CeBIT

Charlie auf dem Weg zum Mond

Von Michael Engel · 12.03.2014
Charlie ist der erste Roboter mit beweglicher Wirbelsäule und "fühlenden" Füßen. So kann er abrupte Bewegungen ausgleichen. Damit soll er irgendwann zum Beispiel auf dem Mond laufen können.
"Unser Charly": Überlange Arme, hervorstehende Schnauze mit angedeuteten Überaugenwülsten und beim Gehen wackelt er mit dem Hintern. Ein typischer Schimpanse. Nur dieser Charlie hier auf der Computermesse CeBit hat keine Muskeln, keine Haare, und Unsinn macht er höchstens, wenn sich ein Programmierfehler einschleicht. Charlie ist ein affenähnlicher Roboter. Petra Stock, Messebesucherin aus Braunschweig, muss erstmal lachen, als sie den elektronischen Schimpansen sieht.
"Es ist einfach faszinierend, was heutzutage mit der Technik möglich ist. Und ich denke einfach mal, dass die Weiterentwicklung in einem Jahr vielleicht auch einiges in Form von Technik im Haushalt erleichtern könnte - weiß ich nicht - also es sieht noch ein bisschen unförmig aus, das Ganze, aber ich denke mal schon klasse. Find' ich gut."
Daniel Kühn vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz hat das Tier in dreijähriger Arbeit entwickelt und gebaut. Gerade wackelt der künstliche Affe wie ein staksiges Modell über einen sechs Meter langen Laufsteg in der Forschungshalle 9.
"Wir sehen jetzt den Affen, wie er sich mit einem vierbeinigen Laufmuster fortbewegt. Das heißt, er bewegt sich immer ein wenig zur Seite und nimmt jeweils das gegenüber liegende Bein hoch. Das zur Seite nehmen ist deswegen so wichtig, weil dann gerade das Bein lastfrei ist, und wir das sehr einfach hochheben können, nach vorne absetzen können, und danach shiften wir uns wieder auf die andere Seite, und nehmen dementsprechend die andere Seite hoch."
"Was sie hören, sind Elektromotoren, die wir verbaut haben. Insgesamt sind 36 Stück im System. Und über das Zusammenspiel dieser Motoren kriegen wir dann eine Laufbewegung hin."
Nein, die Namensverwandtschaft mit "Charly" aus dem Fernsehen war nicht gewollt, schmunzelt der Informatiker aus Bremen. Sein "Charlie" wird schließlich nicht mit "y", sondern mit "ie" geschrieben:
"Wir wollen mit dem System zweibeinig und vierbeinig laufen. Und so kommen wir halt auf den Namen. Das heißt "Combined humanoid and ape-like locomotion for iStruct experiments" - und das ist dann der Name Charlie, der da rauskommt."
Eine Metapher für eine zweite Evolution
Der primatoide Affe ist deutlich größer als sein biologisches Pendant. Stehend auf zwei Beinen überragt der Roboter sogar sein "Herrchen", wiegt dafür aber nur 17 Kilo - inklusive Batterie - während ein ausgewachsener Schimpanse aus Fleisch und Blut gut 70 Kilo auf die Waage bringt. Ein Hingucker ist Charlie in jedem Fall - und rätselhaft:
Frau: "Dies hier brauch' ich nicht in der Küche. Also Küche nicht. Auch nicht im Haushalt. Seh' ich nicht so!"
Mann: "In dieser Art habe ich jetzt - ehrlich gesagt - keinen Schimmer, wie man das außer im militärischen Bereich verwenden könnte."
Frau: "Ich denke mal, dass damit irgend welche Dinge gelöst werden können, die wir Menschen vielleicht nicht erreichen, also irgendwo hochklettern, irgendwelche hohen Gebäude ..."
Richtige Antwort! Irgendwo klettern. Und das bedeutet für Charlie: Kein geringerer Ort als auf dem Mond, vielleicht sogar auf dem Mars. Mondautos haben nämlich den Nachteil, dass ein dicker Felsbrocken den Weg blockieren kann oder - noch schlimmer - tiefe Krater oder Spalten das Gefährt verschlingen. Charlie - sagt sein Konstrukteur Daniel Kühn - könnte solche Hürden mit Leichtigkeit nehmen:
"Die Mondautos, die unterwegs sind oder auf dem Mars, da liest man häufig, dass sie sich festfahren im sehr weichen Sand oder sehr weichen Untergrund. Das ist zum Beispiel etwas, was einem laufenden System nicht passieren wird. Natürlich sind die fahrenden Systeme schneller. Dafür gibt es aber auch Ansätze, die Systeme einfach kooperieren zu lassen. Das heißt, das fahrende System nimmt das laufende System in eine Art Huckepack, fährt es zu einem wissenschaftlich interessanten Punkt hin, setzt es dort ab, und ab da fängt dann das laufende System an, die Umgebung zu explorieren."
Mehr als 60 Sensoren unter den metallischen Fußsohlen signalisieren dem Zentralrechner im Brustkorb des Affen, ob die Bodenhaftung noch stimmt. Als erster Roboter verfügt Charlie sogar über eine Art "Wirbelsäule", um noch besser Balance zu halten. Viele Entscheidungen trifft er autonom. Was jetzt noch fehlt - so der Wissenschaftler - sind Politiker, die Charlie auf den Weg bringen - nach oben - zum Mond:
"Was wir hier aufgebaut haben, ist ein erster Prototyp. Bevor wir an reale Mond- oder Marsmissionen denken können, werden bestimmt drei, vier Generationen von diesem System entwickelt werden müssen, um dann tatsächlich die Fähigkeit zu besitzen, solche Missionen anzugehen."
"Charlie" oben im Solar-Jeep, die Menschen unten in der Bodenstation. Wahrlich ein wundersames Bild, vielleicht sogar eine Metapher für eine "zweite Evolution", die vom elektronischen Affen als Wiege einer neuen, künstlichen Menschheit erzählt. So jedenfalls sieht es ein Besucher:
"Es ist faszinierend. Es ist gigantisch. Aber es birgt halt auch viele Gefahren und viele ethische Fallstricke. Es ist die Frage, ob man da sich nicht selber obsolet macht ..."
Mehr zum Thema