China

Kaum Beruhigung an den Börsen

Ein Mann betrachtet eine Anzeigetafel mit chinesischen Börsenkursen
Seit Wochen herrschen Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten © dpa/picture-alliance/Chen Kang
Sandra Heep im Gespräch mit Nana Brink · 29.07.2015
Trotz staatlicher Intervention bleiben Chinas Aktienmärkte instabil. Das wird sich auch in den nächsten Monaten nicht ändern, meint Sandra Heep vom Mercator-Institut. Mittelfristig drohen Konsequenzen für die deutsche Exportwirtschaft.
Sandra Heep, Leiterin des Programmbereichs Wirtschaftspolitik und Finanzsystem beim Mercator Institute for China Studies in Berlin (Merics), prognostiziert für Chinas Börsen in näherer Zukunft keine Beruhigung.
Es sei ziemlich klar, "dass Chinas Börsen auch noch über die nächsten Monate hinweg sehr, sehr volatil und sehr, sehr instabil bleiben werden", sagte Heep. Derzeit erlebe man die Auswirkungen des massiven staatlichen Interventionen in den chinesischen Aktienmarkt in den letzten Wochen. Dadurch sei es zwar einerseits gelungen, einen vorübergehende Beruhigung der Märkte zu erzielen, andererseits sei damit eine neue Quelle der Instabilität geschaffen worden. Denn niemand wisse genau, wann sich der Staat wieder aus den Märkten zurückziehen werde.
"Das heißt natürlich, dass der kleinste Hinweis darauf, dass dieser Rückzug kurz bevorsteht, gleich zu Panikverkäufen führen kann."
Instabiles Umfeld für die deutsche Exportwirtschaft
Sollten die Ereignisse an den Börsen Auswirkungen auf das chinesische Reformprogramm haben, drohen Heep zufolge auch Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft.
"China braucht dringend sehr viel innovativere Unternehmen, und es braucht einen stärkeren Binnenkonsum, und dafür müssen sehr große Weichen gestellt werden. Wenn das nicht gelingt, dann wird es mittelfristig auf jeden Fall zu einem weiteren starken Absinken der Wachstumsraten in China führen."
Das werde dann auch die deutsche Wirtschaft treffen, die sich in einigen Branchen sehr abhängig vom chinesischen Markt gemacht habe. "Das Umfeld hat an Stabilität verloren für die deutsche Exportwirtschaft", erklärte Heep.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Es gibt ja so etwas wie einen Deal zwischen der allmächtigen kommunistischen Partei in China und dem Volk, so nach dem Motto: Wir sorgen für Stabilität und bescheidenen Wohlstand für die Massen, und ihr lasst uns regieren. Dieser Deal scheint aufgekündigt worden zu sein nach den letzten Ereignissen. Am Montag begann ja die Talfahrt an Chinas Börsen – die Erschütterung beeinträchtigte sogar den DAX hier bei uns –, trotz massiver staatlicher Intervention schlossen die Aktienmärkte auch gestern im Minus. Aus Angst, die Hilfen der Regierung zur Stabilisierung der Märkte könnten dann bereits wieder verpufft sein, hatte sich am Vortag ja so eine Art Panik unter den Anlegern breitgemacht. Strauchelt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt? Sandra Heep ist Programmleiterin Wirtschaftspolitik und Finanzsystem bei MERICS, Mercator Institute for China Studies, das ist ein unabhängiger Thinktank in Berlin. Guten Morgen, Frau Heep!
Sandra Heep: Guten Morgen, Frau Brink!
Staatliche Interventionen haben eine neue Quelle der Instabilität geschaffen
Brink: Noch mal für uns zum Begreifen: Was hat denn diesen Crash, wenn man das so nennen will, ausgelöst?
Heep: Wenn wir jetzt von den aktuellen Entwicklungen seit Anfang dieser Woche sprechen, dann ist es so, dass wir derzeit letztlich die Auswirkungen der massiven Interventionen der vergangenen drei Wochen des Parteistaates beobachten können. Denn durch diese starken Interventionen ist es staatlichen Akteuren zunächst einmal gelungen, eine vorübergehende Beruhigung der Märkte zu erzielen, gleichzeitig ist es aber auch so, dass sie eine neue Quelle der Instabilität und der Volatilität geschaffen haben. Denn es weiß natürlich niemand so genau, wann sich der Staat wieder aus den Märkten zurückziehen wird, und niemand weiß so genau, welche Auswirkungen das dann haben würde. Und das heißt natürlich, dass der kleinste Hinweis darauf, dass dieser Rückzug kurz bevorsteht, gleich zu Panikverkäufen führen kann.
Gleichzeitig ist es aber auch so, dass Investoren jetzt natürlich schon von den Gewinnen der letzten Wochen profitieren wollen, dass sie deshalb jetzt schon anfangen, ihre Aktien abzustoßen, um sicherzustellen, dass sie den staatlichen Investoren und deren Rückzug zuvorkommen können.
Brink: Nichts hassen die Börsen ja so sehr wie die Unsicherheit – wie bewerten Sie das langfristig?
Heep: Ich denke zunächst einmal, dass es eigentlich ziemlich klar ist, dass Chinas Börsen auch noch über die nächsten Monate hinweg sehr, sehr volatil und sehr, sehr instabil bleiben werden, darauf können wir uns auf jeden Fall einstellen. Die Frage ist, welche Auswirkungen das auf den Rest der chinesischen Wirtschaft haben würde.
Man muss zunächst einmal sagen, dass die Börsen für Chinas gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei Weitem nicht so bedeutend sind, wie das beispielsweise in den USA der Fall ist, nichtsdestotrotz ist es aber so, dass eine Fortsetzung dieses Crashs schon auch dazu führen wird, dass der Konsum in China ein wenig zumindest geschwächt wird und dass es auch für einige Firmen, vor allem für staatseigene Betriebe, aber auch für private Unternehmen, insbesondere im Technologiesektor, sehr viel schwieriger werden wird, sich zu finanzieren. Und das ist sehr problematisch, da China eigentlich ja gerade in der schwierigen Situation ist, sein gesamtes Wachstumsmodell umzustrukturieren.
Gefahr für das chinesische Reformprogramm
Und was China gerade eigentlich braucht, ist stärkere Binnennachfrage, sind auch stärkere innovative Privatunternehmen. Und gerade die Bereiche könnte das, was da an den Börsen gerade passiert, schon einigermaßen empfindlich treffen. Das heißt also, das ganze Reformprogramm könnte dadurch ein wenig in Mitleidenschaft gezogen werden.
Brink: Und gerade bei China muss man ja immer fragen, weil natürlich Wirtschaft und Regierung, Staat so eng miteinander verflochten sind, wird das ja nicht nur Konsequenzen, wie Sie gesagt haben, für die Volkswirtschaft, sondern auch für das politische System haben?
Heep: Man kann tatsächlich davon reden, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Parteistaat durch das, was da an den Börsen passiert, schon ein wenig erschüttert ist. Man muss sich vor Augen führen, dass der Parteistaat nicht erst interveniert hat, um die Kurse zu stabilisieren, sondern dass staatliche Stellen auch ganz stark hinter den Kursgewinnen der vergangenen zwölf Monate standen, denn staatliche Stellen haben es selbst explizit befördert, dass sich da eine Art Blase an den Börsen gebildet hat. Das hat sozusagen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht durchaus einige Vorteile. Wie ich schon sagte, es ist einigen Unternehmen beispielsweise dadurch erleichtert worden, sich zu finanzieren, insbesondere großen Staatsunternehmen, die sehr stark verschuldet sind.
Und wenn es jetzt natürlich so ist, dass der Parteistaat immer mal wieder Investoren dazu auffordert, doch mit einzusteigen in dieses Spiel an der Börse, dass er große Gewinne in Aussicht stellt und dann einige Kleininvestoren tatsächlich zum ersten Mal mitspielen, sich teilweise auch verschulden und kreditfinanziert Aktienkäufe tätigen, dann ist es natürlich auch so, dass die Enttäuschung groß ist, wenn das Ganze nicht so läuft, wie man es erwartet hat.
Brink: Es trifft auch wirklich die Kleinanleger und nicht nur die großen, also es tut weh?
Heep: Es tut zum Teil tatsächlich auch weh. Es war tatsächlich so, dass in den vergangenen Monaten sehr viele Kleinanleger neu eingestiegen sind. Man muss natürlich auch sehen, dass die jetzt nicht alle gleichermaßen getroffen sind. Also diejenigen, die ganz früh, zu früher Stunde eingestiegen sind, die stehen jetzt vielleicht wieder ungefähr vor dem, vor dem sie halt eben auch vor zwölf Monaten gestanden haben, haben zwischendurch wunderbare Gewinne verzeichnet und die sind jetzt wieder weg – ein bisschen schade, aber ist jetzt auch nicht weiter tragisch. Tragisch ist es natürlich vor allem für diejenigen, die sehr spät eingestiegen sind, also kurz bevor die Kurse gefallen sind. Und diejenigen unter denen, die halt tatsächlich auch fremdfinanziert in den Handel mit Aktien eingestiegen sind, die kann das jetzt schon sehr empfindlich getroffen haben Denn die gehen halt nicht nur mit vernichtetem Vermögen, sondern auch mit sehr hohen Schulden aus diesem Abenteuer hervor.
Wenn Chinas Wachstumsraten weiter sinken, trifft das auch die deutsche Wirtschaft
Brink: Also es bedeutet schon eine Verwerfung in diesem Staat, der ja versucht, Kapitalismus und Kommunismus irgendwie miteinander übereinzubringen. Was bedeutet denn das jetzt für uns hier, gerade in Deutschland auch, was in China passiert?
Heep: Von den Entwicklungen an den chinesischen Aktienmärkten sind wir jetzt unmittelbar erst mal nicht wirklich betroffen, denn China unterhält ja nach wie vor sehr starke Kapitalverkehrskontrollen, das heißt, ausländische Investoren sind nicht so besonders stark involviert auf den chinesischen Aktienmärkten.
Wichtig für uns ist vor allem jetzt die Frage, inwieweit denn die Geschehnisse an den chinesischen Börsen vielleicht auch tatsächlich, wie ich eben sagte, Auswirkungen auf das gesamte Reformprogramm in China haben, inwieweit das da vielleicht sein könnte, dass die Reformen sich verzögern, dass es noch schwieriger wird, diese ambitionierten strukturellen Reformen umzusetzen. Man muss eben sehen, dass das bisherige chinesische Wachstumsmodell, das ja sehr stark auf Investitionen und auf Exporte ausgerichtet war, so nicht mehr funktioniert.
Das heißt, China braucht dringend sehr viel innovativere Unternehmen und es braucht einen stärkeren Binnenkonsum, und dafür muss halt sehr, sehr ... ja, müssen sehr große Weichen gestellt werden. Wenn das nicht gelingt, dann wird es mittelfristig auf jeden Fall zu einem weiteren starken Absinken der Wachstumsraten in China führen, und das wird dann natürlich auch die deutsche Wirtschaft treffen, denn die hat sich ja schon in einigen Branchen sehr, sehr stark abhängig gemacht vom chinesischen Markt.
Und im Moment muss man sagen, dass die Entwicklung an den Börsen in China zumindest schon auch verdeutlichen, dass sehr, sehr unklar ist, wie es in den nächsten Monaten und auch Jahren eigentlich in China weitergehen wird, welche Weichen da gestellt werden und welche nicht. Das Umfeld hat an Stabilität verloren für die deutsche Exportwirtschaft.
Brink: Vielen Dank, Sandra Heep vom Mercator Institute for China Studies, schönen Dank für das Gespräch!
Heep: Danke an Sie, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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