Charlotte Roche

"Kreativer Umgang mit Hass ist befriedigend"

Autorin Charlotte Roche bei der Premiere des Kinofilms "Schoßgebete", September 2014
Autorin Charlotte Roche bei der Premiere des Kinofilms "Schoßgebete", September 2014 © picture alliance / dpa
Moderation: Patrick Wellinski · 13.09.2014
In ihrem Roman "Schoßgebete" verarbeitet Charlotte Roche den tragischen Tod ihrer Brüder am Tag ihrer Hochzeit. Nun kommt der Bestseller in die Kinos. Zum Filmstart haben wir mit der Autorin über Schmerz, Sex und die Boulevardpresse gesprochen.
Wellinski: Nächste Woche kommt ein neuer Sönke Wortmann Film in die Kinos. Er heißt "Schoßgebete" - und damit wissen Sie sofort, um was es geht: Gemeinsam mit Drehbuchautor Oliver Berben hat er Charlotte Roches Bestseller verfilmt. Darin verarbeitet Roche den tragischen Tod ihrer Brüder am Tag ihrer Hochzeit. Ich bin ehrlich, ich finde den Film nicht wirklich gelungen. Er ist recht bieder und wirkt ganz so, als hätten es Wortmann und Berben allen recht machen wollen.
Und trotzdem war es uns wichtig, die Autorin Charlotte Roche zu fragen, wie sie mit so einem Film umgeht, der ihre Tragödie nochmal in Bilder fasst. Deshalb wollte ich von Roche zunächst wissen, ob sie diesen persönlichen Stoff nicht vor dem Kino schützen wollte?
Roche: Nee. Also, Schützen ist überhaupt nicht meine Angelegenheit beim Schreiben. Man schreibt richtig drauf los und ich will alles in die Waagschale werfen, was mich gerade bewegt, was ich gerade gelernt habe zum Beispiel in der Therapie oder ... - also sozusagen alles, was mich in diesem Moment berührt, soll auch darin vorkommen. Und wenn man zurückhält, was ist denn das für ein Schreiben? Kann ja sein, dass andere das machen, aber ich mache das nicht.
Wellinski: Welche Rolle hatten Sie bei der Produktion von "Schoßgebete"? Haben Sie mitgearbeitet, und wenn ja, wie?
Roche: Ich habe, das nennt man ja Total Buy-out, also die einzige Möglichkeit, einen guten Film zu machen, für mich, war total klar für mich, dass ich vorher Total Buy-out mache. Einfach weil ich immer gehört habe, dass Leute in der Filmbranche, die machen sich immer lustig über Autoren, die sich einmischen wollen. Da gibt es ja diverse Beispiele, die Autoren benehmen sich dann schlecht am Set, funken dem Regisseur dazwischen, schreiben schlechte Drehbücher und nerven einfach die Filmbranche und das wollte ich nicht.
Und bei beiden Filmrechtverkäufen sozusagen habe ich einfach nur nach einem persönlichen Gespräch mit vielen Produzenten den Produzent ausgesucht, der meiner Meinung nach am besten das Buch verstanden hat. Der Oliver Berben hat jetzt bei "Schoßgebete" so ein gutes Gespräch mit mir geführt, ganz persönlich und privat, wie den das Buch berührt in seinem Leben. Und das habe ich dem dann zwar nicht direkt gesagt, aber ich wusste nach ein paar Sätzen, der kriegt eh die Rechte, egal, was ist.
Wellinski: In "Schoßgebete" geht es um Elisabeth, die drei ihrer Geschwister bei einem schrecklichen Autounfall verliert am Tag ihrer Hochzeit. Und es gibt zwei Momente, da Sie gerade so schön die Zusammenarbeit mit Oliver Berben, dem Drehbuchschreiber geschildert haben, die mir aufgefallen sind, die zum Buch irgendwie paradox stehen irgendwie. Und das eine ist der Moment, dass der Film den Unfall der Familie ganz deutlich zeigt, das ist eine Art Rückblende, sehr minutiös wird der Unfall gezeigt, es gibt eine Explosion. Macht der Film da nicht das, was Elisabeth in dem Buch und auch im Film der Boulevardzeitung eigentlich vorwirft, nämlich dass die Bilder, private Bilder öffentlich gemacht werden? Hat Sie das nicht gestört, dass der Unfall, der wirklich im Zentrum des Films steht, auch so explizit gezeigt wird?
Roche: Ja, erst mal vorweg haben ja sowohl der Regisseur Sönke Wortmann als auch Produzent und Drehbuchautor Oliver Berben mir ganz oft erklärt, wie die das machen wollen, was die vorhaben. Die haben sich einen unglaublichen Kopf gemacht, weil die sich dieser Verantwortung bewusst waren. Die wollen ja am Ende, dass mir der Film gefällt. Und die wussten, dass das sehr heikel ist und dass man da sehr vorsichtig mit umgeht. Und zum Beispiel finde ich sehr, sehr gut gelöst, der Zuschauer sieht im Film, wie das fast passiert, und dann ist aber schwarz. Weil sie ja nicht dabei war. Das finde ich eine richtig gute, auch pietätvolle Lösung.
Also, ich habe nicht die Unfalldarstellung im Film gesehen und gedacht, oh, schlachten die das aus oder sehr, sondern ich empfinde, dass da gut mit umgegangen wird. Es ist ja nun mal sehr explizit im Buch beschrieben. Und dann ist das, was für viele halt verstörend ist, aber für mich gar nicht, weil ich das immer mit mir rumschleppe. Also, für mich ist nicht diese Vergeschichtisierung dieses Unfalls schlimm, sondern für mich ist ja die Realität schlimm, dass das passiert ist und dass man jeden Tag damit umgehen muss.
Und ich möchte noch was dazu sagen, zu diesem, eigentlich macht man dasselbe, was man der Boulevardpresse vorwirft: Es ist tatsächlich ein Riesenunterschied im Zeitpunkt. Der Vorwurf von mir bei solchen Anrufen von der Boulevardpresse am Tag des Unfalls oder am Tag danach, wo man höchstgradig gestört, schockiert und traumatisiert ist und dann eine Geschichte liefern soll, empfinde ich als unzumutbar vom Zeitpunkt. Die Schnelligkeit zählt ja dann beim Boulevard, wer kriegt die Geschichte zuerst.
Und bei mir ist das so, dass ich erst mal – ich weiß nicht genau, wie lang das her ist, zehn, elf, zwölf Jahre – damit lebe, dass das immer von anderen über mich gesagt wird, das ist die, der das passiert ist. Und dann will ich ein Buch darüber schreiben, wo ich sage, so stellt sich das für mich dar, also, ich sage endlich mal in meinen Worten, wie das ist. Und zum Beispiel finde ich das auch mit dieser Rache- und Hassfantasie einen kreativen Umgang damit, dass man ganz genau beschreibt, wie sich das anfühlt, wenn man solche Anrufe von der Boulevardpresse bekommt.
Wellinski: Das andere Interessante war ja, dass der Film durchaus an den Momenten immer das Potenzial hat, selbst eine Art Rachefeldzug gegen die Boulevardpresse zu werden. Aber ich finde, es ist halt nicht so eine Art "Die verlorene Ehre der Katharina Blum 2.0", ich finde sogar, dass die Boulevardpresse recht sanft angefasst wird. Die merken, das sind absolute No-Gos, die da geschehen, aber ich hatte auch nicht das Gefühl, jetzt zeigen wir es denen noch mal, dass man die Verwertungskette Film noch mal nutzt um zu sagen, und jetzt seht ihr das auch mal auf der Leinwand!
"Die Opferrolle gefällt einem irgendwann nicht mehr"
Roche: Ja, ich finde das auch wichtig, dass man nicht Jahre ... Man kann nicht jahrelang immer sagen, ich bin Opfer, ich bin Opfer. Diese Rolle gefällt einem irgendwann auch nicht mehr. Und ich finde diesen kreativen Umgang mit diesem Hass, mit dieser Verletzung, mit diesen Rachegelüsten befriedigend.
Wellinski: Elisabeth sagt einmal mit dem Blick auf so eine Boulevardzeitung, auf die Druckzeitung, wie sie da heißt: Sie ist schlecht für unser Land! Eine sehr politische Aussage, finde ich, in einem sehr persönlichen, hoch persönlichen Film. Sehen Sie das auch so?
Roche: Natürlich, wenn man sich alleine anguckt, wie viele Leute die zu Fall gebracht haben in den letzten Jahren, wo dann am Ende vor Gericht und mit echten Beweisen nichts mehr von übrig bleibt: als Beispiel Wulff ... Die "Bild"-Zeitungsmitarbeiter wollen Macht haben und behaupten auch ständig, dass sie Macht haben, und beweisen das dann in so einem Fall, und am Ende bleibt nichts mehr übrig. Also, ich finde das wirklich, dass das schlecht ist für ein Land.
Wellinski: Nach dem Trauma versucht Elisabeth wieder zurück ins Leben zu kommen und sie versucht das auf unterschiedlichste Weise. Sowohl im Buch als auch im Film kommt die Therapie, dann ist Sex eine sehr wichtige Sache, über die ich noch gerne sprechen würde. Aber eine Sache macht sie nicht, und das hat mich stutzig gemacht: Warum findet Elisabeth keinen Trost in der Kunst? Es gibt so viele Filme in der Filmgeschichte von Fellini, Kurosowa, wo Leute, die eine große Katastrophe erlebt haben, in ein Museum gehen oder ins Kino gehen und plötzlich weinen und irgendwie zu sich kommen. Aber das scheint ja gar nicht im Bereich des Möglichen für sie zu liegen!
"Sex ist ganz klar Entspannung"
Roche: Ja, das kann ich Ihnen ganz einfach erklären, warum das so ist! Das ist wirklich gut beobachtet, ich muss direkt lachen! Denn ich kann nicht schreiben in einem Buch, dass zum Beispiel Schreiben hilft. Also, das Buch an sich ist doch schon die Kunst. Deswegen spielt das keine Rolle. Im echten Leben ist das so, im echten Leben inspiriert mich das total und hilft mir total, Bücher zu lesen, gute Filme zu gucken und so.
Wellinski: Der eine Weg ist auch der Sex, den sie wählt, von dem sie sehr überzeugt ist, dass der sie früher oder später irgendwie zurück ins Leben bringt. Warum gerade dieser Weg und diese Überzeugung?
Roche: Das ist einfach ganz klar Entspannung. Also, wenn man das jetzt so reduzieren will auf so einen tierischen Akt von so einer Art Bonobo-Liebe, das ist ganz wissenschaftlich nachweisbar, dass Sexualität Spannungen abbaut, wenn man sozusagen guten Sex hatte oder einfach nur mittelmäßigen Sex, reicht schon, und danach denkt man immer, ach, die Probleme sind ja gar nicht so schlimm! Und das ist für mich der Beweis, man sollte das öfters hinkriegen!
Wellinski: Frau Roche, vielen Dank für Ihre Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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