CDU-Abgeordneter verteidigt Änderungen des Rederechts im Bundestag

Moderation: Nana Brink · 03.04.2012
Welcher Abgeordnete im Bundestag spricht, legen die Fraktionen und der Bundestagspräsident fest. Letzterer soll nach einer Initiative von Union, SPD und FDP in Zukunft klare Vorschriften befolgen. Der CDU-Politiker Thomas Strobl meint, die Freiheit der Abgeordneten werde dadurch nicht eingeschränkt.
Nana Brink: Noch gut haben wir Bundestagspräsident Norbert Lammert in Erinnerung, als er die Wahl des neuen Bundespräsidenten leitete: gut gelaunt, mit Seitenhieben auf das mediale wie das eigene politische System. Lammert, Mitglied der CDU, ist ein leidenschaftlicher Kämpfer für die parlamentarische Sache, für die Freiheit und die Rechte der Abgeordneten. Das hat er nicht zuletzt auch in der Eurokrise bewiesen, als er auch Abgeordneten von CDU und FDP das Wort erteilte, die nicht konform mit ihren Fraktionen gingen.

Das soll sich nun ändern, geht es nach einer Initiative von Union, SPD und FDP, die Abgeordneten, die eine abweichende Meinung haben, es zumindest sehr schwer machen soll, im Bundestag zu sprechen. Und bevor wir darüber sprechen, erklärt jetzt Gudula Geuther aus unserem Hauptstadtstudio, wie das Rederecht im Bundestag eigentlich funktioniert.

Gudula Geuther: Die Aufregung war groß, als Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, zwei Abgeordneten das Wort erteilte. Das war im September vergangenen Jahres, und es ging um viel - um 211 Milliarden Euro, den Eurorettungsschirm, so wie er damals infrage stand. Die beiden waren dagegen, wie auch viele andere, vor allem aus der Linksfraktion. Dass es Aufregung aber nur um diese zwei Redebeiträge von Gegnern gab, hatte einen schlichten Grund: Beide stammten aus der Koalition, Frank Scheffler aus der FDP, Klaus-Peter Willsch aus der Union. Und ihre Fraktionen hatten sie nicht auf die Rednerliste gesetzt. Bundestagspräsident Lammert befand, diese Diskussion ist so virulent, da müssen auch Abweichler zu Wort kommen dürfen.

Das geht gar nicht, befanden dagegen die Geschäftsführer aller Bundestagsfraktionen, sprachen von Gutsherrenart und Zeichen der Selbstherrlichkeit. Jetzt hat der Geschäftsordnungsausschuss einen Beschluss gefasst, wie man die Sache für die Zukunft regeln könnte - durch eine Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung nämlich. Darin soll es heißen:

"Abweichend von dieser Vereinbarung kann der Präsident im Benehmen mit den Fraktionen weiteren Rednern das Wort für in der Regel drei Minuten erteilen."

Und wieder ist die Aufregung groß. Denn wenn es heißt, der Bundestagspräsident solle sich mit den Fraktionen ins Benehmen setzen, dann können die zwar nicht durchentscheiden, ihr Wort hat nach der Formulierung trotzdem Gewicht. Der Streit um Rechte des Parlamentariers und seine Gewissensfreiheit auf der einen und Fraktionszwang oder Macht auf der anderen Seite, ist alles andere als neu. Das Grundgesetz sagt, dass der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Ein Recht, das in der Realität an Grenzen stößt: "Dann lass dich doch beim nächsten Mal von deinem Gewissen aufstellen", soll es SPD-Zuchtmeister Herbert Wehner auf den Punkt gebracht haben.

Jenseits solcher Machtdemonstrationen sagt freilich auch das Bundesverfassungsgericht, Fraktionen sind wichtig, um das Parlament arbeitsfähig zu halten. Und da nicht jeder nach Belieben reden kann, kann das auch bedeuten, dass die Fraktionen das Recht, auch das Rederecht des Abgeordneten beschneiden. Das allerdings nur in engen Grenzen, sagt der Düsseldorfer Parteienrechtsexperte Martin Morlok, denn:

Martin Morlok: Von den Verfassungswegen sind alle parlamentarischen Rechte bei den Abgeordneten angesiedelt. Die Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten und beziehen ihre Rechte von den Abgeordneten.

Geuther: Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass auch der fraktionslose Abgeordnete Rederecht hat und noch viel früher, 1959, akzeptierten die Richter zwar, dass die Fraktionen die Redezeit verteilten, allerdings schränkten die Richter auch damals schon ein:

"Solche Beschlüsse haben nicht die Rechtsfolge, dass die Fraktionsführung ein ausschließliches Verfügungsrecht über die Redezeit erlangt. Vielmehr hat auch bei festgesetzten Fraktionsredezeiten der Bundestagspräsident für jeden Abgeordneten, der sich meldet, über die Worterteilung zu befinden."

Nana Brink: Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen, und am Telefon ist einer, der sich auskennt: Thomas Strobl von der CDU. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und die Geschäftsordnung des Bundestages. Einen schönen guten Tag, Herr Strobl!

Thomas Strobl: Guten Morgen und grüß Gott!

Nana Brink: Warum will die Union Abgeordneten einen Maulkorb erteilen, die nicht die Meinung ihrer Fraktion mittragen?

Strobl: Na, um Gottes Willen, es soll überhaupt gar niemand einen Maulkorb bekommen, und es soll selbstverständlich auch in Zukunft möglich sein, dass etwa Abgeordnete, die eine andere Meinung vertreten als die Fraktion, der sie angehören, im Plenum des Deutschen Bundestages zu Wort kommen. Das soll selbstverständlich auch in Zukunft gewährleistet sein. Da es in der Vergangenheit jedoch auch Missbrauch gegeben hat - und zwar quer über die Fraktionsgrenzen hinweg haben wir das festgestellt -, dass eine Fraktion im Deutschen Bundestag immer und immer wieder diese Regelungen missbraucht hat, wollen wir das ganze Thema in etwas, ich möchte einmal so sagen, geordnete Bahnen lenken.

Nana Brink: Was heißt denn geordnete Bahnen? Soweit ich die Meldungen vorliegen habe, ist es aber ganz eindeutig so: Es gibt eine Änderung der Geschäftsordnung, es soll sie geben, die eben genau dieses Recht nehmen soll. Was ist da interpretierfähig? Entweder man kann reden oder man kann nicht reden.

Strobl: Nein, diese Meldungen sind dann schlicht falsch. Es wird auch in Zukunft das Recht geben für Abgeordnete, insbesondere um diese Abgeordneten geht es ja, die eine andere Meinung haben als die Fraktion, der sie angehören, dass sie zu Wort kommen. Das könnten wir gar nicht ändern, denn das ist ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht für die Abgeordneten. Das ist letztlich aus dem Artikel 38 abzuleiten, aus den Rechten, die ein Abgeordneter hat, dass er eben auch zu Wort kommt. Das würde ja auch gar keinen Sinn machen - ein stummer Abgeordneter sozusagen im Deutschen Bundestag, das wäre ja ein Abgeordneter, der seine Arbeit gar nicht machen kann, und deswegen wäre das auch mit dem Grundgesetz gar nicht vereinbar. Also solche Meldungen sind falsch.

Nana Brink: Dann helfen Sie uns doch, diese Meldung, wie auch immer sie verstanden werden soll, etwas richtig oder sagen wir besser klarzustellen: Was wollen Sie denn dann ändern?

Strobl: Nun, zunächst einmal wollen wir die Regelungen der Erklärungen zu Abstimmungen modifizieren. Es ist bisher möglich, dass nach Schluss einer Aussprache jedes Mitglied des Bundestages zu dieser Abstimmung eine Erklärung abgibt. Hier wollen wir, weil diese Regelung insbesondere von Abgeordneten der Linkspartei immer wieder missbraucht worden ist - sie ist sozusagen missbraucht worden, um die eigentliche Debatte künstlich zu verlängern, also neben dem, was vereinbart worden ist, eben für die eigene Fraktion Redezeiten herauszuschlagen -, wollen wir das ändern. Wir wollen dem Bundestagspräsidenten hier mehr Möglichkeiten geben ...

Nana Brink: Wie wollen Sie das ändern konkret?

Strobl: Es soll in der Regel so sein, dass diese Erklärungen schriftlich abgegeben werden und in das Plenarprotokoll aufgenommen werden, aber es gibt die Möglichkeit für den Bundestagspräsidenten, auch für eine mündliche Erklärung das Wort zu geben - diese ist dann aber auf drei Minuten Rederecht begrenzt. Das ist der eine Punkt, den wir ändern wollen. Und wir wollen für die Abgeordneten, die eine andere Meinung vertreten als die Fraktion, der sie angehören, eine Regelung treffen, dass der Bundestagspräsident im Benehmen mit den Fraktionen auch solchen Abgeordneten dann das Wort erteilen kann. Auch hier soll in der Regel dann es sich um Beiträge handeln, die eine Zeit von drei Minuten nicht überschreiten.

Nana Brink: Aber Sie haben deutlich gesagt, im Benehmen der Fraktionen. Das heißt, und jetzt konstruieren wir mal den Fall, wie das ja auch schon passiert ist in der Eurokrise, als zwei Abgeordnete von der CDU und FDP das Recht hatten zum Sprechen. Gehen wir mal davon aus, dass die Fraktionsführung dem nicht zustimmt, dann wäre es doch ein Maulkorb für diese Abgeordneten und sie könnten nicht sprechen?

Strobl: Nein, überhaupt nicht. Benehmen heißt nicht Einvernehmen. Der Bundestagspräsident muss sich nicht mit den Fraktionen einigen. Wenn die Fraktionen, insbesondere die Fraktion, der der Abgeordnete angehört, und er hat in diesem Fall eine abweichende Meinung, wenn die Fraktion dann sagen würde, wir sind nicht einverstanden, dann kann, ja, es könnte sogar sein, dann muss der Bundestagspräsident gleichwohl diesem Abgeordneten das Wort erteilen. Er wird das tun, so wie er das in der Vergangenheit auch getan hat. Benehmen heißt nichts anderes, als dass der Bundestagspräsident die Fraktionen darüber informiert, dass er solche Wortmeldungen vorliegen hat, und er wird die Fraktionen darüber informieren, dass er nunmehr beabsichtigt, auch entsprechende Worterteilungen zu geben.

Es ist also, um das noch einmal klipp und klar zu sagen, grundfalsch anzunehmen, dass Abgeordnete hier nicht zu Wort kommen, dass ihnen ein Maulkorb verpasst werden soll. Noch einmal: Das wäre auch mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen. Was wir durch diese Geschäftsordnungsregelungen erreichen wollen, ist ein geordnetes Verfahren.

Nana Brink: Sie sagen also, die bevorstehende Neuregelung bedeutet keine Beschränkung der Rechte auch des Bundespräsidenten dann, Bundestagspräsidenten, Pardon, das heißt, er entscheidet letztendlich?

Strobl: Letztendlich entscheidet der Bundestagspräsident. Er setzt sich mit den Bundestagsfraktionen in diesem letzten Fall ins Benehmen, das heißt, er informiert die Fraktionen. Das halte ich für eine Selbstverständlichkeit, weil erstens ja die Fraktionen sich mit dem Bundestagspräsidenten auch über den Ablauf der Plenardebatte verständigen, von Anfang an - da werden Redezeiten vereinbart, da wird die Reihenfolge der Redner vereinbart, das ist etwas, wo wie klassischerweise im Ältestenrat auch darüber sprechen, Redezeiten und vieles andere mehr. Und wenn es denn Änderungen gibt, beispielsweise weil zusätzliche Redner sich zu Wort melden, wenn man zur Verlängerung der Redezeit insgesamt kommt, dann ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass der Bundestagspräsident und die Fraktionen sich hierüber ins Benehmen setzen, das heißt sich gegenseitig informieren. Das hat der Bundestagspräsident in der Vergangenheit schon gemacht, das schreiben wir jetzt in die Geschäftsordnung hinein, dann wird das in der Zukunft noch etwas geordneter gehen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

Nana Brink: Ja, was heißt geordnet? Bislang hat das ja auch funktioniert, und Sie selbst haben ja bei der Debatte um die Eurokrise gesagt, das Rederecht für die Abweichler war zulässig, mehr noch, es sei sogar notwendig gewesen. Warum - also noch mal gefragt - diese Änderung nun? Es hat doch bislang funktioniert.

Strobl: Exakt deswegen schreiben wir das jetzt in die Geschäftsordnung hinein. Die Geschäftsordnung heißt Geschäftsordnung, weil sie die Abläufe ordnen soll, weil sie Dinge klarstellen soll. Wir haben auf Veranlassung hier eine Ordnung herzustellen, weil wie gesagt von einer Fraktion diese Regelungen in der Vergangenheit missbraucht worden sind. Diesen Missbrauch wollen wir einschränken. Wir wollen nicht, dass sozusagen unter dem Vorwand, es gehe um abweichende Meinungen, einzelne Fraktionen sich zusätzliche Redezeiten herausschlagen. Das ist nicht in Ordnung. Wir wollen den Missbrauch beseitigen, und deswegen stellen wir das klar.

Nana Brink: Abschließende Frage: Nach meinem Verständnis spiegelt ja eine Bundestagsdebatte, oder soll sie zumindest auch, eine Debatte in der Öffentlichkeit widerspiegeln, das heißt, es ist nach dieser Regelung dann auch generell möglich, dass spontan Meinungsäußerungen, auch abweichende, getätigt werden können?

Strobl: Ja, selbstverständlich ist das in Zukunft nicht nur möglich, sondern das ist geradezu gewollt. Hier gibt es die Möglichkeiten, Zwischenfragen zu stellen, es gibt die Möglichkeiten, am Ende eines jeden Debattenbeitrags eine sogenannte Kurzintervention zu machen. Das kann jeder Abgeordnete in Anspruch nehmen. Ich würde mir sogar für die Zukunft wünschen, dass das eher noch mehr der Fall ist als in der Vergangenheit. Wir möchten lebendige und kontroverse, ja auch spannende und interessante Debatten im Plenum des Deutschen Bundestags haben.

Nana Brink: Thomas Strobl von der CDU. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und die Geschäftsordnung des Bundestages. Schönen Dank, Herr Strobl, für das Gespräch!

Strobl: Danke Ihnen!

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