Cello mit Matt Haimovitz

Von Bach bis Hendrix

Von Haino Rindler · 28.10.2015
Der Cellist Matt Haimovitz galt in den Neuzigerjahren als wahres Wunderkind. Doch dann drehte er der etablierten Klassikwelt den Rücken und gründete in den USA seine eigenes Labels Oxingale und spielte viele Konzerte mit großem Erfolg. Nun kehrt er nach Europa zurück.
Musik: "Jimi Hendrix - The Star Spangled Banner"
"Wir haben 2000 damit begonnen. Davor war ich zehn Jahre lang Exklusiv-Künstler bei Deutsche Grammophon. Es gab dramatische Veränderungen in der Plattenindustrie. Sie befand sich in der Krise. Die Wege der Musikverbreitung änderten sich und die Art wie Musik erlebt wurde."
Das führte Matt Haimovitz auf einen langen und oft steinigen Weg. Denn für Bach-Suiten oder gar für Neue Musik war damals kein Labelboss zu begeistern.
Der Name des Labels Oxingale trägt die Verwandlung, die Überschreitung von Genregrenzen, die Metamorphose im Wort. Es ist eine Wortschöpfung.
"Der Name kommt von Voltaire. Er hatte eigentlich eine schlechte Meinung über das Cello. Und dann hörte er Jean-Louis Duport spielen, der seinerzeit die Inspirationsquelle für Beethovens frühe Sonaten war. Und Voltaire sagte anschließend zu Duport: Sir, es ist ein Wunder. Sie haben den Ochsen in eine Nachtigall verwandelt."
Musik: "Bach-Suite"
"Die Idee hinter Oxingale ist: Wir folgen unserer musikalischen Leidenschaft. Wir fragen nicht, ob es alte oder neue Musik ist. Wenn wir einen Rock'n'Roll-Song von Radiohead mögen oder John McLaughlin oder Jazz, dann verfolgen wir das. Dann wird es Teil unseres Programms. Und so können wir CD Projekte machen, die bei Deutsche Grammophon undenkbar wären."
Etwa das Album "Goulash!" mit Werken von György Ligeti, Bela Bartok oder Adrian Pop. Im Begleittext heißt es:
""Inspiriert von der weitreichenden Neugier und von der Menschlichkeit eines Bartok haben auch die musikalischen Zutaten für dieses Album – über Entfernungen und Grenzen hinweg - viele Gemeinsamkeiten. Goulash! ist ein Eintopf, in dem verschiedene Aspekte meines eigenen Lebens vermengt werden … Durch die Kraft der Musik, noch die bedrohlichsten Mauern zu durchdringen, wird eine Art persönlicher Vor-Geschichte offengelegt, eine Zeit, die dem Gedächtnis voransteht, die die menschliche Natur aber so gut kennt."
Musik: "Ligety"
Für Matt Haimovitz ist Musik, insbesondere "zeitgenössische" Musik eine Möglichkeit, sich mit seiner eigenen Herkunft und Geschichte auseinanderzusetzen. Seine musikalischen Wurzeln gründen in Bachs Cello-Suiten - ein Universum, das es immer wieder auszuloten und zu ergründen gilt. Diesen Schatz mit Gleichgesinnten zu teilen, ist das eine.
Er pflegt Offenheit auch in seinem Konzertprogramm
Ihn auch jenen Menschen zu zeigen, die bisher unberührt davon waren, ist etwas anderes. Diese Menschen findet man nicht in den Klassik-Tempeln, sondern in Pizzerias, auf Boulevards oder in Clubs wie dem CBGB in New York, ein Punkclub.
Haimovitz stieß dort auf offene Ohren.
"Die Menschen, die das nicht kennen, sind neugierig darauf, wie das klingt, wie die Stücke funktionieren. Oft erzähle ich dem Publikum etwas über die Geschichte dieser Werke, meine Beziehung dazu und über das Geheimnisvolle, das in der Musik steckt. Aber wenn ich dann zu spielen anfange, dann sind die Menschen sofort dabei - es entsteht sofort eine Verbindung zur Musik."
Musik: "Bach-Suite"
"Als ich mit diesen Projekten anfing, hieß es oft: Oh mein Gott, Matt ruiniert seine Karriere! Jetzt scheint das normaler geworden zu sein. Besonders junge Menschen nehmen das gerne an. Das ist schön!"
Musik: "Beatles - Helter Skelter"
Matt Haimovitz ist ein neugieriger Mensch, der gerne möglichst nahe am Kompositionprozess sein möchte. Mit vielen Komponisten, deren Werke er spielt, ist er befreundet. Seine Frau - so erzählt er - kenne jeden Beatles-Titel. Für ihn selbst sei das immer noch Neuland.
Und diese Offenheit pflegt Haimovitz auch in seinen Konzertprogrammen: Kein Problem, ein Konzert mit Jimi Hendrix oder Arcade Fire zu beginnen und mit einer Schostakowitsch-Sonate zu beenden.
Das Wichtigste - und das sagt er auch als Cello-Professor - ist, seine künstlerische Unabhängigkeit zu bewahren. Denn wenn Neugierde von Routine und Perfektion verdrängt wird, dann wird Musik zu einem musealen Artefakt.
"Ich bin der Meinung, dass die Idee von der Einheitlichkeit heutzutage gar nicht mehr existiert. Es geht immer um Vielseitigkeit, um die Schönheit von Details… Aber es gibt auch die entgegengesetzte Tendenz: Oft hören ich Cellisten, die alle gleich klingen. Das ist ein Problem. Und zwar eins, für das in gewisser Weise die Plattenindustrie verantwortlich ist. Jeder will perfekt sein und das höchste technische Niveau erreichen. Und zum Schluss ist alles das Gleiche."
Mehr zum Thema