"Charlie Hebdo"

Die Last des Symbols

Das Titelbild des neuen "Charlie Hebdo"-Heftes
Das Titelbild des neuen "Charlie Hebdo"-Heftes © Ian Langsdon, dpa picture-alliance
Von Anne Raith · 25.02.2015
"Es geht weiter" heißt die Devise bei der Pariser Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" - doch der Druck auf die Redaktion ist enorm. Überlebende und Nachfolger berichten von Albträumen und Nervosität.
Sie sind ihm auf den Fersen, dem kleinen Hund, der eine Ausgabe von "Charlie Hebdo" im Maul trägt. Sie, das ist eine wild gewordene Meute. All jene, die die Satirezeitschrift am liebsten aufs Korn nimmt: vorne weg, beißwütig, Front National-Chefin Marine Le Pen, neben ihr als kleiner Kläffer Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, dahinter der Papst, die Presse und ein Hund als Dschihadist mit Kalaschnikow quer im Maul. "C'est reparti" – es geht wieder los, lautet die Losung. Gezeichnet hat den Titel der ersten regulären Ausgabe nach dem Sonderheft unmittelbar nach den Anschlägen der Karikaturist Luz:
"Das Titelbild hat durch den Hund etwas Unschuldiges, es ist die Rückkehr der fröhlichen Kritik. Wir wollen zeigen, dass wir nicht besessen sind von dem, was wir erlebt haben."
Und doch findet das Erlebte in viele Karikaturen seinen Widerhall – daran sei man vor allem nach den Anschlägen von Kopenhagen nicht vorbei gekommen... Und so amüsieren sich die Zeichner über zu kleine Gefängniszellen, in denen potenziellen Terroristen für eine anständige Radikalisierung schlicht der Platz fehle, oder mokieren sich darüber, dass alles plötzlich das Label "Je suis Charlie" trägt – sie selbst aber nicht mehr wüssten, wer sie seien. Sein sollen. Oder sein wollen.
Chefredakteur Gérard Biard formuliert schon einmal, was sie nicht mehr sein wollen: ein Symbol. Denn der Druck, der auf der Redaktion lastet, ist groß. Auf einer Redaktion, deren Kernmannschaft tot ist. Deren Zeichner, die das Heft über Jahrzehnte geprägt haben, gestorben und deren Nachfolger traumatisiert sind. Von wiederkehrenden Albträumen berichten jene, die den Anschlag überlebt haben. Von großer Nervosität, immer dann, wenn eine Tür zu schlage, wenn sich Geräusche wie Schüsse anhörten. Noch immer arbeitet die Redaktion provisorisch in den Räumen der Zeitung "Libération" – streng bewacht, unter Polizeischutz. Die neuen Räumlichkeiten werden eine Art Bunkeratmosphäre haben. Einige von ihnen, wie die Journalistin Zineb El Rhazoui, werden mit dem Tode bedroht:
"Es gibt bei Twitter zwei Hashtags, in denen dazu aufgerufen wird, mich zu töten, unter anderem, um den Propheten zu rächen. Da wird vorgeschlagen, mir mit Steinen den Schädel einzuschlagen, mich zu erwürgen oder mein Haus anzuzünden."
Einst gab es 200 Satirezeitungen in Frankreich
Unter diesen Umständen gestaltet es sich auch als schwierig, Nachwuchs zu finden. Die Zeitungskrise hat dafür gesorgt, dass es ohnehin nicht viele politische Karikaturisten auf dem Markt gibt – und jene, die man kontaktiert habe, hätten Angst, heißt es. Und doch soll "Charlie Hebdo" ab dieser Woche wieder regelmäßig erscheinen. Das sei man den toten Kollegen und Freunden schuldig, findet Patrick Pelloux, und der Tradition. Der Arzt und Kolumnist war damals einer der ersten am Tatort:
"Es gibt doch außer uns nur noch den Canard Enchaîné und Siné Hebdo bzw. Mensuel. Wenn man sich die Zahl der Satirezeitungen im Jahr 1870 anschaut, während der Pariser Kommune, waren das 200. Das ist eine Kultur! Dahinter steckt die Freiheit, die Freiheit der Presse, die Freiheit des Denkens."
Zumindest finanziell muss sich die Redaktion zunächst keine Sorgen mehr machen. Allein durch die Sonderausgabe nach den Anschlägen wurden 10 Millionen Euro eingenommen. Die Zahl der Abonnenten ist von 8 -10.000 auf 200.000 angestiegen. Gerade die linke Klientel, die "Charlie Hebdo" über die Jahre aus den Augen verloren hatte, ist zurückgekehrt – für sie ist die Zeitung allen anderslautenden Wünschen zum Trotz ein Symbol.
Der Redaktion bereitet der Geldsegen jedoch mehr Sorgen, als das er Entlastung verheißt. Man wolle sich schließlich keine mit diamantenbesetzten Stifte kaufen, seufzt auch Luz. Doch das Interesse wird langsam nachlassen, davon gehen sie alle aus. Vielleicht ein bisschen erleichtert:
"Charlie Hebdo wollte nie allen gefallen. Und am Ende werden wir sehen, wer uns treu bleibt. Manche werden 'au revoir' sagen und vielleicht: bis bald."
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