CDU-Politiker Martin Patzelt

"Wo die wenigsten Fremden wohnen, ist die Angst am größten"

Der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt (CDU) und die beiden Flüchtlinge aus Eritrea Haben und Awet am Zaun des Gemeinde- und Vereinshauses in Briesen im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). Sie lehnen sich über ein Geländer und schauen in die Kamera.
Der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt mit den Flüchtlingen Haben und Awet aus Eritrea, die er in seinem Haus aufgenommen hat © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Martin Patzelt im Gespräch mit Ute Welty · 15.08.2015
Weniger Massenunterkünfte, stattdessen mehr privates Engagement für Flüchtlinge: So könnte eine drohende Polarisierung in Deutschland aufgehalten werden, meint der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt. Er hat selbst zwei Flüchtlinge aus Eritrea in seinem Haus aufgenommen.
Der CDU-Bundestagsabgeordente Martin Patzelt hat seit Juli zwei Flüchtlinge aus Eritrea in seinem Haus im brandenburgischen Briesen aufgenommen hat. Im Deutschlandradio Kultur berichtete er von seinen Erfahrungen. Die beiden Flüchtlinge seien mittlerweile im Ort bekannt und würden dort auch einer Tätigkeit nachgehen, sagte Patzelt. Aus der anonymen Masse der Asylbewerber seien zwei wiedererkennbare Gesichter heraus gehoben geworden:
"Und das unterstützt meine Theorie: Wenn es uns gelingt, die großen Massenunterkünfte oder Gemeinschaftsunterkünfte mehr und mehr aufzulösen und zu sagen: 'Sie leben zivil unter uns' (...), dann kann die Stimmung ganz schön kippen. Und das ist meine allergrößte Sorge für Deutschland: Dass wir die Polarisierung nicht aufhalten können."
Patzelt, auch ehemaliger Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder, unterstützt den Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zur besseren Nutzung von Kapazitäten für Flüchtlinge in Ostdeutschland. Dieser Vorschlag sei pragmatisch und richtig, sagte er. Diese Initiative folge auch dem normalen Menschenverstand:
"Wo Platz ist, da stellt man etwas hin. Oder: Wo Lebensraum ist, da siedelt man auch Menschen an."
Das Traum Entvölkerung - auch in Brandenburg
So beklage man in Brandenburg wie auch in anderen neuen Bundesländern seit Jahrzehnten die Entvölkerung von bestimmten Lebensräumen:
"Das ist wie ein Trauma. Das habe ich als Oberbürgermeister ja tagtäglich deklinieren müssen. Und auf einmal kriegen wir ein Angebot, dass fremde, aber hochmotivierte Menschen, zumeist noch junge Menschen, hier leben können und wollen. Und da sage ich: 'Etwas Farbe braucht das Land.'"
Die Abwehr der ostdeutschen Ministerpräsidenten auf Kretschmanns Vorschlag sei auch aus Angst vor den Reaktionen der Wähler entstanden, kritisierte Patzelt:
"Seht mal, wir Ministerpräsidenten: Wir stehen für euch Wähler und halten Euch das Übel fern. Das ist hintergründig und untergründig sogar gefährlich, eine solche Argumentation."
"Wo die wenigsten Fremden wohnen, ist die Fremdenangst am größten."
Die Unterbringung von Flüchtlingen in den neuen Bundesländern könne vielmehr dabei helfen, Ausländerfurcht und Xenophobie abzubauen, betonte Patzelt:
"Statistisch gesehen wissen wir das ja: Dort, wo die wenigsten Fremden wohnen, dort ist die Fremdenangst am größten.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Awet und Haben heißen die beiden jungen Männer aus Eritrea, die jetzt eine neue Bleibe gefunden haben, und zwar in Brandenburg. Sie wohnen bei Martin Patzelt, CDU-Bundestagsabgeordneter und ehemals Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder. Seit einigen Wochen ist das Einfamilienhaus so etwas wie eine multikulturelle Wohngemeinschaft geworden. Und wie es sich darin lebt, das erfahren wir jetzt von Martin Patzelt selbst. Guten Morgen nach Briesen!
Martin Patzelt: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wenn Sie jetzt auf diesen Samstag schauen, wie gestaltet sich das Wochenende im Vergleich zu früher?
Patzelt: Also, noch schläft alles im Haus, es ist Samstag.
Welty: Das ist vernünftig!
Patzelt: Sie freuen sich, gerade unsere beiden neuen Hausbewohner freuen sich, dass sie ausschlafen können. Weil sie die Woche über auch schon arbeiten waren, arbeiten gehen jetzt regelmäßig, und mit dem Früh-Aufstehen noch ein bisschen Probleme haben, mehr jedenfalls als ich. Aber dann wird der Samstag so sein, dass sie ihren eigenen Interessen nachgehen wie jeder hier im Haus, der hier wohnt und lebt. Und wir treffen uns wahrscheinlich dann nach dem Frühstück erst wieder am Abend.
Die Flüchtlinge aus Eritrea wollten nicht "zum Kanonenfutter" werden
Welty: Warum sind die beiden aus Eritrea geflüchtet? Was haben Sie in den letzten Wochen erfahren über ihre Geschichte?
Patzelt: Ich sage es ein bisschen salopp und einfach: Sie wollten nicht Kanonenfutter werden. Eritrea ist ein voll durchmilitarisierter Staat. Und die beiden waren schon in den Lagern für militärische Ertüchtigung, wie das so heißt, die mit furchtbaren Torturen auch die jungen Männer und jungen Frauen dort abhärten wollen. Und sie wissen ihr Schicksal, sie erzählen mir immer, dass es sehr viele Invaliden gibt, die vom Kriegsdienst, allein schon von den Übungen und Härtetests dann für ihr ganzes Leben geschädigt sind. Und da hat die Familie selber gesagt: "Geht, flieht, wir möchten euch gesund wissen."
Welty: Was hat Sie dann dazu bewogen, Ihr Haus zu öffnen? Das ist ja nicht selbstverständlich, dass man sein Haus auch für längere Zeit für fremde Menschen öffnet!
Patzelt: Ja, das ist wohl wahr. Aber wir kommen aus einer sehr langen familiären Tradition, dass wir selber ja in unserer früheren Tätigkeit mitten in einem Kinder- und Jugendheim wohnten. Also immer mit einer großen Gruppe zusammen lebten, wo jeder seinen individuellen Schutzraum hatte, aber dann doch in einer Gemeinschaft immer wieder aufging.
Und das haben wir auch in den vergangenen Jahren hier gepflegt, wir hatten Studierende der Frankfurter Universität bei uns mehrjährig zu Gast, aus Kasachstan, aus Ghana. Und da war es dann eigentlich kein weiter Weg, als die beiden uns fragten, können wir bei euch leben, dass wir sagten, gut.
"Dich wird nie jemand mehr wählen!"
Welty: Wie reagiert die Nachbarschaft und wie reagieren Ihre Wähler? Denn als Bundestagsabgeordneter, da sind Sie ja auch viel im Wahlkreis unterwegs!
Patzelt: Ja, und ich habe ja diesen Wahlkreis persönlich dann auch gewonnen. Also, ich bin von den Menschen hier in den Bundestag geschickt worden und nicht von der Partei. Und da war es am Anfang schon so, dass Parteifreunde sagten: "Dich wird nie jemand mehr wählen!" Das war vor einem Jahr, als ich den Vorschlag unterbreitete, dass doch alle Deutschen einmal nachdenken sollten, ob sie nicht eine Möglichkeit haben, frei werdenden Wohnraum oder freien Wohnraum in ihrem Haus oder in ihrer Ferienwohnung abzugeben.
Und nach einem Dreivierteljahr begann alles mehr und mehr zu kippen, als dann die Gesichter in unserem Ort immer wieder auftauchten. Das heißt, aus der anonymen Masse der Asylbewerber oder Migranten oder Schmarotzer, wie die Leute das jeweils empfanden, haben sich zwei herausgestellt mit Gesicht und mit Namen, hatten hier im Ort zusehends auch Bekanntschaften geschlossen. Und da änderte sich alles.
Und das unterstützt meine Theorie: Wenn es uns gelingt, die großen Massenunterkünfte oder Gemeinschaftsunterkünfte mehr und mehr aufzulösen und zu sagen, sie leben zivil unter uns, ob in Privatwohnungen oder in eigenen Wohnungen, aber doch wahrnehmbar als Menschen, dann kann die Stimmung ganz schön kippen. Und das ist immer meine allergrößte Sorge für Deutschland, dass wir die Polarisierung nicht aufhalten können.
Welty: Wie erleben Sie denn diese Polarisierung? Denn es ist ja Fakt, dass nicht alle Menschen Flüchtlingen so positiv gegenüberstehen, da sind auch viele Ängste unterwegs, viele Sorgen, viele Vermutungen, viele Gerüchte.
Fremdenängste müssen bewältigt werden
Patzelt: Wir müssen feststellen, dass ein aus meiner Erfahrung größerer Teil unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger Angst hat vor dem Fremden. Das ist normal. Das gilt nicht nur den Migranten gegenüber, sondern das Fremde macht uns Angst, weil es noch nicht bewältigt ist und weil wir nicht wissen, was macht es mit uns. Und da gehört eben die Gruppe der Fremden jetzt hier dazu.
Wenn die Ängste aber nicht bewältigt werden, dann kann leicht mehr daraus werden, vielleicht sogar Hass. Nun kann man Ängste aber erst beseitigen, indem man geht, indem man läuft und versucht, sich damit auseinanderzusetzen. Und das muss nicht ein großer intellektueller Prozess sein, sondern einfach die Erfahrung. Das ist meine Theorie. Und wenn man die Erfahrung auch ermöglicht, dann kann sich die Stimmung verändern. Das ist wahrnehmbar auch für mich – oder beispielhaft – gelungen in Einzelfällen. Wir machen ja noch mehr, auch in meinem Wahlkreis.
Und deswegen plädiere ich immer dafür, bei der wachsenden Zahl von Migranten, die zu uns kommen, solche Begegnungen in natürlicher Weise zu ermöglichen. Das heißt nicht nur organisierte Meetings, was ich auch mache, sondern natürliche Lebenskontexte. Die beiden arbeiten ehrenamtlich hier in unserem Supermarkt oder im Dorfgemeindehaus. Sie leisten etwas, sie sind wahrnehmbar keine Schmarotzer. Sondern sie versuchen, etwas wiederzugeben für das, was sie von uns bekommen, nämlich Schutz und Unterhalt. Und das kann im Denken der Menschen doch eine Veränderung hervorrufen.
Welty: Ihre Region, Ihr Bundesland Brandenburg gehört jetzt nicht zu den Gegenden Deutschlands, in denen die Bevölkerung wächst. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat deswegen den Vorschlag gemacht, die Kapazitäten im Osten Deutschlands für Flüchtlinge zu nutzen. Und er hat dafür viel Kritik einstecken müssen, Flüchtlinge seien doch keine Ware. Was halten Sie von dieser Idee aus Baden-Württemberg?
Kretschmanns Vorschlag und die Reaktion der ostdeutschen Ministerpräsidenten
Patzelt: Ich halte diese Idee für äußerst pragmatisch und richtig, weil sie doch dem normalen Menschenverstand folgt: Wo Platz ist, da stellt man etwas hin, oder wo Lebensraum ist, da siedelt man auch Menschen an. Und in Brandenburg, wie in anderen neuen Bundesländern, beklagen wir seit Jahrzehnten nun, dass immer weniger Menschen in bestimmten Regionen und Räumen leben, dass sich die Lebensräume entleeren. Das ist wie ein Trauma. Das habe ich als Oberbürgermeister ja tagtäglich deklinieren müssen.
Und auf einmal kriegen wir ein Angebot, dass fremde, aber hoch motivierte Menschen, zumeist noch junge Menschen, hier leben können und wollen. Und da sage ich: Etwas Farbe braucht das Land! Und etwas Farbe braucht auch unsere kleine Gemeinde, in der fremde Hautfarben überhaupt nicht angesiedelt waren.
Und ich glaube, dass die Abwehr, die von den ostdeutschen Ministerpräsidenten spontan kam - und dann auch mit solchen Argumenten, die mir richtig wehtaten, weil der Vorschlag von Kretschmann ja also nun wirklich nicht auf dieser Ebene liegt -, dass aus der Angst vor dem Wähler dann schnell eine Abwehr da ist: "Seht mal, wir Ministerpräsidenten, wir stehen für euch Wähler und halten euch das Übel fern!" Das ist hintergründig und untergründig sogar gefährlich, eine solche Argumentation. Anstatt offensiv zu sagen, wir gehen mit unseren Ressourcen so um, dass wir keinen überbelasten.
Und wenn wir alles als Brandenburger bezahlt bekommen, das heißt, als armes Bundesland nicht noch mal Mehrkosten dadurch haben, dann ist das völlig in Ordnung. Und das kann im Übrigen auch die Ausländerfurcht, die Xenophobie oder sogar die Abneigung ganz abbauen helfen. Weil – statistisch gesehen wissen wir das ja: Dort, wo die wenigsten Fremden wohnen, dort ist die Fremdenangst am größten.
Welty: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt teilt sein Haus derzeit mit Awet und Haben, die aus Eritrea geflüchtet sind. Herr Patzelt, danke für dieses Engagement und danke auch für das Gespräch in "Studio 9"!
Patzelt: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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