Carl Schurz: "Lebenserinnerungen"

Vom deutschen Revoluzzer zum US-Innenminister

Der Schriftsteller Gottfried Kinkel (l) wurde wegen Beteiligung am pfälzisch-badischen Aufstand 1849 zu lebenslanger Festungshaft verurteilt, 1850 von Carl Schurz (r) befreit.
Carl Schurz (r.) mit dem Schriftsteller Gottfried Kinkel. © picture-alliance / dpa
Besprochen von Ute-Christine Krupp · 16.01.2016
Seine politische Karriere begann als er radikaldemokratischer deutscher Revolutionär, doch der Rheinländer Carl Schurz sollte es bis zum US-Senator bringen – und noch weiter. In seinen Lebenserinnerungen schildert Schurz die ersten vierzig Jahre seiner ungewöhnlichen Vita.
"Was Marx sagte, war in der Tat gehaltreich, logisch und klar. Aber niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender, unerträglicher Arroganz."
Bereits als junger Mann begegnete Carl Schurz Marx. Wie der, wollte sich auch Schurz ins politische Geschehen einmischen, zur Formung und Veränderung gesellschaftlicher Entwicklungen beitragen. Aber nicht die Veränderung sozialer und ökonomischer Gegebenheiten sollte zu seinen Zielen werden.
Geboren wurde Carl Schurz 1829 in Liblar, in der Nähe von Köln, als Sohn eines Landschullehrers. Der Vater brachte ihm die Beschäftigung mit Büchern nahe. Die Mutter beschreibt erals angenehme Frau, sie sei eine eigensinnige Katholikin gewesen, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
"Das Dorf bestand aus einer einzigen Straße, an dieser lag auch, etwas mittwegs, auf erhöhtem Platze die Pfarrkirche mit spitzem Turm. Die Häuser, meist sehr klein, waren fast alle aus Fachwerk gebaut - hölzernes Gebälk mit Lehmfüllungen."
Carl Schurz wuchs die ersten Jahre behütet auf, lernte Klavier spielen, sollte das Jesuiten-Gymnasium in Köln besuchen und dort die Reifeprüfung ablegen. Der Vater verlor seinen Lehrerjob, verschuldete sich. Carl Schurz wurde daher vom Gymnasium genommen. Er machte dann als Externer das Abitur und begann anschließend in Bonn ein Studium der Philologie und Geschichte. Er wurde Mitglied in der Burschenschaft Frankonia.
"In diese Burschenschaft Frankonia wurde ich (…) als vollberechtigtes Mitglied aufgenommen und fühlte mich, nachdem meine Schüchternheit überwunden, heimisch darin."
Kontakte zu Liberalen und Demokraten
Schnell avancierte er zum Sprecher der Frankonia und beschäftigte sich neben seinen Studien mit der Französischen Revolution. Er suchte Kontakte zu Liberalen und Demokraten. Ständische Strukturen und Willkürherrschaft der Mächtigen - dagegen hieß es für Carl Schurz und seine Freunde anzugehen. Freie Presse, freies Versammlungsrecht, Gleichheit vor dem Gesetz, lauteten ihre Ziele.
"Ich brachte von der Versammlung eine wichtige Erfahrung mit nach Hause, dass, wer ein Führer oder ein Lehrer des Volkes sein will, seine Zuhörer mit Achtung behandeln muss (…) Im Ganzen war der Sommer 1848 für mich eine Zeit voll von Mühen und Sorgen."
Im ersten Teil seiner Lebenserinnerungenbeschreibt Carl Schurz Kindheit, Jugend und seine Zeit als politischer Revolutionär. Er reflektiert, was in seinem Leben vorgegeben war, welche Erfahrungen ihn prägten, in welchen Situationen er sich die Freiheit nehmen konnte, eigene Entscheidungen zu treffen.
Amerika gehörte zu seinen Sehnsuchtsorten – und der zweite Teil der Lebenserinnerungen dokumentiert den Beginn seiner politischen Karriere in den Vereinigten Staaten:
"Am 17. September 1852 fuhren meine junge Frau und ich, nach einer Reise von 28 Tagen, an Bord des prächtigen Paketschiffes 'City of London' in den Hafen von New York ein."
Vor der Überfahrt heiratete Schurz die aus einer liberalen Hamburger Familie stammende Margarete Meyer. Sie gehörte zu den sozial engagierten Frauen, die mit den Achtundvierzigern in die Neue Welt aufbrachen und dort ihre sozialen Vorstellungen realisierten. Margarete Meyer gründete den ersten Kindergarten in Amerika. Carl Schurz arbeitete zunächst als Journalist und Redenschreiber:
"Schon im Anfang meiner Laufbahn als öffentlicher Redner machte ich es mir zur Regel, niemals in meinen Reden etwas zu sagen, für das ich nicht mit ganzem Gewissen einstehen konnte; (…) und nie eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, um meine Zuhörer daran zu erinnern, dass es die Pflicht, das hohe Vorrecht dieser großen amerikanischen Republik sei, der freiheitsliebenden Menschheit als Leitstern (…) zu dienen."
Zeitgenössische Darstellungen zeigen Schurz vor begeisterten, die Zylinder schwenkenden Zuhörern. Aber auch Schmähungen und Verleumdungen gehörten zu seinem öffentlichen Leben in den USA.
Gefördert von Abraham Lincoln
"Leute verschrien mich als einen unverschämten jungen Eindringling, der, selbst erst kürzlich eingewandert, es wagte, sich in den Kreis ihres Einflusses einzumischen und den älteren Bürgern beizubringen, wie sie stimmen sollten."
1860 lernte Schurz Abraham Lincoln kennen, der wenig später sein Amt als amerikanischer Präsident antreten sollte. Diese Begegnung wurde zum Ausgangspunkt der politischen Karriere von Carl Schurz. Er hielt Reden gegen Sklaverei und Parteidespotismus - und er gewann deutschstämmige Wähler für Lincoln. Carl Schurz erzählt im zweiten Teil der Lebenserinnerungen, wie er vom Revolutionär zum Befürworter von Reformen wurde.
"Ja, Sie werden einst Senator der Vereinigten Staaten sein."
Schurz wollte diese Worte aus dem Mund des Präsidenten anfangs nicht glauben. Und doch: Carl Schurz wurde nicht nur Senator von Missouri, sondern später auch amerikanischer Innenminister. Er starb 1906 in New York.
Detailliert, ausführlich, manchmal langatmig, beschreibt Schurz in seiner zweibändigen Autobiografie Alltagssituationen und Begegnungen. Carl Schurz nimmt den Leser mit auf eine interessante Reise durch sein Leben und die politische Welt des neunzehnten Jahrhunderts. Im einleitenden Essay von Uwe Timm wird er als der bedeutendste Deutsch-Amerikaner seiner Zeit gewürdigt.

Carl Schurz: Lebenserinnerungen
Mit einem Essay von Uwe Timm
Herausgegeben von Daniel Göske
Wallstein Verlag, Göttingen 2015
1276 Seiten, 39 Euro

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