"Charlie Hebdo"

Sie teilen aus, wie sie immer ausgeteilt haben

Blumen und die aktuelle "Charlie Hebdo"-Ausgabe vor der Redaktion des Satiremagazins
Blumen und die aktuelle "Charlie Hebdo"-Ausgabe vor der Redaktion des Satiremagazins in Paris © Joel Saget/AFP
Von Ursula Welter · 14.01.2015
Nein, das ist keine Traueranzeige! Die Macher des Satiremagazins "Charlie Hebdo" bleiben sich auch mit ihrer neuen Ausgabe treu. Ganz im Sinne der getöteten Kollegen, meint Ursula Welter. Und wieder ecken sie an, ernten einen Sturm der Entrüstung in der muslimisch geprägten Welt.
Vor neun Tagen noch war "Charlie Hebdo" eine, bei Licht besehen, weitgehend Unbekannte. Ein ständig vom finanziellen Ruin bedrohte französische Wochenzeitung für Liebhaber. Mit einer munteren Truppe genialer Zeichner, engagierter Journalisten im Fahrwasser der 68er, einer Mannschaft netter Menschen, die frech die Feder führten und Freude am Provozieren hatten. Die austeilte in alle Richtungen, der Prophet, der Papst, Marine le Pen, Angela Merkel.
Eine kleine Schaluppe im Meinungsmeer, die das Anecken brauchte, um Aufmerksamkeit zu erregen, was meist nur dann gelang, wenn Mohammed-Karikaturen für Wirbel sorgten oder Molotowcocktails die Redaktionsräume verwüsteten, weil aufgeputschte Glaubenskämpfer den Propheten rächen wollten.
Vor acht Tagen haben die, die das Blatt mundtot machen wollten, "Charlie Hebdo" durch ihr Morden weltweit zum Symbol gemacht.
Heute haben die Überlebenden ihren Überlebenswillen dokumentiert, sie sind auf ihre Weise zur Tat geschritten: friedlich, mit Stift und Papier. Und wieder ecken sie an, ernten einen Sturm der Entrüstung in der muslimisch geprägten Welt. Gelacht wurde nur im Westen, und auch dort nicht immer. Denn Satire à la Charlie Hebdo ist nicht jedermanns Sache.
Der Zuspruch ist den Überlebenden suspekt
Aber für jedermann will Charlie Hebdo auch gar nicht da sein. "Alle" sind "Charlie", aber "Charlie" ist nicht "alle". Der Zuspruch von Politikern über Kleriker bis hin zu Sternchen des Show-Business ist den Überlebenden suspekt, die Ausgabe 14. Januar 2015 handelt davon. Sie wollten ihre Redaktionskollegen nicht zweimal sterben lassen, deshalb teilen sie aus, wie sie immer ausgeteilt haben, lassen sich nicht vereinnahmen: Mohamed, der Papst, viele Zeichnungen weit unterhalb der Gürtellinie. Die Ausgabe 1178 ist Hommage an die Opfer und deren Überzeugungen. Eine Traueranzeige ist sie nicht!
Die Redaktion macht weiter wie bisher, stachelig, unbelehrbar wie immer.
Oder doch nicht? Die Mohammed-Karikatur heute auf dem Titelblatt, der generös verzeihende Prophet, ist eine versöhnliche Geste. Ob sie die Gemüter der aufgeschreckten Muslime und Juden – die gleichermaßen Angst haben vor einer Eskalation, weil sie fürchten, noch mehr zu Opfern der allgemeinen Aufladung zu werden – ob diese versöhnliche Geste diese Gemüter wirklich beruhigen kann, ist fraglich.
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