Choreografie

Die verlorene Symmetrie

Von Stefan Keim · 08.01.2014
Johann Sebastian Bach als Ballettkomponist – ein größerer Gegensatz ist kaum vorstellbar. Dennoch waren schon viele seiner Stücke Grundlage für Choreografien. John Neumeier hat sogar aus der "Matthäus-Passion" mit dem Hamburg Ballett einen berühmten Tanztheaterabend gemacht. Nun bringt das Theater der Klänge in Düsseldorf die Cellosuite in c-Moll mit zwei Tänzerinnen auf die Bühne. "CODA" heißt das Stück.
Der Abend beginnt wie ein Kammerkonzert. Die Cellistin Beate Wolff tritt auf, verneigt sich kurz und spielt das Prélude aus Bachs Cellosuite in c-Moll. Erst in den folgenden Sätzen treten zwei Tänzerinnen auf, ganz in weiß, gemessenen Schrittes. Ihre Füße scheinen Spuren auf dem Bühnenboden zu hinterlassen. Es sind Videoprojektionen, die live zu ihren Bewegungen eingespielt werden. Auf dem Boden entsteht ein symmetrisches Muster. Es entspricht den Ballettnotationen des Tanzmeisters Raoul-Auger Feuillet. Was heute vom Tanzstil des Barock bekannt ist, beruht weitgehend auf seinen Schriften, die am Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden.
Ensemble mit Forschungsdrang
Das Erforschen historischer Theaterformen ist ein Grundinteresse des Theaters der Klänge in Düsseldorf. Vor Kurzem hat das Ensemble seinen 25. Geburtstag gefeiert. Der Titel des neuen Stücks "CODA" verweist auch auf die Geschichte der Gruppe. Es ist ein Anhängsel, etwas, das noch gesagt, gespielt, getanzt werden muss. Nach vielen Stücken, in denen die Intermedialität im Vordergrund stand. Mit einer vorher bestehenden Musik hat sich das Theater der Klänge lange nicht beschäftigt. Bachs Cellosuiten reizten Regisseur Jörg U. Lensing, weil die Titel der Sätze barocke Tänze zitieren, aber keine Tanzmusik sind.
So wie Bach über die Tänze der Barockzeit nachdachte und ihren Charakter veränderte, beschäftigt sich das Theater der Klänge nun mit der Cellosuite. Nach dem ersten Durchlauf gibt es eine kurze Pause. Dann beginnt die Solistin erneut, ihr Instrument ist nun elektronisch verstärkt. Und nicht nur das, es entstehen Echos, Klangreflexionen, Verzerrungen. Der Komponist Thomas Neuhaus sitzt am Computer und mischt die Klänge live zum Spiel der Cellistin. Das Material ist festgelegt, es gibt aber auch Spielraum für Improvisationen. Die Musikerin und der Mann am Laptop reagieren aufeinander. Auch die Tänzerinnen können in Jacqueline Fischers Choreographie durch ihre Bewegungen auf die Einspielungen Einfluss nehmen.
Barock in Auflösung
Die barocken Formen lösen sich auf. Der Videokünstler Tobias Rosenberger wird immer aktiver. Seine Projektionen sind die einzige Lichtquelle, die Scheinwerfer im Theater bleiben aus. Über eine liegende Tänzerin schickt er Bilder von Gittern, die sich gummiartig verbiegen und schließlich Strahlen wie in einem Science-Fiction-Film, wenn Raumschiffe schneller fliegen als das Licht. Mal sind nur einzelne Körperteile im Licht, Hände, das Gesicht. Die Körper der Tänzerinnen Nina Hänel und Phaedra Psimisi werden fragmentiert und wieder zusammen gesetzt. Die Bilder lassen sich nicht rationalisieren oder in Worte fassen. Auf jeden Fall ist "CODA" eine vielschichtige, respektvolle Konfrontation barocker Kunstformen mit der Gegenwart.

CODA - Bachs Cello Suite in c-Moll
Regie: Jörg U. Lensing
Theater der Klänge

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