Christen in der Minderheit

Von Mona Naggar · 09.10.2010
Ab dem 10. Oktober lädt der Papst zur Sonderversammlung der Bischofssynode für den Nahen Osten. Ein Schwerpunkt wird die Debatte über die schwindende Rolle der Christen in der Region sein.
Die Kirche ist gut gefüllt. Ungefähr 200 Männer, Frauen und Kinder sitzen auf Holzbänken und lauschen der auf Aramäisch gehaltenen Messe. Der Altarraum ist mit Marmor ausgekleidet. An der Wand hängt ein großes Kreuz.

Die Mar Youhanna Kirche, nach Johannes dem Täufer benannt, liegt in Einkawa, einer kleinen Stadt wenige Kilometer von Erbil, der Hauptstadt der Region "Irakisch-Kurdistan", entfernt. Einkawa wirkt wie ein Mikrokosmos des christlichen Lebens im Zweistromland. Alle Konfessionen der stark zersplitterten orientalisch-christlichen Kirchen sind hier vertreten. Auch die Sommerresidenz des Chaldäischen Katholischen Patriarchats liegt vor den Toren der Stadt. Und vor zwei Jahren ist das Chaldäische Priesterseminar dazu gekommen. Pater Bashar Warda, Leiter der Hochschule:

"Aus vielen Teilen des Irak mussten Christen hierher nach Einkawa flüchten. Es ist wirklich schlimm. Sicher, sehr viele Iraker sind Opfer von Gewalt, Vertreibung und Mord geworden. Das ist die eine Seite der Wahrheit. Die andere Seite ist, dass die Christen niemals zur Waffe in diesem Konflikt gegriffen haben. Wir sind Opfer der Gewalt, ohne dass wir darauf antworten können."

Über die Zahl der Christen im Irak gibt es keine verlässlichen Angaben, auch nicht über die Opfer der Gewaltakte der letzten Jahre. Die Organisation "Gesellschaft für bedrohte Völker" schätzt, dass rund 650.000 Iraker christlichen Glaubens am Ende der Baath-Herrschaft im Zweistromland lebten. Die Hälfte von ihnen soll in den letzten Jahren ihre Heimat verlassen haben. In Palästina ist die Entwicklung ähnlich dramatisch. Nach Angaben lokaler Kirchen ist der Anteil der Christen im Heiligen Land unter zwei Prozent gefallen.

In anderen arabischen Ländern ist die Abwanderung nicht so stark, aber der Trend ebenso eindeutig. Parallel zur Abnahme der Zahl der arabischen Christen ist ein Rückgang ihres Einflusses in den Gesellschaften zu beobachten. Antoine Saad ist libanesischer Journalist und hat sich eingehend mit diesem Phänomen beschäftigt:

"Wir beobachten einen Rückgang des Einflusses in allen Bereichen. In der Kultur waren arabische Christen vor nicht allzu langer Zeit Vorreiter. Auch in der Politik gab es in der Vergangenheit immer auch einflussreiche Persönlichkeiten, die keinen islamischen Hintergrund hatten. Nehmen wir etwa das Beispiel Syrien. Es gab einmal den arabischen Christen Fares Khoury als Ministerpräsident. Heute ist so etwas undenkbar."

Die Debatte über die schwindende Rolle der Christen im Nahen Osten wird bei der Sonderversammlung der Bischofssynode im Vatikan Priorität haben. Im sogenannten Instrumentum Laboris, dem Papier, das allen Teilnehmern als Arbeitsgrundlage dient und von der Generalversammlung der Synode herausgegeben wurde, nehmen die Lebensbedingungen der nahöstlichen Christen den größten Raum ein. Pater Gabi Hashim, vom Rat der Kirchen im Nahen Osten, nimmt an der Synode mit dem Vorsatz teil, zunächst einmal nur zuzuhören:

"Ich als Theologe und Priester möchte meinen irakischen Brüdern zuhören, was sie zu sagen haben, wie sie ihr Leben meistern, wie sie ihr Christentum leben. Ich möchte hören, wie die Palästinenser und Jordanier leben. Die Kirche, vertreten durch die Bischöfe aus der ganzen Welt, wird sich durch den direkten Kontakt zunächst ein Bild von der Lage machen."

Bei Gesprächen mit arabischen Laien und Klerikern in der katholischen Kirche ist allerdings die Marginalisierung der Christen in der Region nur ein Problem unter vielen. Innerkirchliche Probleme und verknöcherte Strukturen empfinden Gläubige als ebenso bedrohlich. Junge arabische Christen beklagen, dass die Kirche ihnen fern sei und nicht auf ihre Bedürfnisse eingehe. Frauen kritisieren die Diskriminierung, die sie in kirchlichen Institutionen erfahren. Marie Khoury kämpft seit vielen Jahren für Frauenrechte in der mit Rom unierten Maronitischen Kirche. Khoury ist Mitte 50 und engagierte Laiin. Sie arbeitet als Psychotherapeutin und Dozentin an der Universität:

"Unser Christentum gründet auf der Gleichheit zwischen Mann und Frau. Aber in der Realität existiert nichts von dieser Gleichheit. Das hat mich immer bewegt und angestachelt!"

Khoury wirkt nach einem langen Arbeitstag etwas müde. Sie sitzt in ihrer Praxis und erzählt von ihren Erfahrungen:

"Bei der Entstehung des Apostolischen Schreibens für den Libanon vor 13 Jahren war ich maßgeblich daran beteiligt, dass ein ganzer Paragraf über die Frau aufgenommen wurde. Dort sind schöne Sätze zu lesen, von der Gleichheit der Geschlechter und davon, dass die Frauen an den Entscheidungen beteiligt werden sollen. Aber es hat sich bei uns nichts geändert. Die meiste Arbeit in sozialen und karitativen Bereichen wird von Frauen gemacht. Es gibt viel mehr Nonnen als Mönche. Aber wir haben keine Macht, Entscheidungen zu treffen und diese Texte umzusetzen."

Marie Khoury macht sich keine Hoffnungen, dass sich in naher Zukunft die Position der Frau in der Kirche verbessern wird. Es gebe zwar einige Einzelkämpferinnen, aber von einer Frauenbewegung innerhalb der Maronitischen Kirche und anderer katholischer Kirchen im Nahen Osten könne keine Rede sein. Von der Synode wünscht sie sich klare Aussagen zu pädagogischen Fragen. Alle Lehrpläne an katholischen Schulen im Nahen Osten müssten dringend modernisiert und den veränderten Rollen der Geschlechter in der Gesellschaft angepasst werden.

Dieser Forderung schließt sich auch Fadi Daou an. Der Pater unterrichtet an der Universität Saint Joseph in Beirut. Er ist auch Mitbegründer der Organisation Adyan, die sich für interreligiösen Dialog im arabischen Raum engagiert. Daou plädiert für eine selbstbewusstere Kirche, die die gesamte Gesellschaft im Blick haben sollte:

"Sicher ist das Schwinden der Christen im Nahen Osten nicht zu bestreiten. Aber ich denke, dass viele den Rückgang des politischen Gewichts mit der Bedeutung der Christen und der kirchlichen Institutionen innerhalb der arabischen Gesellschaften verwechseln. Wir haben sehr große Potenziale, die nicht richtig genutzt werden. Ein Beispiel sind die Schulen und viele andere Institutionen, mit denen wir die ganze Gesellschaft erreichen können.

Meine Forderung an die Synode ist, dass über die Rolle der Christen in der Region nicht vom Blickwinkel der Minderheiten diskutiert wird. Es geht hier nicht um Rechte von Christen innerhalb einer Mehrheitsgesellschaft. Wir brauchen ein Projekt, eine Vision für alle Menschen in der Region. Wir leben nicht alleine hier. Es geht um Demokratie, um Gleichheit aller Bürger vor dem Staat."

Vertreter der nicht-katholischen Kirchen werden auf der Synode zwar nur einen Beobachterstatus haben, aber die Ökumene wird dennoch von zentraler Bedeutung sein. Auch der Zustand des MECC, des Rates der Kirchen im Nahen Osten, kommt zur Sprache. Dieser ökumenische Rat, eine Plattform für alle Kirchen in der Region, ist seit einigen Jahren arbeitsunfähig. Er leidet an Finanzproblemen und an mangelndem Engagement der Mitglieder. Die Erwartungen richten sich nun an die katholische Seite. Sie soll die Initiative ergreifen, um dem Rat neue Impulse zu geben.