber von bedrängten und verfolgten Christen, und nicht einfach von verfolgten Christen oder Christenverfolgung. Ich glaube, dass es wichtig ist zu differenzieren."
Andreas Goetze, Landespfarrer für interreligiösen Dialog der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, sagt:
"Was ist schon Verfolgung? Wenn ich schon in einer Situation der Bedrängung lebe, in politisch instabilen Verhältnissen, sind ganz viele Menschen bedrängt. Und in Syrien, die, die da verfolgt sind, sind alle, die in dem Krieg leiden, ich halte es immer für ganz schwierig, irgendwelche Indizes zu machen, die sind verfolgt, weniger verfolgt, dass die Christenheit insgesamt weltweit am stärksten betroffen ist, bedrängt zu sein, aber dann lebt sie in diktatorischen, nichtdemokratischen Strukturen. Das ist das Eine. Und andererseits gibt es hier natürlich auch ein Interesse im deutschen Kontext, von den Menschen, die hier sind, aus Ägypten, aus Syrien, auf die Lage ihrer Geschwister aufmerksam zu machen, und das natürlich auch stark zu betonen."
Die Anfeindungen gegen Christen nehmen zu
Unbestritten ist: Es gibt Anfeindungen in etlichen Ausprägungen gegenüber Christen in vielen Ländern, die Tendenz ist steigend.
"Wenn Kinder auf öffentliche Schulen gehen, zusammen mit muslimischen Kindern, und die Kinder doch merken, dass sie bei gleicher Leistung tendenziell immer eine schlechtere Note bekommen. Das heißt, sie werden nie nachweisen können, dass dort eine Diskriminierung passiert, aber das Gefühl benachteiligt zu werden ist trotzdem da."
Am Beispiel von Baugenehmigungen für neue Kirchen fügt Erzbischof Chacour dem hinzu...
"Das ist ein großes Problem überall. Wir haben nicht die Einrichtungen, um Kirchen zu bauen. Wir müssen für Genehmigungen kämpfen, und es gibt lange Geschichten um Baugenehmigungen. Als ich meine Schule gebaut habe, habe ich vergeblich um eine Genehmigung ersucht. Das war der Grund, warum ich sie ohne gebaut habe."
Dass jedoch generell etwa die Gewalt von einer Seite kommt, und Christen generell immer die Opfer sind, ist zu einseitig. Es gibt auch andere Beispiele.
"Ich habe bei einem Besuch in Ägypten vor einiger Zeit einen christlichen Fabrikbesitzer getroffen, und den habe ich dann mal gefragt, ob in seiner Fabrik denn Muslime arbeiten, da sagte er: 'Nein, ich stelle natürlich nur Christen an.' Das passiert dann auch manchmal umgekehrt."
Und doch, wenn etwa wie in Nordkorea schon der Besitz der Bibel die Todesstrafe bedeutet, und ein Gottesdienst so abläuft...
"Sie dürfen gar nicht in Erscheinung treten, deshalb müssen sie sich versteckt zu ihren Gottesdiensten treffen, in Nordkorea sind das manchmal nur 2, 3 oder 4 Personen, weil es sonst auffällig sein könnte, und sie flüstern dort ihre Gebete, sie verstecken sich unter Wolldecken, sie singen nicht laut ihre Lieder, sondern sie müssen aufpassen, dass sie nicht entdeckt werden, weil das dann sofort entweder das Todesurteil oder Arbeitslager bedeutet."
..oder in Ländern wie Nigeria oder der Zentralafrikanischen Republik...
"Ich war in einem Land gewesen, wo man immer einen großen Kuchen gebacken hat, eine Geburtstagstorte, und wenn tatsächlich Geheimdienst kommt oder Polizei, um diesen Gottesdienst in Anführungszeichen zu stürmen, dann wird sofort die Geburtstagstorte in die Mitte gestellt, und es wird eben Geburtstag gefeiert."
...dann ist es wegen der Empörung schwierig, den Begriff Verfolgung zu differenzieren. Und doch ist die genaue Betrachtung wichtig und richtig.
Am Tag der Fürbitte für die bedrängten Christen sollte man genauer hinsehen. Und dabei auch vielleicht bemerken, dass das Zusammenleben von Christen mit Moslems, Juden oder wem auch immer glücken kann. Beispiel: Palästina.
"Man teilt vieles, Weihnachten zum Beispiel ist ein nationales Fest geworden, wo wir viele Moslems sehen, die mitfeiern."
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