Chor der Woche

Mit Zigarette zur tiefen Stimme

Die Noten eines der bekanntesten deutschsprachigen Volkslieder: Das Wandern ist des Müllers Lust.
Die Noten eines der bekanntesten deutschsprachigen Volkslieder: Das Wandern ist des Müllers Lust. © picture alliance / dpa / Friso Gentsch
Von Mascha Drost · 09.05.2014
Gut 30 Kilometer nördlich von Berlin liegt Stolzenhagen, eine kleine Gemeinde umgeben von mehreren Seen und in Besitz einer kleinen Dorfkirche. Diese Kirche ist fest in der Hand des Volkschores Stolzenhagen. Der Name des Chors hält was er verspricht.
Samstagnachmittag, kurz vor halb fünf. Vor der Stolzenhagener Dorfkirche versammeln sich die Sänger; im sattroten Jackett die Frauen, die Männer mit einer ebensolchen Krawatte. Man prüft die Noten, summt sich ein und Brigitte Saalmann, die Vorsitzende des Chores, gönnt sich noch eine Zigarette. Darf man das als Sängerin überhaupt? Brigitte Saalmann:
"Na klar! Vor allem sing ick im Alt, ich muss ja meine Stimme tief unten halten, damit ich nicht zu hoch komme und im Sopran singen muss."
Lacht - und nimmt noch einen tiefen Zug. Keine Spur von Nervosität, auch bei den anderen Sängern nicht. Ruth Sennwitz:
"Ich, nö, ich bin selber Chorleiterin, ich hab in Lanke nen Chor, ick bin nie aufgeregt. Na, wird schon was werden."
Ihre Kollegin gibt das Zeichen zum Aufbruch:
"... Ich glaub, wir müssen rüber ... ist halb"
Und dann gibt der Chorleiter auch schon den Einsatz.
"Wir sind die Feuerwehr von Stolzenhagen"
Gegründet wurde der Volkschor Stolzenhagen aus einer Laune heraus. Zum Jubiläum der hiesigen Feuerwehr. Margrit Hingst:
"Und da haben wir dann gesungen: Wir sind die Feuerwehr von Stolzenhagen, bei uns da brennt nischt an, nicht mal ein Topp. Und dann haben wir gesagt wir können es doch weiter machen und dann hat der junge Mann uns eine Chorleiterin besorgt aus Wandlitz aus der Schule, eine Musiklehrerin und die hat Akkordeon dazu gespielt aber die hat uns dann sang- und klanglos verlassen. Nun standen wir da, wir wollten es gern weitermachen."
Margrit Hingst ist Gründungsmitglied von 1987. Am Anfang war alles noch ein wenig improvisiert, geprobt wurde im "Mehrzweckgebäude" der LPG, das Akkordeon der Leiterin übertönte so manche Schwäche der begeisterten aber unerfahrenen Sänger. Dass es mit dem Volkschor dann doch weiterging und sogar steil bergauf, haben sie Josef Lang zu verdanken, dem hiesigen Kantor. Er hat den Chor kurzerhand übernommen, erzählt Sänger Heinz Pehns:
"16 Jahre als Chorleiter war er uns Vorbild und Stimmführer. Dann hat er altersbedingt aufgehört und unterstützt uns jetzt bei Konzerten mit seiner Stimme Tenor oder Bass, je nachdem."
Brigitte Saalmann: "Der hat den Chor auch richtig gefordert. Da kamen auch schon anspruchsvollere Sätze, die sie dann wirklich studieren mussten. Da war das dann nicht mehr so aus der La Mäng."
Margrit Hingst: "Unser Höhepunkt war ein Musikfest in Graz, in Österreich. Da waren nur zwei Chöre aus Deutschland. Das war für uns ja Neuland und eine wunderbare Erfahrung haben wir da gemacht."
"Dit hat uns Mut jemacht und Freude"
Heinz Pehns: "Dieses Volkstümliche, was wir machen, ist da sehr gut angekommen. Ich dachte immer erst, ist es Mitleid, dass die so klatschen? Oder Freude? Es war Freude, und dit hat uns Mut jemacht und Freude."
Margrit Hingst: "Wir hatten auch Fans, die waren schon eher da am Veranstaltungsort als wir, da sassen die schon alle. Viel Erfahrung haben wir da gesammelt."
Brigitte Saalmann: "Wir haben ein Lied, was wir zu unsere Chor-Hymne gemacht haben und auch beim Konzert singen: 'Es ist bei freien Sängern Brauch'. Und das ist so ein bisschen unsers, was wir richtig gerne singen und was wir auch ganz ohne Mappe können." (lacht)
Frei sind die Stolzenhagener Volkssänger auf alle Fälle - und stolz auf ihre Heimat. Sogar ein eigenes Lied haben sie ihrem Dorf gewidmet.
Alles könnte so schön sein - wenn nur eines nicht wär ....
Heinz Pehns: "Fragen Sie nicht nach dem Durchschnittsalter unseres Chores!"
Brigitte Saalmann: "Ja also, wir haben ein Durchschnittsalter von 70 Jahren, und wie bei vielen Chören fehlt uns der Nachwuchs. Und deshalb sind wir froh, dass wir überhaupt noch die 80-Jährigen haben!" (lacht)
Das Rückrat des Chores
Brigitte Saalmann, die Frau mit dem schier unendlichen Humor und ihr Mann sind das Rückrat des Chores. Sie: Vorsitzende, er: Chorleiter, seit etwa anderhalb Jahren. Eigentlich ist Torsten Saalmann selbständiger Handwerker, für seinen Chor ist er bis ans andere Ende Deutschlands gefahren, zur Chorleiterausbildung:
"Was auch der Beweggrund für die Chorleiterausbildung war, dass man was man von dem Chor verlangt, selber auch vormachen kann und sagen kann wie es gemeint ist und wie es gemacht werden soll."
Und deshalb hält er, auch im Konzert, vor jedem Lied aufmerksam die Stimmgabel ans Ohr, gibt jeder Stimme den Ton an.
Und so munter geht das Frühlingskonzert in der Stolzenhagener Kirche auch schon zu Ende.
Brigitte Saalmann: "Ohne Spaß, da brauchen wir nicht herkommen, da können wir auch zuhause in der Badewanne singen, ne?"
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