Christen gegen Pegida

"Den offenen Charakter unserer Gesellschaft anerkennen"

Eine Frau, die sich offenbar vor einer "Zwangs-Islamisierung" fürchtet, demonstriert bei einer "PEGIDA"-Kundgebung
Pegida-Demonstration: Die Anhänger der anti-islamischen Bewegung sehen sich durch angebliche "Zwangs-Islamisierung" bedroht. © imago
Wolfgang Huber im Gespräch mit Ute Welty · 20.12.2014
Tausende Anhänger der anti-islamischen Bewegung Pegida demonstrieren gegen die europäische Einwanderungs- und Asylpolitik. Ihr scharfes "Nein" zu einem offenen Dialog mit Muslimen alarmiert den ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber. Er fordert Christen auf, sich von Pegida zu distanzieren.
Die ablehnende Haltung der Pegida-Anhänger gegenüber dem Islam ist für den Kirchenmann Wolfgang Huber nicht hinnehmbar. Der ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat Christen deshalb zu einem "Nein" zu der anti-islamischen Bewegung aufgefordert. Er sagte:
"Ich möchte gerne, dass Menschen gerade bei diesem wichtigen Thema bereit sind, zu differenzieren, auch innerhalb des Islam zu differenzieren und nicht eine ganze, große Menschengruppe pauschal aus dem demokratischen Konsens und aus dem Konsens, der zwischen glaubenden Menschen auch herrschen muss, ausgrenzen."
Offenheit für Fremde
Huber sagte, Christen sollten sich an einer Ausgrenzung von Muslimen keinesfalls beteiligen. Es gehe vielmehr darum, "bei den Menschen dafür zu werben, dass sie den offenen Charakter unserer Gesellschaft anerkennen und vertreten und sich zu eigen machen". Die Offenheit für Fremde schließe auch die Bereitschaft ein, sie aufzunehmen und Platz für Flüchtlinge zu schaffen. Pegida verletze diese christlichen Grundsätze.
Wolfgang Huber räumte ein, dass Gespräche zwischen Christen und Muslimen über einen europäischen Islam noch immer schwierig seien, weil viel muslimische Verbände die Befürchtung hätten, sie würden nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahr genommen. Ziel müsse eine bessere Integration des Islam "in eine pluralistische Gesellschaft" sein. Die Pegida-Bewegung erweise sich dabei als "komplett kontraproduktiv".
Das Interview im Wortlaut:
Welty: Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ruft dazu auf, dass sich Christen von der Pegida-Bewegung distanzieren, und der katholische Erzbischof spricht von allen Christen. Auf der anderen Seite hat Wolfgang Huber zu seiner Zeit als Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche vor einer Islamisierung Europas gewarnt. Das war 2008, und gewehrt hat sich der damalige EKD-Vorsitzende vor allem gegen die Äußerungen des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der die Europäische Union davor gewarnt hatte, ein "Christenclub" zu sein. Guten Morgen, Herr Huber!
Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wenn Sie sich daran erinnern, was Sie 2008 gesagt haben und den Bezug herstellen zu dem, was in Dresden und anderswo unter der Überschrift Pegida passiert – was ist da in den letzten Jahren falsch gelaufen in der Debatte über Islam und Islamisierung?
Huber: Tja, wir sind ganz bestimmt noch nicht so vorangekommen darin, mit dem Islam, mit Vertretern des Islam in Deutschland und in Europa eine Gesprächsbasis zu haben, auf der die Sorgen, die Menschen in Deutschland haben, auch wirklich offen und fair miteinander diskutiert werden können. Solche Gespräche wären ein wichtiger Beitrag dazu, dass wir noch klarer profiliert auch einen europäischen Islam vor Augen hätten, demgegenüber alle Befürchtungen, die mit dem Wort Islamisierung verbunden sind, dann ganz klar unbegründet wären.
Pegida torpediert konstruktiven Dialog
Welty: Woran liegt das, dass die Gesprächssituation so schwierig ist?
Huber: Das liegt, glaube ich, unter anderem auch daran, dass die muslimischen Verbände in Deutschland noch immer die Befürchtung haben, sie würden nicht als Partner auf Augenhöhe gesehen, wie sie das gerne sagen. Dass sie auch nicht in großer Breite für den Islam sprechen können, weil immer nur Teile des Islam so organisiert sind. Und das führt dazu, dass jede Frage der Art, wie wir sie jetzt besprechen, auf eine Abwehr stößt eher, als dass sie auf eine offene Gesprächsatmosphäre trifft. Das ist ein Problem, das wir haben, aber dieses Problem hat natürlich nichts zu tun mit dem, was die Pegida tut. Und deswegen muss man ganz klar sagen: Der Versuch, eine bessere und deutlichere Integration des Islam in unsere Kultur, in unsere Rechtskultur, unsere pluralistische Auffassung einer offenen und pluralistischen Gesellschaft hineinzubekommen, das fördert man natürlich gerade nicht mit solchen pauschalen Dingen, wie sie von Pegida betrieben werden. Die sind vielmehr in dieser Hinsicht vollständig kontraproduktiv.
Wolfgang Huber Mitglied Deutscher Ethikrat 
Wolfgang Huber, ehemaliger Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland© Deutschlandradio / Bettina Straub
Welty: Auch Ihr Nachfolger an der Spitze der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, sagt, Kirche muss Nein sagen zu Pegida – inwieweit grenzt das die aus, die sich zu ihrem Christsein bekennen und in bester Absicht auf die Straße gehen?
Huber: Nein sagen zu Pegida bedeutet, und ich stimme mit Heinrich Bedford-Strohm vollständig überein, den Ansatz dieser Bewegung und ihrer Organisatoren abzulehnen, auch die Empfehlung auszusprechen, dass Christen sich daran nicht beteiligen sollten. Aber es hat natürlich nichts damit zu tun, dass man diesen Menschen, die als Christen nun dabei sind, und die Sorgen, die sie haben, einfach pauschal ins Abseits stellen würde. Das ist kein angemessener Umgang mit diesen Sorgen und mit diesen Personen. Diese Unterscheidung muss man einfach treffen.
Welty: Sind Sie sich da sicher, dass die Menschen, die so angesprochen werden, diese Unterscheidung treffen? Also ich kann mir gut vorstellen, dass der Druck, wenn er jetzt nun auch von katholischer wie von evangelischer Seite kommt, dass der dann doch ein erheblicher ist.
Huber: Es geht ja eigentlich nicht um Druck. Aus meiner Sicht geht es darum, bei den Menschen darum zu werben, dass sie den offenen Charakter unserer Gesellschaft anerkennen und vertreten und sich zu eigen machen, dass für Christen die Offenheit für Christen, die Bereitschaft, sie aufzunehmen, die Parteinahme für Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, dass das zu ganz zentralen Grundhaltungen gehört, die sich aus dem christlichen Glauben ergeben. Und mit der Art und Weise, in der das christliche Abendland und eine ganze große Gruppe von Menschen gegeneinander gestellt werden, verletzt man diese Grundüberzeugungen.
Mehr Klugheit und weniger Übertreibung
Welty: Heinrich Bedford-Strohm wird es wahrscheinlich gehen wir Erzbischof Schick auch mit seinem Aufruf, dass seine Botschaft in den sozialen Netzwerken heftig debattiert wird. Ist das die Form der Auseinandersetzung, die in der Sache weiterführt?
Huber: Ich will nicht generell die sozialen Netzwerke kritisieren, aber ich ...
Welty: Sie wünschen sich ab und zu ein bisschen mehr Klugheit?
Huber: Ich wünsche mir mehr Klugheit, und ich wünsche mir, dass wir uns nicht hineintreiben lassen in die Übertreibungen, die in den sozialen Netzwerken auch oft deswegen ausgesprochen werden, weil Menschen sich ja hinter irgendwelchen Namen verstecken und gar nicht ihr eigenes Gesicht zeigen müssen, wenn sie sehr pauschale, oft auch diffamierende Äußerungen machen. Und ich möchte gerne, dass gerade bei diesem wichtigen Thema Menschen bereit sind zu differenzieren, auch innerhalb des Islams zu differenzieren und nicht ein ganz große Menschengruppe pauschal aus dem demokratischen Konsens und aus dem Konsens, der zwischen glaubenden Menschen auch herrschen muss, ausgrenzen.
Welty: Über den Umgang mit der sogenannten Pegida-Bewegung der evangelische Theologe Wolfgang Huber. Ich danke sehr fürs Gespräch!
Huber: Ich bedanke mich auch herzlich, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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