"China möchte von Europa anerkannt werden"

Horst Löchel im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 14.09.2011
Dass China einen Teil seines Staatsvermögens in Euro anlegt, dient vor allem strategischen Interessen, meint der Ökonom Horst Löchel. Neben der Aussicht auf Verdienst rechne China auch mit bestimmten Gegenleistungen durch Europa.
Jörg Degenhardt: Kann China den Euro retten? Sie haben richtig gehört. Die Frage kommt nicht von ungefähr, denn die Volksrepublik legt einen wachsenden Teil ihres Staatsvermögens in Euro an und greift bereits den stark verschuldeten Griechen, Spaniern und Portugiesen unter die Arme. Auch Italien bemüht sich wegen seiner hohen Staatsschulden um Hilfe aus Peking. Über die Hintergründe dieses Handelns rede ich jetzt mit Horst Löchel, er ist Professor an der Frankfurt School of Finance and Management. Dort ist China sein Schwerpunkt, acht Jahre hat er in Schanghai gelebt und ist gerade erst seit drei Wochen wieder in Deutschland. Guten Morgen, Herr Löchel!

Horst Löchel: Ja, guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Warum kaufen die Chinesen Staatsanleihen etwa von Griechenland – doch nicht, weil ihnen das Wohl und Wehe der Europäer so sehr am Herzen liegt?

Löchel: Ich meine schon, also es gibt im Wesentlichen wohl zwei Gründe: Erstens hat China ein strategisches Interesse an Europa. China möchte gerne, dass Europa in dieser globalisierten Welt doch mit im Boot ist und nicht nur zwei Supermächte, nämlich die USA und China, bestehen. Deswegen ist es Chinas Interesse, dass Europa stark bleibt, und dazu gehört eben auch, dass die Staatsschuldenkrise überwunden wird. Das ist sicherlich der eine Grund, der andere Grund sind schlicht wirtschaftliche Interessen – es gibt ja auch was zu verdienen, wenn man in Euro, in Staatsanleihen in Europa investiert, da gibt es ja gute Zinsen und gute Renditen. Und das Dritte ist natürlich, dass die Chinesen sich erhoffen, dass durch ihre Investitionen in Europa bestimmte Gegenleistungen auch von Europa erfolgen gegenüber China.

Degenhardt: Bei der Eröffnung des diesjährigen Sommertreffens des Weltwirtschaftsforums in der chinesischen Hafenstadt Dalian hat der chinesische Ministerpräsident gerade seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass im Gegenzug für weitere Investitionen seines Landes im Euroraum er hofft, dass die wichtigsten Mitgliedsstaaten und die Vertreter der Europäischen Union ihre Beziehungen mit China mutig unter dem strategischen Blickwinkel betrachten. Das spielt so ein bisschen rein in das, was Sie gerade gesagt haben. Was erwartet er da genau?

Löchel: Na ja, ich meine, also es geht vor allem darum, dass China sich doch schon seit vielen Jahren erhofft, durch Europa den sogenannten Marktwirtschaftsstatus anerkannt zu bekommen. Das hat bestimmte konkrete Vorteile, zum Beispiel bezüglich des Wettbewerbs, ist vor allem aber ein symbolischer Akt. China möchte sein Gesicht wahren, China möchte von Europa anerkannt werden als normale Wirtschaft, als normale Gesellschaft, und das ist wohl das Wichtigste, was Wen Jiabao jetzt in Dalian gesagt hat, und man erhofft sich eben durch diese Investitionen in Staatsanleihen der hoch verschuldeten europäischen Staaten, dass eben eine Gegenleistung Europas erfolgt in Richtung Anerkennung dieses Marktwirtschaftsstatus.

Degenhardt: Das heißt natürlich auch: Je stärker sich China engagiert in Europa, umso stärker wird auch sein Einfluss. Könnte das zu einem Problem werden?

Löchel: Ich meine nein, ich meine nein, das ist völlig klar: Wenn jemand Schulden hat und Geld von jemand anders bekommt, dann besteht ein bestimmtes Abhängigkeitsverhältnis, das ist völlig klar. Aber so funktioniert nun eben mal Wirtschaft, insbesondere im Kreditbereich, und ich sehe eigentlich kein Problem, wenn Europa eben ein Stück weit von China abhängig wird durch diese Investitionen. Das ist ganz normal, das passiert auch bei anderen Investitionen. Wenn also China beispielsweise ein Unternehmen in Europa kauft, besteht natürlich auch eine Abhängigkeit zum Beispiel der Arbeitsplätze von diesen chinesischen Investitionen. Das ist ein ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang.

Degenhardt: Aber das Land erkauft sich ja damit auch politisches Wohlwollen. Wer hilft, dem schaut man zum Beispiel in Menschenrechtsfragen nicht so sehr auf die Finger.

Löchel: Na ja, also ich will mal so sagen: Ich meine, dass insgesamt diese Menschenrechtsfrage im Westen doch stark überschätzt wird. Also ich habe ja nun lange Jahre, wie Sie schon erwähnt haben, in China gelebt, und natürlich gibt es da schlimme Dinge, aber im Vergleich zu der Gesamtentwicklung des Landes, die doch überaus positiv ist, nicht nur in der Wirtschaft und im Sozialbereich, sondern eben auch eben im politischen Bereich, dann sind das doch kleinere Dinge.

Und ich meine: Wenn der Westen doch enger mit China zusammenarbeitet, wächst doch auch unser Einfluss auf die Entwicklung in China selbst. Es kann doch nicht das Interesse des Westens sein, uns gegenüber China abzuschotten und die Chinesen anzuklagen. Es kann doch nur unser Interesse sein, eben mit den Chinesen zusammenzuarbeiten und dann eben auch unsere Überzeugung, unsere Werte einzubringen. Ich meine, das ist der Erfolg versprechendere Weg.

Degenhardt: Andererseits darf man die schlimmen Dinge, von denen Sie ja auch gerade gesprochen haben, darf man diese schlimmen Dinge doch nicht unter den Tisch fallen lassen.

Löchel: Nein, die muss man nicht unter den Tisch fallen lassen, das wird ja auch gar nicht verlangt, die fallen ja zum Teil auch in China selbst nicht unter den Tisch. In den acht Jahren, wo ich da war, ist doch eine deutliche Öffnung in Richtung Pressefreiheit, also dass viel mehr kritische Punkte besprochen werden. Es ist völlig klar: China ist keine Demokratie, China ist anders als eben Europa. Aber wie gesagt: Wie ändert man das? Das ändert man vor allem dadurch, dass man wirtschaftlich kooperiert und darüber auch Einfluss gewinnt auf die sozialen und politischen Verhältnisse in China, Zug für Zug, und das dauert natürlich Zeit.

Degenhardt: Wenn die Chinesen wirklich wirtschaftlich so stark sind, wann ist dann ihre eigene Währung eine echte Konkurrenz zum Dollar oder zum Euro und damit auch frei konvertierbar?

Löchel: Na ja, ich meine, die Währung ist natürlich heute schon eine Konkurrenz, der chinesische Yuan ist ja, wie Sie vielleicht wissen, ist ja weitestgehend als Handelswährung anerkannt. Ein deutsches Unternehmen kann zum Beispiel so ein Fremdwährungskonto in Deutschland in Yuan aufmachen und mit seinem chinesischen Handelspartner den ganzen Handel in der chinesischen Währung durchführen. Ich würde meinen, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren weitere Öffnung sehen werden bis dahin gehend, dass eben der chinesische Yuan total konvertierbar wird, und damit ist das natürlich eine komplette Konkurrenz eben zum US-Dollar als internationale Leitwährung. Ich glaube nicht, dass das noch sehr lange dauert.

Degenhardt: Und Schanghai wird ein neues Finanzzentrum nicht nur in Fernost?

Löchel: Schanghai ist heute das nationale Finanzzentrum Chinas, es gibt den Beschluss der chinesischen Regierung aus dem Jahr 2008, Schanghai eben bis zum Jahr 2020 zu einem internationalen Finanzzentrum auszubauen. Das ist sicherlich ein langer Weg und ein sehr ambitionierter Plan, aber wer China kennt, die Erfolge in den letzten 30 Jahren, weiß, dass es die Chinesen sehr ernst meinen und dass eine faire Chance besteht, dass tatsächlich bis zum Jahr 2020 Schanghai gewissermaßen auf dem gleichen Level wie beispielsweise New York spielt.

Degenhardt: Wie China von der Eurokrise profitiert – das waren Einschätzungen von Horst Löchel, er ist Professor an der Frankfurt School of Finance and Management und er hat über viele Jahre, acht Jahre insgesamt, in Schanghai in China gelebt. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Löchel!

Löchel: Gerne!

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