Camille de Peretti

Wenn das Glück zerbröselt

Blick vom Garten auf das ehemalige Wohnhaus des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac, das heute ein Museum beherbergt.
Ein Lieblingsort von Camille de Peretti: Balzacs ehemaliges Wohnhaus im Pariser Stadtteil Passy. © dpa / picture alliance / Johanna Hölzl
Von Tobias Wenzel · 26.11.2015
"Die kleinen Arrangements unserer Herzen“ heißt Camille de Perettis neuer Roman − ein autobiografisches Buch, in dem die 35-Jährige das schleichende Ende ihrer Beziehung zu einem Investmentbanker verarbeitet. Tobias Wenzel hat die Autorin in Paris getroffen.
In der überfüllten Pariser Metro beginnt die Geschichte von Stanislas und Camille, den Hauptfiguren in Camille de Perettis autobiografischem Roman "Die kleinen Arrangements unserer Herzen". Stanislas ist in Camille verliebt, sie aber plant von vornherein, ihn abzuservieren, braucht ihn nur, um erste körperliche Erfahrungen zu sammeln:
"Im Gerumpel der Metro rutschen wir auf einander zu, von einander weg, er macht keinen Versuch, lächelt mich nur immerzu an. Und was ist, wenn er mich gar nicht küsst? Wenn dieser Abend ein Misserfolg wird? Wenn mich nie im Leben ein Junge küssen will? Endstation, alles aussteigen."
(Camille de Peretti: "Die kleinen Arrangements unserer Herzen", S. 21-22)
Draußen vor der Haltestation Passy steht Camille de Peretti bereit zum Spaziergang durch ihre Geburtsstadt Paris. Die 35-jährige Autorin trägt ein Pelzoberteil, irgendwie passend zum edlen 16. Arrondissement:
"Ein schöner Tag heute!"
Es ist der 9. November. Vier Tage vor den islamistischen Anschlägen ist die Pariser Welt noch in Ordnung:
"Jetzt laufen wir durch den Park, in dem meine Kinder oft spielen. Hier ist es so ruhig, dass man sogar die Vögel singen hört."
Nachdem Camille, die Ich-Erzählerin des Romans, als Schülerin Stanislas das Herz gebrochen hat, meint sie Jahre später als junge Autorin, er sei der Mann fürs Leben. Sie zieht zu ihm nach London, wo er als Trader bei einer großen Bank arbeitet. Alles scheint perfekt. Doch schon bald zerbröselt das Glück. Er arbeitet zu viel, sie fühlt sich vernachlässigt und geht "kleine Arrangements" in ihrem Herzen ein, um die Beziehung zu retten. Auch ein Road Trip durch die USA soll helfen, wirkt jedoch gegenteilig:
"Der Mann, der hier in Georgetown beim Abendessen vor mir sitzt, hat nichts mehr von der Spontanität des Jungen an sich, der vor zehn Jahren seiner Freundin traurige Liebeslieder vorgesungen hat. Die Sommergäste in den Straßen von Cannes, Stanislas' Hand, die Kraft seines Kusses, unsere Jugend. Der Kellner kommt an unseren Tisch.
"Ein Glas Rotwein bitte, egal welchen."

"Nimm Merlot, du magst doch Merlot."
"Ach ja?"
"Was wird er mir fehlen."
Besuch beim schlafenden Riesen
"Das hier ist die Rue Berton. Niemand kennt sie."
Die aus der Zeit gefallene Gasse mit den uralten geneigten Mauern regt regelmäßig die Fantasie von de Perettis dreijährigem Sohn an, auch das große Tor und das Haus dahinter, in dem einst Balzac lebte, was aber der Junge nicht weiß:
"Wenn ich mit meinem [...] Sohn an dieser Stelle ankomme, sagen wir 'Psssst!' Weil wir den schlafenden Riesen nicht wecken wollen."
Kurz darauf betreten wir La Librairie, das Lieblingsrestaurant der Autorin, das voll von Büchern ist. Hier erzählt sie, dass sie ihrem damaligen Freund, dem mittlerweile gestorbenen Banker in London, versprochen hat, ihn zur Hauptfigur eines Buches zu machen. Für ihn hat sie sich, wie auch die Camille im Roman, von einem Künstler scheiden lassen:
"Es ist etwas Wunderbares, mit einem Künstler zusammenzuleben, aber nicht, wenn man selbst einer ist. Da prallen Egos und Empfindlichkeiten aufeinander. Wenn man aber als Künstler mit jemandem zusammen ist, der gar nichts mit den Künsten zu tun hat, dann hat das etwas Beruhigendes. Wenn ich meinem Ehemann − auch er ist Banker − sage: 'Ich fühle mich wie in zwei Stücke zerrissen. Die Geburt dieses Buches tut so weh wie die Geburt eines Kindes.' Dann antwortet er mir: 'Jogge halt! Mach Sport! Aber geh mir nicht auf den Wecker!'"
Bevor Camille de Peretti einen Roman beginnt, zwingt sie sich, gewisse Regeln einzuhalten, um so ihre Kreativität zu fördern. In "Die kleinen Arrangements unserer Herzen" hat sie die Regel von Autoren der Beat Generation befolgt, den Roman in einem Rutsch zu schreiben, ohne zurückzublättern.
Das hat dem Buch leider nicht gut getan: Viel zu früh ist klar, dass die Beziehung von Camille und Stanislas scheitert. Man meint nur noch Variationen derselben Aussichtslosigkeit zu lesen. Genau das mag typisch für eine Beziehung sein, die in die Brüche geht. Die so verlorene Spannung kann die Autorin aber nur hier und da kompensieren. Zum Beispiel in der Szene, in der der Trader Stanislas in einem Pariser Restaurant Camille einen halben Heiratsantrag macht, indem er sie mit einer zu übernehmenden Firma vergleicht:
"Und wo bleibt die Liebe in dem Ganzen?"
"Ja, ja, die Liebe, wenn du unbedingt willst. Ich versuche dir klarzumachen, dass mir Engagement lieber ist als Verbindung. Gatten sind nicht verbunden, sie sind engagiert. Wenn sie außerdem noch verbunden sind, umso besser, das ist ein Bonus."
"Und wozu soll das Ganze gut sein?"
"Damit die Aktionäre zufrieden sind – die Kinder natürlich!"
"Natürlich."
(Camille de Peretti: "Die kleinen Arrangements unseres Herzens", S. 92-93)
Camille de Peretti hat das Restaurant La Librairie heiter verlassen, vier Tage vor den Anschlägen in Paris. Nach den Anschlägen beschreibt sie in einer E-Mail die traurige Stimmung in der Stadt. Sie gehe aber weiterhin in ihr Lieblingsrestaurant und spaziere immer noch mit ihren Kindern durch die märchenhafte Gasse, vorbei am schlafenden Riesen. Dann zitiert sie Peter Handke:
"[...] pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt."
(Peter Handke: "Über die Dörfer")
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