Catherine Meurisse von "Charlie Hebdo": "Die Leichtigkeit"

Das Lachen kehrt zurück

Hunderte Menschen haben sich in Paris versammelt, um der Opfer des Anschlags auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" zu gedenken.
"Ich bin Charlie" - Tausende haben sich mit den Opfern des Anschlags auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" solidarisiert. © AFP / John Macdougall
Von Pieke Biermann · 02.01.2017
"Die Leichtigkeit" ist die vielschichtige und hinreißende Geschichte der Zeichnerin und Autorin Catherine Meurisses über ihren Weg zurück ins Leben. Sie war dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" vor zwei Jahren knapp entgangen und litt nach dem Attentat unter einem schweren Trauma.
Geht's noch schlimmer? Verlassenwerden, bloß weil der Lover zu feige ist, "ein bescheidenes Leben" aufzugeben und Leidenschaft zu riskieren; die Nacht mit Wunschträumen verbringen, die als Alpträume enden; prompt einen Bus und einen Termin fast verpassen? Endlich ankommen in der Rue Nicolas-Appert 10, und vor der Tür steht ein Kollege mit einer Kuchentüte in der Hand (er hat Geburtstag), sagt nur: "Geiselnahme … nicht raufgehen" – und dann kracht ein mörderisches TAK-TAK-TAK los.
Der Termin ist die Mittwochskonferenz bei "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015. Das TAK-TAK-TAK kommt aus den Kalaschnikows zweier islamistischer Brüder. Der Kollege mit dem Kuchen, der auch verschlafen hat, ist der Zeichner Luz. Die Frau in der erotisch-emotionalen Achterbahn ist Catherine Meurisse, auch Zeichnerin, seit zehn Jahren dabei.

Wenn die gewohnte Welt im Nichts versinkt

Acht Kollegen sind tot, dazu ein Techniker und der Personenschützer. Elf Kollegen sind schwer verletzt, die Davongekommenen und Hinterbliebenen traumatisiert. Kann es sein, dass man aus einem Unglück in einen glücklichen Zufall stolpert, der sich aber noch viel schlimmer anfühlt? Was macht man, wenn die gewohnte Welt mitsamt der Erinnerung bleischwer im Nichts versinkt?
Luz verarbeitet den Horror noch 2015 in einem Vulkan von Buch, "Katharsis". Meurisse steckt weiter in der Achterbahn, schaut ihrer "eigenen Implosion zu", tagträumt sich "die Familie" zurück, samt Redaktionstisch, die spitzen Kanten mit Luftpolsterfolie verklebt, damit die Männer sie sich nicht immer in die Eier rammen, flüchtet sich aus der echolosen Welt in die Natur, sucht nach kulturellen Korsettstangen: Sie rechtet mit Camus, weil sie sich den richtigen Namen der Massaker-Brüder nicht merken will, und tunkt mit Proust in Cabourg/Balbec Madeleines in Tee, auf der Suche nach der verlorenen mémoire involontaire. Nichts hilft.

Rettung durch Schönheit auf dem Prüfstand

Bis sie auf das "Stendhal-Syndrom" stößt: "die Ohnmacht, die einen angesichts der Schönheit ergreifen kann" und ihn in Rom ergriffen hatte. Rettung durch Schönheit – geht das? Die Leichtigkeit zurückerobern? Mit der versammelten Kunst in Rom das "7. Januar Syndrom" übertönen?
Wie das geht, erzählt Catherine Meurisse auf eine – ja, wirklich: grandios leichtfüßige Weise. In Bildern, die so vielschichtig sind wie die Stimmungsschwankungen in dem guten Jahr ihrer Entstehung. Wenige große Panels mit atmosphärischen Landschaften und genial paraphrasierten "alten Meistern" zwischen vielen Strips über eine oder mehrere Seiten. Sparsame Farbe, sparsamer Strich – sich selbst zeichnet sie mal als verletzte kleine Sempé-Göre, mal als trotzige Grüblerin mit atemberaubend makabrem Witz.
Überhaupt – das Lachen kehrt zurück! Es gibt einen hinreißenden Wut- und Lachausbruch in einer imaginierten Redaktionskonferenz und immer wieder geniale Details, in denen Catherine Meurisse zeigt, wie sich ein großes kollektives Horrorerlebnis in reale kleine Leben übersetzt. Und man weiß plötzlich, was es mit der comédie humaine auf sich hat, und ist einfach dankbar.

Catherine Meurissem: Die Leichtigkeit
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock, mit einem Vorwort von Philippe Lançon
Carlsen Verlag, Hamburg 2017, 133 Seiten, 19,90 Euro

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