Chortreffen

Die Stimme zum Schwingen bringen

Gruppenbild des Thomaner-Chors vor dem Altar der Leipziger Thomaskirche
Leipzigs bekanntester Chor: Die Thomaner haben ein Heimspiel beim Chortreffen. © dpa / picture alliance / Peter Endig
Von Christian Find · 14.06.2014
Es wird ein großes Glaubens- und Gesangsfest: Ende Juni kommen in Leipzig über 10.000 Sängerinnen und Sänger zusammen. Das gab es noch nie.
"Ich bin an den Konzerten beteiligt mit meinem Vokal-Ensemble, und wir haben uns eine Sparte ausgesucht, die von den anderen sehr guten Chören nicht bedient wird. Da haben wir uns gesagt, wir wollen deutsche Volkslieder in zeitgenössischen Arrangements präsentieren. Das ist nämlich eine Nische, wo ich finde, dass ein Zugang auch zu den Volksliedern ermöglicht wird auch über diese herrlichen Bearbeitungen, die Spaß machen zu singen. Und auf einmal entdeckt man die Texte unserer Volkslieder wieder neu."
Singe, wem Gesang gegeben, das ist Freude, das ist Leben. Mit diesem Aufruf ermunterte im 19. Jahrhundert der Dichter Ludwig Uhland seine Volksgenossen zum eigenen Singen. Finke erklärt, dass sich die Wurzeln des Leipziger Chorfestes eigentlich bis in diese Zeit der Romantik zurückverfolgen lassen. Denn schon damals habe es die ersten größeren kirchlichen Gesangsfeste gegeben. Vergleichsweise jung dagegen ist das Vorbild für das Chorfest: 2008 gab es in Leipzig den Evangelischen Posaunentag.
"Die Abschlussveranstaltung fand im Leipziger Stadion statt mit den zigtausenden Instrumenten, die da in der Sonne blinkten. Und der Landesobmann des Sächsischen Kirchenchorwerkes, Jens Staude, hatte schon erreicht, dass das Stadion uns wieder umsonst zur Verfügung gestellt werden würde, wenn wir ein Chorfest in Leipzig organisieren und durchführen würden."
Dass auf dem zeitgleich stattfindenden Landeskirchentag in Leipzig in diesem Jahr das 475. Jubiläum der Reformation in Sachsen gefeiert wird, darin sieht Finke eine glückliche Fügung. Denn das Motto „Hier stehe ich!" − der selbstbewusste Ausruf Martin Luthers vor den Fürsten und Reichsständen auf dem Reichstag zu Worms − ließ sich nahtlos auf das Chorfest übertragen: Ich steh hier - und singe! Ein Motto, das jedem, der sich mit Chormusik befasst, sicher sogleich in den Ohren klinge, sagt Tobias Brommann, Leiter der Berliner Domkantorei:
"Ich steh hier und singe. Wenn ich das höre, dann denke ich an die Motette Jesu meine Freude von Bach. Interessant ist, dass dieser Textausschnitt so dermaßen mit dieser Musik schon verbunden ist. Wenn ich Ihnen sage, der Mond ist aufgegangen, dann klingt bei Ihnen auch die Melodie, und das find ich großartig."
"Also für mich heißt das, dass man eben mit Selbstbewusstsein auch singen darf und muss! Weil gerade eben das Singen so verdrängt ist in unsrer Gesellschaft, ist es ein Titel, wo man sagen kann, so: Hier, ich singe aber, und das ist gut so."
Die flackernde Flamme
Tobias Brommann reist mit gleich zwei Chören der Berliner Domkantorei nach Leipzig. Auch er hat sich für das Chorfest etwas Besonderes einfallen lassen. Mit seinem Oratorienchor und dem Kammerchor will er gemeinsam ein Konzert gestalten, in dem sich die über 80 Sängerinnen und Sänger singend durch den Raum bewegen. "Flame" heißt das moderne zwölfstimmige Werk des britischen Komponisten Ben Parry, zu Deutsch: Flamme.
"Das Stück vertont eine Flamme, die im Windhauch so ein kleines bisschen flackert. Also da wird so ein bisschen dieses Zittern dieser Flamme in Musik umgesetzt. Und das ist zum Beispiel auch etwas, in dem der Chor zu knapsen hat, weil's natürlich rhythmisch genau notiert ist und wir auch zusammen singen sollen. Es soll aber letztendlich eben zufällig und willkürlich klingen."
"Dieses Symbol ist sehr simpel, eben das Bild der Flamme, die sich ausbreitet in der Welt als Symbol der Hoffnung, indem der Chor singend durch den Raum geht und sich verteilt."
Ein Chor, der sich singend im Raum verteilt. Viele Chöre, die sich unter die Leipziger Bevölkerung mischen. Und überall Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur auf ihre eigene Stimme achten, sondern auch auf die ihrer Nachbarinnen und Nachbarn. Das Leipziger Chorfest wird, da ist sich Brommann sicher, im Kleinen wie im Großen funktionieren:
"Die Kantorei ist sehr heterogen: Wir haben Gemeindemitglieder, wir haben Katholiken, wir haben Atheisten im Chor. Und ich bin der Überzeugung, dass auch das aktive Musizieren sehr viel mit einem macht. Es muss nicht jeder an alles glauben, was wir dort singen, aber ich denke, dass irgendetwas von dieser religiösen Emotion bei den Menschen auch landet."
Abends singen die Profis
Das Leipziger Chorfest ist als ein großes Mitmach-Konzert geplant, in dem sich jeder auf seine Weise einbringen kann, zuhörend und mitsingend, sagt Christian Finke. Egal, ob in einem anspruchsvollen Chor oder in Gruppen singender Menschen, die sich spontan auf den Straßen finden:
"Die Konzerte abends, die sind natürlich von sehr guten Chören gestaltet, die wir extra dafür eingeladen haben. Da wollen wir auch zeigen, was Chormusik kann. Und das ist schon ein hohes Niveau. Aber die Workshops und das lebendige Zusammensein, tagsüber am Sonnabend, vor allem dann der Gottesdienst am Sonntag, das ist für jeden Menschen, der Lust zu singen hat, vielleicht auch zunächst denkt, er hat gar keine Stimme, selbst dafür haben wir Angebote."
"Also für diese ganze Bandbreite, gerade auch in Leipzig, in der Leipziger Bevölkerung, wollen wir Türen öffnen und sagen: Lasst euch drauf ein, ihr werdet merken, eure Stimme zum Schwingen zu bringen ist etwas ganz Wunderbares. Und wenn ihr das noch gemeinschaftlich tut, mit anderen zusammen, dann habt ihr doppelten Spaß!"
Und doppelten Spaß, den hatten die Sängerinnen und Sänger schon bei ihren Proben, wie ihren strahlenden Gesichtern abzulesen war:
"Also Musik bewegt. Das gemeinsame Singen bewegt und setzt einen in Bewegung und macht froh. Und das mit vielen Menschen zu teilen, kann ich mir vorstellen, ist eine euphorisierende Erfahrung."
"Für mich ist das Chorfest hauptsächlich ein Fest. Also ganz viel in der Beschreibung klingt für mich so nach Kirchentag, und darauf freue ich mich unglaublich. Also mit zehntausend Menschen in einer Stadt zu sein. Wenn in der Straßenbahn unvermittelt Leute anfangen zu singen oder auf einem Platz. Oder in der Straße irgendwo stehen. Und natürlich, wenn zehntausend Menschen dann im Zentralstadion zusammen sitzen, singen, beten, das ist Gänsehautgefühl. Darauf freue ich mich."