CDU-Basis kritisiert Merkel in Jena

"Sie haben die AfD regelrecht gezüchtet"

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 02.12.2016 im thüringischen Jena auf einer CDU- Regionalkonferenz
Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 02.12.2016 im thüringischen Jena auf einer CDU- Regionalkonferenz © picture alliance / Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Von Henry Bernhard · 03.12.2016
Die Bundeskanzlerin hat sich in Jena ostdeutschen CDU-Mitgliedern gestellt und dabei feindselige Attacken eingesteckt: Sie sei die "Nemesis" der Christdemokraten und solle die Partei verlassen. Aber es gab auch Dankesworte für Merkel – von Geflüchteten und von Neumitgliedern.
"Merkel muss weg! – Nazis raus! – Halt die Fresse!"
"Merkel muss weg!" brüllten die 50 AfDler auf der einen Straßenseite und wünschten auf einem Transparent die Kanzlerin ins Gefängnis.
Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA.
Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA.© dpa / picture alliance / Martin Schult
"Nazis raus!" schallte die unangemeldete linke Gegendemo von der anderen Seite zurück. 300 Demonstranten, die sich um Merkel gar nicht scherten, waren nur wegen der AfD da.
Unübersichtliche Fronten auf der Straße, auch im Jenaer Volkshaus bei der CDU waren die Verhältnisse nicht ganz klar. Merkel wurde mit viel Beifall begrüßt. Gastgeber Mike Mohring, Thüringer CDU-Chef, eröffnete mit markigen Worten, malte das rot-rot-grüne Schreckgespenst an die Wand:
"Und es muss uns mit Sorge umtreiben, wenn solche Regierungen wie hier in diesem Bundesland ihre Regierungsverantwortung nutzen, um die Achse zu verschieben, ideologische Projekte durchzusetzen."
Mohring bog so manche Wahrheit, bis sie besser in sein Konzept passte, warnte vor dem Extremismus der Ränder, wobei er die Umfrageergebnisse von Linkspartei und AfD mal eben zu einem imaginären populistischen Block addierte. Und dankte der Kanzlerin:
"Danke, dass Sie wieder bereit sind zu kandidieren!"
Merkel brauchte lange, um sich ein Lächeln abzuringen. Die Anstrengungen und die Last des Amtes ließ sie auch in ihrer viertelstündigen Rede durchblicken:
"Wir haben im letzten Jahr etwas erlebt, was uns viel abverlangt hat. Als die vielen Flüchtlinge kamen. Das darf und soll sich so nicht wiederholen. Und eben haben mir einige Flüchtlinge aus Afghanistan ein kleines Lied gespielt, ‚Ein feste Burg ist unser Gott'. Das fand ich sehr berührend, auf der Geige. Dankeschön dafür!"
Es war ihr anzumerken, wie unangenehm ihr der persönliche und öffentliche Dank von Flüchtlingen ist.
Basil Schatat: "Liebe Frau Bundeskanzlerin Merkel, ich komme aus Syrien aus der Stadt Aleppo. Ich danke ihnen, dass ich in Deutschland sein darf."
Angela Merkel: "Also, das wollten Sie sagen, ja?"
Basil Schatat: "Ja, danke."
Angela Merkel: "Okay."
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt einen jungen Mann aus Aleppo bei der CDU-Regionalkonferenz in Jena.
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt einen jungen Mann aus Aleppo bei der CDU-Regionalkonferenz in Jena.© dpa / picture alliance / Martin Schutt

Manche fordern: Zurücktreten! Austreten!

Der Beifall konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur Merkel selbst ein Problem damit hat.
Axel Göring: "Angela Merkel ist keine Königin, die alleine entschieden hat, dass hier Flüchtlinge rein dürfen. Wir haben ein Grundgesetz. Wir sind hier nicht in der SED, wir sind in der CDU. Und was Sie machen, ist Personenkult. Gut. Die CDU ist spätestens seit 2011 eine immer sozialdemokratisch und grüner werdende Partei. Und das liegt hauptsächlich an ihnen, Frau Merkel."
Der Atomausstieg, die Euro-Rettung, die Flüchtlingspolitik Merkels würden Deutschland schweren Schaden zufügen und die Partei Kohls und Adenauers ruinieren, so Axel Göring aus Jena:
"Sie haben mittlerweile die CDU auf 30 Prozent runtergebracht, fast. Sie haben die AfD regelrecht gezüchtet. Sie sind, Frau Merkel, Sie sind die Nemesis unserer ehemals großen Christdemokratischen Union Deutschlands. Treten Sie zurück, als Kanzlerin und als CDU-Chefin! Verlassen Sie unsere Partei!"
Dahinter stand keinesfalls die Mehrheit der etwa 700 ostdeutschen Christdemokraten im Jenaer Volkshaus, aber Göring stand mit dieser Meinung auch nicht allein.

"Lohndiktat und unbegrenzte Zuwanderung"

"Ich bin in die CDU nicht eingetreten, um die soziale Marktwirtschaft an manchen Stellen zurückzudrehen in eine Lohndiktatspolitik mit einem Mindestlohn. Ich bin nicht auch eingetreten in die CDU, um unbegrenzte Zuwanderung in die Sozialsysteme zu haben."
Werner Thomas: "Seit etwa zehn Jahren betreiben Sie eine Politik der Rechtsbeugung, der Rechtsbrüche und der mangelnden Legitimierung. Dadurch haben sie die Gründung der AfD mitbewirkt und durch ihre Argumentation geholfen, die AfD in die Nähe von Rechtsextremnisten zu drücken."
Wilfried Nauck: "Sie haben geäußert, der Islam gehöre zu Deutschland. Also, aus diesen Gründen werde ich parallel zu Ihrer erneuten Nominierung zur Kanzlerkandidatin aus der CDU austreten."
Wolfgang Meißner: "Bitte werfen Sie nicht alle konservativen Werte auf den Misthaufen der Grünen!"
Mauern, Zäune, Grenzkontrollen, eine Flüchtlingsobergrenze, die Wehrpflicht – vieles wurde gefordert. Andere betonten, dass Deutschland schon ganz andere Herausforderungen gestemmt habe, 1945, 1989. Junge Redner widersprachen vehement dem Wunsch nach neuen Grenzen.

Gegen Zäune und Mauern

Stefan Gruhner: "Ich gehöre einer Generation an, die eigentlich verdammt froh ist, dass wir in einer globalisierten Welt in einem weltoffenen Land alle Chancen haben. Aber ein Land, dass mit Zäunen und Mauern umgeben ist, das ist nicht das Land, für das die CDU steht."
Steven Müller: "Meine Lebensrealität – ich bin Jahrgang 1987 – ist Europa, ist die Europäische Union. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass Europa von außen und von innen jemals so bedroht ist. Ich bin kein CDU-Mitglied, aber ich werde mit heutigem Tag eintreten. Vielen Dank!"
Öffentliche Ein- und Austritte hielten sich in Jena die Waage. Die Kanzlerin nahm alles gelassen und mit Humor. Einem 19-Jährigen etwa, der sich um die Zukunft seiner Rente sorgte, gab sie mit auf den Weg:
"Sie haben es ja noch in der Hand, dass Ihre Generation wieder mehr Kinder hat!"
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