Charlotte Knobloch

"Ich lasse mich von der Realität nicht unterkriegen"

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern © M&M/IKG
Charlotte Knobloch im Gespräch mit Katrin Heise · 07.09.2016
Als Jüdin wurde Charlotte Knobloch von den Spielen der Nachbarskinder ausgeschlossen, ihre Großmutter in Theresienstadt ermordet. Vom Zusammenleben mit nicht-jüdischen Deutschen nach 1945 erzählt Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, "Im Gespräch".
Charlotte Knobloch liebt Deutschland. Dabei hatte sie sehr gute Gründe, es zu verlassen und es zu hassen. Als jüdisches Kind wurde sie nach 1933 in München im Treppenhaus ihres Wohnhauses angespuckt, von den Spielen der Nachbarskinder ausgeschlossen.
Wie sie das Zusammenleben mit nicht-jüdischen Deutschen nach 1945 erlebt hat, über ihre Willenskraft und die Zerbrechlichkeit der Demokratie – davon erzählt sie "Im Gespräch".
"Da war für mich das erste Mal das Wort Jude ein Begriff und ich habe das nicht verstanden. Meine Großmutter, die mir das dann erklären musste, hat sich sehr schwer getan, mich zu beruhigen und mir einige Hoffnung zu geben, die natürlich nie stattgefunden hat: Dass ich wieder zu den Kindern gehen darf."

Nach dem Krieg geht es zurück nach München

Ihre Großmutter wird in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht und dort ermordet. Ihr Vater versteckt die zehnjährige Charlotte bei einer katholischen Familie in einem mittelfränkischen Dorf. Eine ehemalige Hausangestellte rettet ihr so das Leben - und der Dorfklatsch tut ein übriges.
"Im Dorf hat man mich ihr als uneheliches Kind angedichtet. Sie hat das sofort akzeptiert und zu meinem Vater gesagt, als er mich dorthin gebracht hat, sie nehmen mich auf, aber sie wissen nicht, wie lange und in welcher Form ich dort eine Zukunft habe und wie weit ich da legalisiert werden kann."
Charlotte überlebt und auch ihr Vater, der nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder mit ihr nach München geht. Doch der Umzug vom Land zurück in die Stadt fällt der Jugendlichen schwer.
"Ich habe ja alle die Leute gesehen, die uns vorher diskriminiert haben, beschimpft haben, im Treppenhaus auf uns gespuckt haben – die waren ja alle wieder da! Ein gewisses Verständnis für die Menschen hatte ich damals überhaupt nicht. Dass sie eventuell unter Druck gestanden haben oder was auch immer. Ich hatte nur die Situationen im Kopf, die ich erlebt habe und deswegen war ich dann diejenige - und mein Vater hat es gar nicht gern gesehen – wenn sie gegrüßt haben, dass ich nicht zurück gegrüßt habe. Ich konnte das nicht."

Erst 2006 mit dem Herzen in Deutschland angekommen

Für ihren Vater tue ihr das bis heute leid. Aber dass die Menschen, die den Nazi-Terror zumindest billigend in Kauf genommen hätten, weiter mit ihr im gleichen Haus, im gleichen Viertel wohnten, war für die Vierzehnjährige kaum zu ertragen.
"Da habe ich entschlossen, das nicht mitzumachen, sondern zu meinem Onkel nach Amerika zu gehen, wenn überhaupt eine Möglichkeit besteht."
Aber es kommt anders. Charlotte Neuland verliebt sich in einen jungen Mann, der aus Polen zurück nach Deutschland kommt, heiratet, wird Charlotte Knobloch und bleibt im Nachkriegs-München. Die Koffer aber bleiben gepackt. Erst am 9. November 2006, dem Tag der Einweihung der Synagoge "Ohel Jakob" im Herzen Münchens, kann Charlotte Knobloch sagen, dass sie angekommen ist in Deutschland.
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