Chilenischer Film

Kein Entkommen

Wolfgang Martin Hamdorf im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.03.2014
Die Kamera dreht sich allein um ihn: Alejandro, einen ehemaligen Handlanger Pinochets, einen Folterer. Nach dem Ende der Diktatur versucht er ein Leben jenseits von Befehl und Gehorsam zu führen. Doch die Erinnerungen stecken zu tief in ihm.
Hanselmann: In vergangenen Jahr jährte sich der Putsch in Chile zum 40. Mal. Am 11. September 1973 stürzten die Militärs unter General Pinochet die demokratische Regierung des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Die Diktatur dauerte bis 1989, bis heute ist die chilenische Gesellschaft zerrissen. Am kommenden Donnerstag startet das Debüt des chilenischen Regisseurs Fernando Guzzoni "Carne de Perro" das heißt wörtlich übersetzt "Hundefleisch". Im Zentrum steht ein Folterer des Regimes, der nach Ende der Diktatur nach einer neuen Orientierung sucht. Im Studio begrüße ich Wolfgang Martin Hamdorf. Woher kommt der sehr einprägsame Titel des Films?
Hamdorf: Das ist ein sehr chilenischer Ausdruck: "carne de perro" – Hundefleisch - steht für etwas besonders dickhäutiges und widerstandsfähiges. Jemand, der fähig ist weiterzuleben, auch wenn sich alles um ihn herum verändert hat. In diesem Film bezieht sich das auf die Täter, die Handlanger des Militärs. Alejandro ist 55 Jahre alt, lebt einsam in seiner Wohnung in Santiago de Chile. Er leidet unter Panikattacken und psychosomatischen Schmerzen. Seine Arbeit und seine Familie hat er verloren. Nur der Hund hält ihm die Treue, ist das letzte was Alejandro noch geblieben ist, das letzte Wesen, das noch von ihm abhängig ist und das er quälen und foltern kann. Auch darauf bezieht sich der Titel
Junge Regisseure finden neuen Blick auf Pinochet-Diktatur
Hanselmann: Welchen Stellenwert hat die Vergangenheitsbewältigung, die Erinnerung an die Diktatur und ihre Folgen im chilenischen Film?
Hamdorf: Dieser Film steht in einer Reihe hochinteressanter und sehr unterschiedlicher Beiträge junger chilenischer Regisseure mit der Diktatur und ihren Spätfolgen für die chilenische Gesellschaft. Etwa ein Film wie "NO!" von Pablo Larrain. Da geht es um einen jungen unpolitischen Werbefachmann, der plötzlich die Kampagne der Opposition gegen Pinochet bei dem entscheidenden Referendum 1989 machen soll. Sie suchen andere Blickwinkel und Perspektiven.
Das hat nichts mit einer Relativierung zu tun, so im Sinne von: "Am Ende waren doch alles Opfer". Nein, es geht auch darum in einer Gesellschaft, wo die Anhänger der Diktatur heute sagen, man müsse doch endlich einen Schlussstrich ziehen, die alten Klischees und Schubladen zu vermeiden - also hier die Militärs mit Lederstiefel, Panzern und Maschinengewehr, da das Volk mit handgewebten Ponchos, Gitarren und Pablo Neruda Gedichten.
Wenn jetzt wie hier in diesem Film ein ehemaliger Folterer des Regimes, wie ein Häufchen Elend in seiner Wohnung sitzt, wirft das natürlich ein trübes Licht auf die Pinochet-Zeit, die von seinen Anhängern bis heute als erfolgreiches Wirtschaftswunder gepriesen wird. Dieses Querdenken der Filmemacher schlägt sich auch in der Gestaltung nieder. Fernando Guzzoni zeigt die Vergangenheit seiner Hauptfigur nicht mit den klassischen filmischen Mitteln, etwa mit erklärenden Rückblenden oder dramatischen Täter-Opfer Begegnungen, aber auch nicht mit einer Ausstattung, die es direkt und platt in den chilenischen Kontext drücken würde:
"Ich fand es interessanter, die Vergangenheit meiner Hauptfigur über wenige Bilder und visuelle Assoziationen herzustellen, wenige faschistische und nationalistische Symbole, die Fahnen etwa. Wenn man ihn in dieser Umgebung sieht, spürt man, dass etwas mit ihm und seiner Vergangenheit nicht in Ordnung ist. Aber ich wollte nicht mit dem Zeigefinger darauf hinweisen, das macht die Geschichte auch universeller.
Leise, fast dokumentarisch erzählt
Hanselmann: Der chilenische Regisseur Fernando Guzzoni über den Protagonisten seines Debüts "Carne de Perro". Die Geschichte des vereinsamten Folterers könnte wahrscheinlich in allen Teilen der Welt spielen, die eine dunkle Vergangenheit und den Übergang von autoritären, totalitären Strukturen in demokratischere erlebt haben. Mit welchen filmischen Mitteln beschreibt Fernando Guzzoni diesen Charakter?
Hamdorf: Er zeigt in erster Linie den Alltag eines vereinsamten, desorientierten Menschen: Die Kamera begleitet Alejandro bei seinen unentschlossenen Versuchen, Vergangenheit und Gegenwart in Einklang zu bilden, sein Scheitern bei dem Versuch, mit seiner Ex-Frau ins Gespräch zu kommen, den alten Kameraden aus Zeiten der Diktatur, die in der neuen Demokratie längst ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben.
All das erzählt der Film unspektakulär, leise und fast dokumentarisch, aber mit der Kamera immer ganz nah am Protagonisten.
"Ich wollte, dass die Kamera quasi eine Erweiterung des Protagonisten ist. Sie Kamera hängt immer an ihm dran und vermittelt dir die ganze Klaustrophobie, die er in sich aufbaut. Wenn wir den Film konventionell aufgelöst hätten mit Totalen, mittleren Einstellungen, dann wäre das viel distanzierter und kälter geworden. Der Zuschauer soll sich aber nicht distanzieren, sondern in seine Qualen und Unsicherheiten einsteigen. Darum habe ich mich für die Handkamera entschieden, die jedes Detail von ihm aufnimmt.
Protagonist endet in neuen autoritären Strukturen - in einer Sekte
Hamdorf: Für Fernando Guzzoni war es ganz wichtig keine Karikatur zu schaffen, sondern ein überzeugendes Porträt eines autoritären Charakters. Und das gelingt. Alejandro hat bei allen abschreckenden Zügen durchaus etwas Sympathischen auf seiner Suche nach einer neuen Identität, zwischen den quälenden Schatten seiner Vergangenheit und den Heilsversprechungen der Gegenwart.
Charaktere wie Alejandro sind für Fernando Guzzoni aber auch menschliche Zeitbomben: missbrauchbar und wieder einsetzbar für jede Form von autoritärer Weltanschauung. Wenn Alejandro am Ende des Films ganz in einer christlich evangelikalen Sekte aufgeht, kehrt er letztendlich wieder in ein autoritäres System zurück. Wirklich wichtig sind für ihn nur Ordnung und Hierarchie.
"Er kehrt wieder zum Militär zurück, nur jetzt als Kämpfer für den Glauben. Er ist ein sehr engstirniger Mensch, der ohne die Strukturen von Befehl und Gehorsam nicht leben kann. Diese Struktur hatte er in der chilenischen Armee, jetzt findet er sie in der religiösen Gemeinschaft. Er wird wieder zum Handlanger, so wie früher für die Militärdiktatur, aber jetzt eben für die Religion, was damals der Leutnant war ist heute der Pfarrer. Wirklich wichtig sind für ihn nur Ordnung und Hierarchie."
In Chile wenig Publikum
Hanselmann: Wie kommen denn Filme wie "Carne ne Perro" beim chilenischen Publikum an?
Hamdorf: Wahrscheinlich haben die evangelikalen Sekten mehr Publikum als selbst die chilenischen Mainstream-Filme. Der Kinobesuch hat in Chile nicht mehr Bedeutung als in Baden-Württemberg. Das ist in anderen lateinamerikanischen Ländern ähnlich. International, also auf Festivals und im Arthouse-Verleih sind diese Filme allerdings sehr erfolgreich.
Hanselmann: "Carne de Perro" - das Debüt des chilenische Regisseur Fernando Guzzoni, ein subtiles Porträt eines ehemaligen chilenischen Folterers startet am kommenden Donnerstag in den deutschen Kinos.
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