Cees Nooteboom

    Von Tobias Wenzel · 30.08.2013
    Wieso denkt Cees Nooteboom bei Friedhöfen an Fußballfelder? Und inwiefern stößt er bei seinem Friedhofsgang auf deutsch-deutsche Geschichte?
    Er ist einer der letzten Berliner Friedhöfe, die Cees Nooteboom bisher noch nicht kannte: der Invalidenfriedhof. Diesen schneebedeckten Ort betritt nun der begeisterte Friedhofsgänger. Schon als junger Mann suchte Nooteboom Friedhöfe auf, wo auch immer auf der Welt er gerade war. Als Journalist und Reiseschriftsteller arbeitete er zusammen mit einem befreundeten Fotografen:

    "Er hatte bei all unseren gemeinsamen Reisen, vor allem in die Dritte Welt, eine Leidenschaft: Fußballfelder. Und ich hatte die Friedhöfe."

    Cees Nooteboom erfuhr, dass auf dem Berliner Invalidenfriedhof, auf dem vor allem Militärs bestattet sind, auch eine deutsche Rekordfliegerin liegt. Das hat ihn interessiert. Und so ist er nun gekommen, um ihr Grab zu suchen. Aber es irritiert ihn etwas, das, mit Unterbrechungen, den Friedhof durchzieht:

    "Eine Mauer? Ach, die war hier? Quer durch den Friedhof. Aber die sieht so unmauerlich aus. Vielleicht auch, weil da nichts draufgemalt ist."

    Cees Nooteboom macht einen Bogen um das Mauerstück und steht plötzlich vor dem Ziel seines Friedhofsgangs, vor einem Findling mit einem eingravierten Spruch:

    "Der Flug ist das Leben wert. Marga Wolf von Etzdorf. Ja, sie ist dann also nur 25 geworden. Sie ist in dem Jahr gestorben, in dem ich geboren bin: 1933."

    Cees Nooteboom auf dem Invalidenfriedhof in Berlin
    Cees Nooteboom auf dem Invalidenfriedhof in Berlin© Tobias Wenzel/ Knesebeck Verlag

    Nooteboom ist bewegt von diesem unerwarteten Zusammentreffen: vom Grabmal der ehrgeizigen Fliegerin und der Ostberliner Hinterlandmauer zu ihren Füßen. Zwischen Mauer und Schifffahrtskanal verlief auf dem Friedhof im wahrsten Sinne des Wortes ein Todesstreifen, unter und über der Erde. Hier wurde 1964 ein junger Mann erschossen, als er versuchte, über die Mauer des Kanals in Richtung Westen zu fliehen. Für die freie Sicht der Grenzposten hatten die DDR-Machthaber gesorgt: Sie hatten die meisten Gräber im Todesstreifen einebnen und Tonnen an Stahl und Stein beseitigen lassen. Von den ursprünglich 3000 Grabstätten waren nur noch 230 übrig, als die Mauer fiel. Da lebte der niederländische Autor gerade als Stipendiat in Westberlin und wurde zum Chronisten der Geschichte.

    "Da oben ist immer etwas von Ekstase, wenn man so ganz oben in dieser Welt ist."

    Cees Nooteboom versetzt sich in Marga von Etzdorf: wie sie am 27. Mai 1933 mit ihrem Leichtflugzeug in Berlin zu ihrem nächsten Rekordflug mit dem Ziel Australien aufbrach, aber schon am folgenden Tag bei einer Zwischenlandung in Syrien ihr Flugzeug beschädigte:

    "Da hat sie gesagt: 'Ich möchte mich eine halbe Stunde zurückziehen.' Da auf dem Flughafen in Syrien. Das muss man sich alles natürlich unendlich primitiv vorstellen. Und in dieser halben Stunde hat sie sich selbst erschossen."

    Fahrräder sausen über den ehemaligen Todesstreifen, eine Frau schiebt einen Kinderwagen. Der niederländische Schriftsteller beobachtet es fasziniert, um dann wieder auf den Grabstein der Pilotin zu blicken. In Nootebooms Rücken prangt die Berliner Mauer:

    "Das ist die Ironie der Geschichte: Sie guckt nun mit dem Gesicht auf die Mauer. Sie hat nicht wissen können, dass einmal eine Mauer quer durch ihr Land, ihre Stadt und auch noch ihren zukünftigen Friedhof verlaufen würde. Ja, ein deutsches Schicksal, im doppelten Sinn."

    "Cees Nooteboom, Invalidenfriedhof, Berlin, Deutschland"

    Kommt noch etwas nach dem Tod?, frage ich Cees Nooteboom auf dem Friedhof. Seine Antwort:

    "Da muss ich ehrlich sagen: Ich weiß es nicht. Ich habe mal ein Interview mit einem niederländischen Kardinal gehört. Da würde man doch denken: So ein Kardinal, der muss sich doch ganz sicher sein. Schließlich hat er das doch sein ganzes Leben lang verkündet. Der steigt doch dann froh nach oben. Die Antwort des Kardinals zu dieser Frage war aber alles andere als großartig. Die war eher klein: 'Ja, am Ende muss man durch ein ganz kleines Pförtchen gehen', hat er gesagt. Ich hatte gedacht, als Kardinal schreitet man zum Himmel!"