China

In der Klemme

Ein Chinese übt Tai Chi in Shanghai, wo Smog herrscht
Immer mehr Chinesen wollen Shanghai verlassen - auch wegen der Umweltbelastung. © picture-alliance / dpa / Lai Xinlin
Von Markus Rimmele  · 28.05.2014
In den vergangenen 25 Jahren ist in China eine Mittelschicht von 200 bis 300 Millionen Menschen entstanden. Doch hohe Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten, die Umweltbelastung und der Wettbewerb im Bildungssystem führen immer häufiger zu Erschöpfung. Viele Menschen streben deshalb in die Ferne.
Sonntagnachmittag. Zu Gast bei Familie Wang. Da sind die Eltern, beide Anfang 30, und da ist die kleine Tochter. Sie ist fünf Jahre alt. Die Einrichtung der Wangs ist globaler Standard: Im Wohnzimmer ein Esstisch, eine Sofaecke, ein großer Fernseher. Die Wohnung gehört der Familie seit dem vergangenen Jahr. Sie ist das Symbol für ihren sozialen Aufstieg. Freude will bei den Wangs trotzdem nicht so recht aufkommen.
"Eine solche Wohnung ist sehr teuer. Wir haben uns irgendwann dazu durchgerungen. Für unser Kind. Und auch um die Miete zu sparen."
...sagt Wang Yangyang. Die Wangs leben in Xinzhuang, einem Vorort im Südwesten von Shanghai. Die Wohnung liegt in einem etwas heruntergekommenen Sechsstöcker gleich neben der Autobahn. Deshalb war sie so günstig. 180.000 Euro. 2000 Euro pro Quadratmeter. Das liegt weit unter dem Shanghaier Durchschnitt. Für die Wangs war der Wohnungskauf trotzdem ein finanzieller Klimmzug. Für die Anzahlung liehen sie sich Geld, wo sie nur konnten, bei Freunden, Verwandten, Bekannten.
"Ich habe damals keine Nacht mehr geschlafen, erzählt Wangs Frau Zhang Jingzhe. Ich hatte mir noch nie so viel Geld geliehen. Was wenn ich meinen Job verliere? Was wenn die Immobilienpreise abstürzen? Wann können wir das Geld wieder zurückzahlen?"
Wang Yangyang arbeitet für eine amerikanische Internetfirma. Seine Frau als Büroangestellte. Trotzdem kommen sie finanziell kaum hin. Gemeinsam verdienen sie im Monat 2.000 Euro netto. Fast die Hälfte davon fließt in die Ratenzahlung an die Bank.
"Die Regierung muss etwas ändern"
Bald kommt die Tochter in die Schule. Sie soll dann - das ist üblich - privaten Zusatzunterricht erhalten. Kosten: 3.000 Euro im Jahr. Die Wangs sparen, wo sie können, für schlechte Zeiten. Keine Ausflüge, keine Restaurantbesuche, Urlaub undenkbar. Wang Yangyang ist sauer.
"Die Regierung muss etwas ändern. Meine Firma führt 40 Prozent der Gesamtausgaben für mich als Steuern und Sozialabgaben ab. Aber ich kriege kaum etwas zurück. Wir zahlen viel Geld, haben aber keine guten Leistungen."
Die Wangs haben profitiert von Chinas Wirtschaftsboom der vergangenen 25 Jahre. Wang Yangyangs Eltern waren Wanderarbeiter vom Land. Er ist Wohnungsbesitzer in Chinas modernster Metropole. Millionen sind diesen Weg gegangen. Die Mittelschicht wächst. Doch in ihr steigt der Druck. Unbezahlbare Immobilien, unzureichende Sozialsysteme, ein gnadenloser und sündhaft teurer Bildungswettbewerb um gute Schulen und Universitäten.
Gleichzeitig eine Umwelt, die immer schmutziger wird. Lebensmittel, die nicht sicher sind. Die neue Mittelschicht hat auch neue Ansprüche. Wütend macht die Korruption. Um der Tochter einen Platz im öffentlichen Kindergarten zu sichern, mussten die Wangs 700 Euro Bestechungsgeld bezahlen.
"Ich hasse die Korruption in China, sagt Wang Yangyang. Alle unsere gesellschaftlichen Probleme kommen daher. Und wenn sich China da nicht ändert, wird auch unsere Wirtschaft aufhören zu wachsen."
Mehr zum Thema