Byung-Chul Han über Kunst

Gebrochenes Herz des Schönen

Jeff Koons
Ausstellung von Jeff Koons im Paris im November 2014. © picture alliance / dpa / Foto: Delphine Goldsztejn
Von Michael Opitz · 30.07.2015
Alles beginnt mit den glänzenden Skulpturen des Künstlers Jeff Koons. Sie sind für den Philosophen Byung-Chul Han der Ausgangspunkt, um die perfekt inszenierte Kunstwelt und ihre Glätte zu hinterfragen. In "Die Errettung des Schönen" plädiert er für eine Ästhetik des Desasters.
"Wir leben in einer Gesellschaft“, schreibt Bertolt Brecht Ende der 20er-Jahre in "Über Kritik", "wo etwas ästhetisch glänzend Geformtes falsch sein kann, das Schöne darf uns nicht mehr als wahr erscheinen". Er kommt deshalb zu dem Schluss: "Man muß dem Schönen durchaus mißtrauen." Byung-Chul Han zitiert in seinem Essay "Die Errettung des Schönen" zwar nicht Brecht, aber er steht durchaus in dessen Tradition, wenn er das "Glatte als die Signatur der Gegenwart" begreift.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind die Skulpturen von Jeff Koons, Objekte mit einer glänzenden, blank polierten Oberfläche. Gern würde man sie berühren und die Hand über diese Oberflächen gleiten lassen. Stünde nicht ein scharfäugiges Museumswachpersonal diesem Begehren im Weg. Die Hand würde keinen Widerstand, nichts Scharfes oder Kantiges spüren. Für Han existiert der haptische Zwang nur "in der sinnentleerten Kunst des Glatten". Durchaus eine These, die sich mit einem Fragezeichen versehen lässt.
Das Glatte bietet ein angenehmes Gefühl, aber einer sich daraus ableitenden Definition des Schönen – auf der nach Han unser gegenwärtiger Schönheitsbegriff basiert – fehlt es an Tiefe. Jeff Koons zum Beispiel gefällt es, wenn von seinen Objekten der Wunsch ausgeht, sie umarmen zu wollen. Ließe er sich realisieren, dann sollte der Kunstfreund – nach Koons Absicht – die Erfahrung machen, dass ihn nichts erschüttert, verletzt oder erschreckt. Käme es zu einem enthusiasmierten "Wow", wäre Koons zufrieden.
Die Tiefe des Kunstwerkes bliebt verborgen
Han gibt sich mit dieser – vermeintlich – konsumorientierten Bestimmung des Schönen nicht zufrieden. Wie Brecht misstraut er einer auf dem Glatten basierenden Definition des Schönen, denn darin zeige sich seiner Meinung nach ein Hang zur Trivialisierung. Das Glatte spricht zwar noch die Sinne an, aber die so aktivierten Sinne erfassen nicht mehr die Tiefe eines Kunstwerks. Für das Verborgene fehle diesem Kunstbegriff jeglicher Sinn. In diesem Wechselspiel zwischen den Sinnen und dem Sinn ist aber nach Hegel das Schöne zu verorten.
Im Unterschied dazu werden in einer vom Makellosen beherrschten Kunstwelt die Objekte geglättet und poliert. Gegen eine sich darin manifestierende Ästhetik des Wohlgefallens plädiert Han für eine Ästhetik des Desasters. Mit Adorno als Gewährsmann tritt er für eine Stimmigkeit ein, in der nichts mehr stimmt: "Gebrochen ist das Herz des Schönen." Das Glatte hingegen unterwirft sich dem Konsum.
Han ist ein streitbarer und zugleich ein engagierter Ästhet, der den die Gegenwart dominierenden Begriff des Schönen kritisch zu analysieren weiß. An der Sache, für die er streitet, liegt ihm viel. Nun muss, wer sich über das Schöne äußert, nicht auch schön schreiben können, aber durch Byung-Chul Hans apodiktisches Hauptsatz-Stakkato wird der Leser dieser Kunst-Attacke geradezu zum Abnicken degradiert. Raum für abwägende Überlegungen, ob er sich ergeben oder doch zum Nahkampf übergehen will, gewährt Han nur selten. Die Verführung zum Denken aber gehört in der Rhetorik auch zur Vorstellung des Schönen.

Byung-Chul Han: "Die Errettung des Schönen"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015
106 Seiten, 19,99 Euro
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