Chaos in der bulgarischen Botschaft

Rezensiert von Pieke Bierman · 31.08.2006
Man kam lange Zeit problemlos ohne einen Botschafter aus. Jeder konnte in Ruhe machen, was er wollte. Dann kommt Varadin Dimitrov in die bulgarische Botschaft in London und will den Laden aufräumen. Urkomisch und grotesk zeigt Popov, was Behörden aus Menschen machen können.
In der bulgarischen Botschaft in London regiert Seine Exzellenz Schlendrian, denn sie hat keinen Botschafter. Und alle genießen es. Die einen wohnen einfach da, die anderen wickeln ihre krummen Geschäfte ab, alle zusammen feiern gern Orgien und fürchten den Tag, an dem ein neuer Botschafter kommt. Irgendwann demnächst.

Denkste! Varadin Dimitrov kommt absichtlich drei Tage früher als angekündigt, er ist Sadist aus Karrierismus. Es hat ihn einiges gekostet, nicht in irgendein Drittweltland versetzt zu werden, sondern nach London, just jetzt, wo Bulgarien sich als EU-Beitrittskandidat qualifizieren soll.

Und er wird diesen Saustall säubern! Zur Not mithilfe "der Zahlentherapie nach Dr.Pepolen". Die geht so: Wenn man Ärger hat, gibt man dem eine Note zwischen eins und hundert und sagt die laut. Beim nächsten Anfall muss die gebrüllte Zahl kleiner sein als die vorige. Und irgendwann hat man sich auf eine entspannte Eins heruntergezählt. Dass einen die Umstehenden verständnislos anglotzen, wenn man plötzlich "84!" brüllt, darf einen nicht stören. Man hat ja praktisch pausenlos Anlass dafür.

Denn was in dieser Botschaft und drumrum alles passiert, an grotesken, bedrohlichen, brutalen oder einfach gemeinen Dingen, ist wahrhaft nervenaufreibend. Zwar geht es meist um Kinkerlitzchen, um typischen behördeninternen Stress eben. Eifersüchteleien und Eitelkeiten, aufgeschäumt von bräsiger Heimtücke, verkrampfter Inkompetenz und den schönen Möglichkeiten, die sich aus Ämtern und Funktionen ergeben beziehungsweise aus dem Prinzip "Rache des kleinen Mannes", wenn eben kein Amt zur Hand ist.

Wir kennen manches davon aus der genialen britischen TV-Serie "Yes, Minister!" Alek Popovs Londoner Bulgarien-Botschaft ist kein bisschen "exotisch". Wer sich je mit deutschen Schul-, Polizei-, Postbehörden herumgeschlagen hat und verzweifelt ist, weil er deren innere Logik nicht begreift, ertappt sich spätestens ab Seite 200 beim Selber-Zählen.

Ebenso slapstick-komisch inszeniert ist der klein- bis schwerkriminelle Wahnsinn, der unter Hand mitläuft. Da werden Enten aus Parkteichen geklaut, in der Botschaftskühltruhe zwischengelagert und an Chinarestaurants verhökert; da wird eine Studentin, die sowohl die Botschaft putzt, unsern braven Varadin zu heimlichen Erektionen nötigt und als Stripperin jobbt, zum Lady-Di-Double ausstaffiert, klaut so ein Diamantkollier für eine schlappe halbe Million Pfund und endet als Guerrillera in Peru; da fällt der eine oder andere Mord an.

Und wirklich alles und jeder kriegt sein Fett ab: Bulgaren, Briten, Männer, Frauen, die Revolution, der Kapitalismus...

"Mission: London" ist ein Roman über etwas, das unser aller Leben beherrscht: die Bürokratie. Und Alek Popov macht uns mit geschliffenen literarischen Instrumenten klar, was Behörden aus Menschen machen und was für Menschen diese brauchen, um zu funktionieren. Sein Roman ist ein so urkomischer wie tieftrauriger Blick auf die comédie humaine der modernen Verwaltungsgesellschaft - Kracauer live und heute, sozusagen.

Alek Popov: Mission: London
Roman. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann
Residenz Verlag, St.Pölten/Salzburg 2006
284 Seiten, 19 Euro