Chamisso-Preisträger 2015

Geschichten außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung

Der deutsche Schriftsteller Sherko Fatah posiert am Donnerstag (15.03.2012) in Leipzig auf der Leipziger Buchmesse. Sherko Fatah ist der Sohn eines Kurden aus dem irakischen Kurdistan und einer deutschen Mutter. Er verbrachte die ersten Jahre seiner Kindheit in der DDR.
Der deutsche Schriftsteller Sherko Fatah wird für sein interkulturelles Schreiben ausgezeichnet. © Jens Kalaene dpa
Von Georg Gruber · 05.03.2015
Sherko Fatah erhält am Abend den Chamisso-Preis: als Auszeichnung für seine Literatur, die von einem Kulturwechsel geprägt ist - und auf Deutsch verfasst ist. Fatah schreibe schonungslos über Krieg und Terror, so die Begründung.
Drei Jahre feilte Sherko Fatah an der passenden literarischen Form, das Thema hatte ihn schon länger beschäftigt – und als sein Roman dann im vergangenen Sommer erschien, hatte er eine erschreckende Aktualität: "Der letzte Ort" ist die Geschichte einer Entführung im Irak. Sie könnte sich so gerade heute ereignen, auch wenn im Buch Hinweise zu finden sind, dass es vor zehn Jahren spielt. Schon damals wurden Entführungsopfer enthauptet, die Bilder gingen um die Welt.
Sherko Fatah, der 50-jährige Schriftsteller mit den dunklen Augen und dem schmalen Oberlippenbart, ist ein gefragter Mann, als Literat, der seine Geschichten schon seit Jahren in dieser Krisenregion angesiedelt hat, als Irakerklärer, als Islam- und Terrorexperte - auch wenn ihm selbst diese Expertenrolle nicht sonderlich gefällt. Er sei Schriftsteller:
"Diese ISIS-Geschichte da drin oder die Vorläufer von ISIS, ja das ist weniger prophetische Begabung, als einfach das Wissen darüber, dass es diese Strategie gab, mit diesen öffentlichen Schreckenstaten. Dass der Mann zwar tot ist, der sie in die Welt gebracht hat, aber dass seine Leute noch da waren. Und dass die irgendwo geblieben sein müssen in den Jahren danach - und natürlich sind sie in Syrien geblieben und kamen irgendwann zurück. Das heißt, wir schauen halt oft nur für eine gewisse Zeit auf etwas, und dann schauen wir weg, das ist so diese fleckenartige Aufmerksamkeit, die wir haben und zu der wir nur fähig sind durch die Medien. Das was dort vor Ort ist, brodelt aber weiter."
Besondere familiäre Verbindungen in den Irak
Sherko Fatah hat ein Gespür für diese Geschichten außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung. Und er hat besondere familiäre Verbindungen in den Irak, sein Vater, ein Kurde, stammte von dort. Geboren wurde Sherko Fatah 1964 in Ostberlin, seine Mutter ist Deutsche. Durch den irakischen Vater hatte die Familie eine Sonderrolle, kann in den 70er Jahren für Verwandtschaftsbesuche aus der DDR aus- und wieder einreisen.
"In Bagdad konnte man eigentlich von einer blühenden Stadt sprechen, mit Restaurants, mit unverschleierten Frauen, es war eigentlich ziemlich säkular, und für mich als Kind war das natürlich, man muss sich das immer so vorstellen als eine Reise aus der DDR in den Irak. Heute hat man vom Irak so ein Bild: düster, Krieg und alles zerstört, damals war es im Vergleich zur DDR ein buntes, sonniges und konsumfreudiges Land."
Mitte der 70er Jahre verließ die Familie die DDR und siedelte mit Zwischenstation Wien nach Westberlin über, auch das problemlos. Für ihn als Kind war es zwar ein Bruch, eine Art Entwurzelung, wie er sagt, jedoch keine traumatische Erfahrung. Denn die Sprache blieb ja dieselbe, auch wenn nun so manche Geschichten in der Schule anders erzählt wurden und der große Freund nun die USA und nicht mehr die Sowjetunion war. Dass es mehrere Welten geben kann, gleichzeitig, findet sich auch in seinen Büchern, schon in seinem Debut, wo er von einem Schmuggler im irakischen Grenzland erzählt.
"Meine Faszination, da wo der literarische Funken dann entsteht, war, diese Gleichzeitigkeit der Welten in den Blick zu bekommen literarisch und irgendwie zu versuchen, diese Konfrontation, oder auch nur die Koexistenz der Kulturen in den Blick zu bekommen, ihre Ungleichzeitigkeit: Der eine muss seinen Lebensunterhalt als Schmuggler verdienen, aber er schmuggelt auch diese kleinen Laptops, die damals Mode wurden. Es gibt immer Verbindungen zurück in die andere, erste Welt, wie man das früher sagte, und das interessiert mich."
Fatahs Debüt wurde zum Erfolg
"Im Grenzland" erschien 2001, zu einer Zeit als von jungen Autoren eine andere Art von Literatur erwartet wurde: Popliteratur, Berlinromane, Beziehungsgeschichten, Selbstbespiegelungen. Sherko Fatahs Debut wurde trotzdem - auch für ihn selbst überraschend - ein Erfolg, vielleicht gerade weil er sich mit anderen Themen beschäftigte.
"Das war natürlich ein guter Start, denn seitdem, auch wenn’s nicht fürstlich ist, kann ich davon leben, von der Literatur, und das ist ja schon was."
Seine Romane sind keine leichte Kost, man muss sich auf sie einlassen. Sie führen immer wieder in die Krisenregion Naher Osten und eröffnen dabei neue Perspektiven. Zum Beispiel, welche Auswirkungen die große Politik auf die einfachen Menschen haben kann, die mit den Konsequenzen zu leben haben, mit Krieg, dem Zerfall staatlicher Ordnung, Terror, Willkür, Gewalt.
Sherko Fatah lebt, wenn er nicht auf Recherchereisen ist, in Berlin Kreuzberg.
Sein neues Buchprojekt soll wieder im Nahen Osten angesiedelt sein. Sich zur Abwechslung mal eines rein innerdeutschen Themas anzunehmen - das reizt ihn nicht.
"Worüber soll ich schreiben? Über Leute, die aus Afrika kommen und dann im Görlitzer Park Drogen dealen oder soll ich schreiben über Leute, die auf dem Land leben und ihren Garten pflegen? Das Problem ist, dass alles, das war ja auch immer mein Konzept in der Literatur, dass alles gleichzeitig da ist. Klar, ich kann mich dazu entscheiden, nur das eine zu beschreiben, mehr interessieren würde mich aber und da waren wir ja schon mal, die Konfrontation der Welten."
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