Chirac unter der literarischen Guillotine

Vorgestellt von Rainer Burchardt · 13.08.2006
Ausgerechnet der Journalist und Autor, der vor zehn Jahren als enger Vertrauter eine durchweg positive Biografie über Chirac geschrieben hatte, rechnet in seinem neuen Buch auf drastische Weise mit dem französischen Präsidenten ab. Giesbert, der Chirac und die Geschehnisse der letzten Jahre miterlebt hat, erklärt ihn für politisch tot.
Neben Croissants, Cognac und Champagner ist die Guillotine eines der Markenzeichen Frankreichs. Massenmörder und gekrönte Häupter könnten, wären sie dazu noch in der Lage ein traurig Lied anstimmen. Ludwig XVI zum Beispiel. Sein Kopf musste rollen nach der Revolution von 1789, das Fallbeil des Scharfrichters, es machte ihm den Garaus.

Die Guillotine ist inzwischen ein Museumsstück aus längst vergangener grausamer Zeit, doch die publizistischen Scharfrichter dieser Tage, sie besorgen ihr Geschäft mit scharfer und spitzer Feder: Das Ergebnis ist zumeist nicht weniger final.

Die literarische Hinrichtung als Terminaison eines Politikerlebens, soeben vollzogen vom Publizisten Franz-Olivier Giesbert am noch amtierenden französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Und das ganze hat fast so etwas wie Kameradenmord, denn Jahre lang war Giesbert, heute Direktor des liberal-konservativen Magazins Le Point, einer der engsten Vertrauten des Präsidenten.
Chirac sei ein Politiker, der vor Täuschungsmanövern und Lügen nicht zurückschrecke und über Leichen gehe, um sein Ziel zu erreichen.

"Er wird – zusammen mit Francois Mitterand – als einer der größten Lügner der Fünften Republik in die Geschichte eingehen... Chiracs gewohnheitsmäßige Lügen und sein Kult um Geheimhaltung machen ihn zu einer schwer durchschaubaren Figur."

Dabei hatte Giesbert bereits vor knapp zehn Jahren eine erste und durchweg positive Biografie über Jacques Chirac verfasst, den er nun auch als Opfer einer fortgeschrittenen deformation professionelle ansieht.

"Er ist sogar ein Lehrbeispiel für das Phänomen der Entfremdung in der Politik. Sein Büro ist ein Knast. Seine Tage sind sterbenslangweilig."

Die äußeren Anzeichen für das endgültige Aus Chiracs sieht der Autor in dem Referendumsergebnis der Franzosen gegen die Europäische Verfassung. Diese Niederlage habe Chirac bis heute nicht verkraftet, schon in seiner Fernsehansprache nach bekannt werden des Ergebnisses habe Chirac tiefe Depression und Resignation gezeigt.

"Am 29. Mai 2005 ereilte Chirac der politische Tod, und diesmal endgültig ohne Hoffnung auf eine Wiederauferstehung. Nach dem Scheitern seines Referendums muss er noch zwei Jahre im Amt hinter sich bringen. Sie dürften für ihn zum Märtyrium werden. Dieser Leichnam wird sich aus Gewohnheit noch bewegen, aber nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache sein."

Keine Frage, gerade an diesem Punkt rutscht der Autor, wie eigentlich das ganze Buch hindurch, in teilweise überzogene Polemik ab, er bezeichnet Chirac als "ein verkleidetes Gespenst, als Leichenträger des französischen Niedergangs, als eine Nullnummer", denn genauso würden ihn die Franzosen nun sehen.

"Von einer solchen Schlappe erholt man sich in seinem Alter nicht mehr, das weiß auch Chirac. Ein Blick in sein versteinertes Gesicht genügte, als er am Abend im Fernsehen mit schleppender Stimme eine Ansprache hielt….Er wirkte auf einen Schlag um zehn Jahr gealtert. Sein Blick war matt, er sprach mit Grabesstimme… Er trug Trauer mit sich selbst."

Tatsächlich bemüht sich der Biograf in ziemlich drastischer und oft sehr bildlicher Sprache seine Thesen von einem letztlich gescheiterten Politiker zu untermalen. Amüsant bisweilen aber auch nervend sind seine detailgetreuen Wiedergaben von eigentlich unwichtigem Klatsch und Tratsch, von gelungenen und gescheiteren Intrigen bei Hofe, von Chiracs Schwächen wie etwa einer übermäßigen Völlerei, von seinen Frauen- und Lügengeschichen.

Allerdings spielt Giesbert damit auch den fraglosen Vorteil aus, die vielen Notizen aus unzähligen Spiralblöcken gewissermaßen als akribische Buchführung der eigenen Zeugenschaft darzustellen. Er hat eben alles direkt miterlebt, ist auch von Chirac belogen worden, hat für ihn die vielen verschlungenen Spielchen mitmachen müssen und dies auch getan.

Aufschlussreich sind dabei fraglos seine wenn auch nicht von subjektiven Wertungen verschonten Schilderungen der Methoden, mit denen Chirac vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner aus den eignen Reihen erledigte, oft genug, wie Gisbert schreibt, mit der finalen Formel "Der nächste bitte". Ob Seguin, Balladur, Barre oder Raffarin, Chirac räumte beiseite, wie es ihm opportun erschien. Da konnte auf Einzelschicksale keine Rücksicht genommen werden.

Und nun, folgt man Giesbert, wird Chirac zum Ende seiner Amtszeit nicht von der Tatsache verschont bleiben, dass er seinen parteiinternen Intimfeind Nicolas Sarkozy nicht wird verhindern können. Die brennenden Autos, die Unruhen in den Vororten in den Banlieus, die Schulreform und die sozialen Verwerfungen und ein völlig verfahren taktierender Chirac-Protégé de Villepin werden das komplette Desaster der Amtszeit Chiracs bedeuten. Etwas zu pathetisch aber damit auch repräsentativ für seinen polemischen Stil beendet Giesbert die Biografie mit den Worten.

"Er ist wie Frankreich, dessen Tragödie er so exzellent verkörpert. Er hat schon andere erlebt. Eines Tages wird er also aus seinem Grab heraustreten. Chirac gehört zu den Menschen, die der Tod mitten im Leben aufrecht ereilt. Für Wiederauferstehungen ist er mittlerweile gewiss zu alt. Aber solche Menschen sterben nicht wirklich."

Der Scharfrichter hat gesprochen, er glaubt, sein Werk schon vollbracht zu haben. Doch noch lebt der Politiker Chirac, ist noch im Amt. Die brillante, bisweilen fraglos überzogenen Polemik des Autors lässt dieses Buch nie langweilig werden und gibt tiefe, sehr tiefe Einblicke in das wechselvolle Schicksal eines ehrgeizigen Politikers der sein persönliches Schicksal mit dem seines Landes zu eng verknüpft hat, das unwillkürlich an das Credo Ludwig XIV, des Sonnenkönigs erinnert: " L’etat, c’est moi – der Staat bin ich". Aber das ist nicht sehr originell. Jedenfalls nicht in der Geschichte Frankreichs und seiner Herrscher.

Franz-Olivier Giesbert: Jacques Chirac. Tragödie eines Mannes und Krise eines Landes
Aus dem Französischen von Angelika Hildebrandt, Heiner Must, Barbara Sperling, Ulrike Thiesmeyer
Econ Verlag, Berlin 2006
Coverausschnitt: Jacques Chirac - Tragödie eines Mannes und Krise eines Landes
Coverausschnitt: Jacques Chirac - Tragödie eines Mannes und Krise eines Landes© Econ Verlag