CDU-Europapolitiker: Drei bis vier Atomkraftwerke demnächst abgeschaltet

Karl-Heinz Florenz im Gespräch mit Ute Welty · 15.03.2011
Karl-Heinz Florenz, CDU-Europaabgeordneter und Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen im EU-Parlament, geht davon aus, dass nach dem dreimonatigen Aussetzen der Laufzeitverlängerung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drei bis vier Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet sein werden.
Ute Welty: Jetzt geht dann auf einmal alles doch ganz schnell: Womöglich steht Biblis A davor, vom Netz zu gehen, wahrscheinlich Neckarwestheim 1 und Isar 1. Brunsbüttel und Krümmel sind ohnehin nach mehreren Pannen abgeschaltet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Verlängerung der AKW-Laufzeiten für drei Monate ausgesetzt, und sie hat ein europaweit einheitliches Vorgehen gefordert.

Karl-Heinz Florenz sitzt für die CDU im Europaparlament, da selbst im Ausschuss für Umweltfragen. Guten Morgen nach Brüssel!

Karl-Heinz Florenz: Ja, guten Morgen!

Welty: Herr Florenz, haben Sie sich schon mit Ihren Kollegen im Umweltausschuss abstimmen können?

Florenz: Also eine aktuelle Ausschusssitzung hat es natürlich nicht gegeben, die beginnt heute Morgen um neun Uhr, aber natürlich ist das Thema Japan ein Thema hier im Hause, hier in der Europäischen Union, und ich hoffe, dass das Bewusstsein in Europa für gemeinsames Handeln, für gemeinsame Standards nun endlich wach wird. Das hat es leider Gottes in den letzten 20 Jahren nicht gegeben, da waren leider Gottes nationale Egoismen vorrangig.

Welty: Und das sollte jetzt 2011 tatsächlich vorbei sein? Wie wird die Position der Kanzlerin aufgenommen werden? Ehrlich gesagt, ich finde es kaum vorstellbar, dass Franzosen und Polen jetzt zum Beispiel in Begeisterungsstürme ausbrechen, aufgrund der deutschen Entscheidung.

Florenz: Die Abgeordneten sind ja auch ganz normale Menschen, und sie haben sich die Fähigkeit behalten, die Fernsehbilder auch wirklich vor Augen zu führen und festzustellen, da hat sich eine vollkommen neue Lage ergeben. Und deswegen wird die Reaktion der Bundeskanzlerin hier sehr wohlwollend aufgenommen, dass man innehält und dass man wirklich prüft, war unsere Lagebeschreibung richtig, ist sie noch richtig.

Und ich bin sicher, dass am Ende dieses Moratoriums die Energiewelt anders aussehen wird. Dass das nicht ganz einfach ist, ist uns allen klar, aber das Bewusstsein, etwas zu ändern, ist da, aber das ist nicht so einfach. Ich will nicht behaupten, dass das ein Spaziergang wäre.

Welty: Drei Monate sind jetzt Zeit, was kann denn in diesen drei Monaten überprüft werden, was in all den Jahren zuvor unentdeckt geblieben wäre?

Florenz: Da ist die Frage, wie schätzt man ein Restrisiko ein – das wird heute sicherlich neu bewertet. Wer hätte sich vorstellen können, dass zwei Naturkatastrophen innerhalb weniger Stunden aufeinanderkommen, einmal das Erdbeben und dann ein Tsunami mit einer Zehn-Meter-Welle oder mehreren sehr starken Wellen. Das ist, glaube ich, in den Restrisikobewertungen so nicht bewertet worden vor 40 Jahren.

Aber es kann ja auch Restrisiken geben, die man heute aufgrund der Ereignisse in Japan in Europa und in Deutschland neu bewertet. Und wenn wir da neue Erkenntnisse haben, aufgrund der japanischen Ereignisse, dann muss Politik reagieren. Wann sonst, als jetzt, muss ein Abgeordneter reagieren? Also wir sind ja keine Steine.

Welty: Noch mal die Frage: Hätte das nicht alles schon viel früher passieren müssen? Dass Neckarwestheim zu den ältesten AKW in Deutschland gehört und nicht mehr auf dem Stand der Technik ist, dafür brauche ich keine drei Monate, das kann ich in drei Sekunden berechnen.

Florenz: Die Bewertungskriterien nach Japan sind anders, die Naturkatastrophe hat sich so noch nie dargestellt, glücklicherweise. Und aus dieser Erkenntnis heraus hat die Bundeskanzlerin und das Kabinett beschlossen, ein dreimonatiges Moratorium zu machen, um festzustellen, ob die Kriterien, die wir bis jetzt hatten, auch nach den Erkenntnissen der japanischen Ereignisse noch stehen.

Und ich bin ziemlich sicher, dass nach den drei Monaten die Atomenergie in Europa anders aussehen wird, und sie wird fortschrittlicher sein und weitergehend zugreifen, wie das bei dem Ausstiegsszenario von Rot-Grün war, bei denen wäre jetzt ja ein Kraftwerk stillgestellt. Und ich bin sicher, dass nach drei Monaten wir mehr als eins haben, sondern drei oder vier.

Welty: Und was kostet es die CDU und die gesamte Politik an Glaubwürdigkeit, wenn es in den nächsten drei Monaten nicht zu einer entscheidenden Veränderung kommt? Sie stehen jetzt im Wort.

Florenz: Ich glaube, dass die erste Entscheidung in dieser Woche fallen wird. Ich würde mich nicht wundern, wenn eine Entscheidung sogar schon heute entfällt, und das freut mich auch, dass da erst einmal Gefahrenkriterien ganz im Vordergrund stehen und nicht etwa Ansprüche der Industrie auf Ausgleich. Ich bin ziemlich sicher, dass die erste Stilllegung in den nächsten Tagen geschehen wird.

Und in drei Monaten werden wir mehr an – aufgrund dieses neuen Bewusstseins in Japan – werden wir mehr Schienen gelegt haben wie Rot-Grün in ihrem Ausstiegsszenario seinerzeit beschlossen hat. Denn danach wäre heute einer abgeschaltet, und ich glaube, dass das in drei Monaten ganz anders aussieht.

Welty: Wollen wir wetten, dass es sich um Neckarwestheim handelt, und könnte das das passende Geschenk sein für die wahlkämpfenden Kollegen in Baden-Württemberg?

Florenz: Wir können die Wette noch erhöhen, dass garantiert auch wahrscheinlich einer in Bayern stehen wird, aber da möchte ich keine Wetten machen. Das Thema ist mir zu seriös, das geht ja wirklich an die Seele, auch ans Herz, und deswegen würde ich da lieber nicht so gerne Wetten machen. Aber ich bin sicher, dass nach drei Monaten mindestens drei Kraftwerke schon stillstehen oder in absehbarer Zeit ans Stehen kommen.

Welty: Und wie sieht die Energiewende dann aus?

Florenz: Ja, das ist kein Spaziergang. Ich bin ja selbst Landwirt und beteilige mich an dieser Energiewende selbst sehr engagiert. Das ist nicht einfach, das kostet viel Geld, das kostet aber auch eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung, wenn der eine oder andere eine alternative Energiepolitik betreiben will als Unternehmer oder als Privatmann, da gibt es hinreichende Gegenstände auch in der Gesellschaft. Wir brauchen neue Leitungen, der Widerstand ist da doch sehr erheblich. Auch bei Biogasanlagen gibt es erheblichen Widerstand, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Bevölkerung. Also da muss eine Menge an Bewusstseinspolitik gemacht werden.

Das Aussteigen, das ist eine nicht so schwierige Sache, sondern die solide Ersatzbeschaffung von zuverlässiger Energie für unsere hochmoderne Industriegesellschaft, das ist die ganz große Herausforderung. Und da muss noch mehr Forschung, noch mehr Innovation betrieben werden. Wir müssen auch mehr Freude an neuer erneuerbarer Energie haben. Das alles muss sich jetzt entwickeln, und vielleicht ist das jetzt eine Gelegenheit, da noch mal einen guten Schub rein zu bekommen. Ich bin da sehr optimistisch.

Welty: Der CDU-Europapolitiker Karl-Heinz Florenz in Deutschlandradio Kultur. Ich danke fürs Gespräch!

Florenz: Ja, vielen Dank, Frau Welty!
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