China

Wie der rote Kapitalismus um sich greift

Ein Arbeiter prüft ein Solarpanel auf einem Feld im chinesischen Hami.
Ein Arbeiter prüft ein Solarpanel auf einem Feld im chinesischen Hami © AFP
Von Marko Martin · 28.06.2014
Bücher über China und seinen Expansionsdrang haben derzeit Konjunktur. Zwei spanische Journalisten analysieren jene inzwischen globale ökonomische Präsenz, die von der Regierung in Peking gern kleingeredet wird.
Wer heute ein Buch über China schreiben will, muss in der ganzen Welt recherchieren. Das haben Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo getan. Zwischen Deutschland, Peru und Sibirien und von Teheran bis zum Kongo haben sie gegen zahlreiche bürokratische und politische Widerstände Statistiken ausgewertet und Daten gesammelt. Ihr Buch ist entsprechend präzis. Und es liest sich so spannend wie beunruhigend. Etwa über die chinesischen Investitionen, die alleine für Deutschland auf bis zu zwei Milliarden Euro bis ins Jahr 2020 veranschlagt werden.
"Für China ist das eine Goldgrube, in der es sich in Bereichen bedienen kann, in der deutsche Firmen weltweit führend sind: Technologie, Know-how und Markenprodukte. Aus deutscher Sicht ist das Öffnen der Pforten für chinesische Unternehmen ein einfaches Mittel gegen fehlende Liquidität, es bedeutet aber eine nicht absehbare Veränderung für deutsche Familienunternehmen und eine unsichere Zukunft für die Wirtschaftssektoren, in denen nun chinesische Unternehmen zu harter Konkurrenz werden."
Führung in Peking will den Lauf der Geschichte ändern
Juan Pablo Cardenal, Heriberto AraújoDer große Beutezug. Chinas stille Armee erobert den WestenHanser Verlag, München 2014, 390 Seiten, 24,90 Euro
Juan Pablo Cardenal, Heriberto Araújo: Der große Beutezug. Chinas stille Armee erobert den Westen© Hanser Verlag
Das trifft gerade jene Wirtschaftszweige, auf denen das deutsche Exportwunder beruht. Sie geraten langsam, aber sicher in die chinesische Verfügungsgewalt. Und China wird dadurch in naher Zukunft ebenfalls in der Lage sein, Umwelttechnologie und Feingeräte herzustellen. Was dieser schleichende Wandel für volkswirtschaftliche Konsequenzen hat, ist in Afrika schon heute zu besichtigen, wo billige chinesische Massenware längst das einheimische Handwerk und die Textilbranche zerstört hat. Was im Falle Europas noch an Spezial-Kenntnissen fehlt, ermittelt dann die "Einheit 61398" der chinesischen Armee. Diese ist ausschließlich damit befasst, aus der Region Shanghai heraus Angriffe auf westliche Unternehmen zu koordinieren. Die Autoren schreiben:
"Wir haben es mit einem von der Kommunistischen Partei beherrschten autokratischen Staat zu tun, dessen staatliche Unternehmen, Banken und Regierung gemeinsame strategische Ziele verfolgen: eine stille Armee, die aufgestellt wurde, den Lauf unserer Geschichte zu verändern."
Doch wie finanziert China das alles? Woher kommen die immensen Geldreserven? Schließlich befindet sich das Land in vielen Aspekten noch auf Entwicklungsniveau. Der Schlüssel liegt darin, dass die Volksrepublik keinen wirklichen Sozialstaat hat. Deshalb legen die Chinesen im Schnitt fast die Häfte ihrer Einkünfte beiseite – obwohl die Sparzinsen oft unter der Inflationsrate liegen.
"Es ist das chinesische Volk, das für die ehrgeizigen Bestrebungen des chinesischen Staates bezahlt, ob es ihm nun gefällt oder nicht. Die finanziellen Verluste der normalen Bürger passen exakt zu den Bedürfnissen der „China AG", denn dieses Geld (für das sie de facto Null Prozent Zinsen zahlt), stattet staatseigene Unternehmen mit günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für ihren weltweiten Eroberungszug aus. Würden die Restriktionen aufgehoben, dann wäre der billige Kapitalfluss zu Ende."
Diese Logik ist bestechend. Und sie widerspricht einer im Westen verbreitete These: dass sich China mit wachsendem Wohlstand auch demokratisieren und langsam zu einem Rechtsstaat werde. Denn weshalb sollte die Volksrepublik ihr Erfolgsmodell - die Verfasser nennen es „roten Kapitalismus" - verabschieden, wenn es so gut funktioniert?
Mit despotischen Staaten lassen sich die besten Geschäfte machen
Außerdem macht China auch im Ausland entsprechende Erfahrungen. Wo immer Despotie und Korruption herrschen, lassen sich die besten Verträge durchsetzen – gut für die einheimischen Potentaten und noch besser für die Staatskapitalisten aus dem Reich der Mitte. Wie selbstverständlich existieren weder Rechtsstaat noch gewerkschaftliche Strukturen. Die neuen Geschäftshochhäuser in Angolas Hauptstadt Luanda oder die von chinesischen Firmen erbauten Highways im Osten Sri Lankas sind deshalb keine Vorzeichen der demokratischen Moderne, sondern eher Symbole eines Neo-Kolonialismus.
Und dieser neue Kolonialismus des Ostens besitzt gegenüber dem alten des Westens einen wichtigen Standort-Vorteil: Konnte damals zumindest in den europäischen Hauptstädten das ausbeuterische Tun der Kolonialisten öffentlich angeklagt werden, bleiben die staatseigenen Medien in Peking stumm. Und das, so argumentieren Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo, hat Folgen weit über China hinaus:
"Wichtig ist nicht nur, dass China der bevorzugte Geschäftspartner der repressivsten Regime der Welt ist - Birma, Nordkorea, Iran, Sudan, Kuba. Genauso wichtig ist auch die schleichende Durchsetzung und Akzeptanz chinesischer Normen und Werte, die sehr zwiespältig sind, wenn es um Geschäftspraktiken und Arbeitsverhältnisse oder um soziale und ökologische Belange geht. Während die Welt denkt, dass China immer westlicher wird, wenn es den Prozess der wirtschaftlichen Öffnung fortsetzt, passiert in Wirklichkeit genau das Gegenteil: Die Welt wird immer chinesischer."

Juan Pablo Cardenal, Heriberto Araújo:
Der große Beutezug. Chinas stille Armee erobert den Westen
Hanser Verlag, München 2014
390 Seiten, 24,90 Euro